„Kompromiss“ zur Schulreform ist Humbug

Einen Tag vor der zweiten Verhandlungsrunde in Sachen Schulreform hat die Initiative WWL erstmals einen eigenen „Kompromiss“-Vorschlag unterbreitet: Die 24 Starterschulen sollen als Primarschulen starten, ein Jahr später dürfen bis zu 25 weitere Grundschulen Primarschulen werden, und der Rest muss bis 2016 warten: Zeit genug, um zwei Bürgerschaftswahlen abzuwarten. Mindestens 70.000 Kinder müssten damit nach dem (bei PISA gescheiterten) bisherigen System weiter lernen.

Nichts gegen Kompromisse: Besser als knappe Mehrheitsentscheidungen sind sie allemal. Sie müssten dann aber auch erstens den Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen, zweitens aus fachlicher Sicht sinnvoll sein. Was WWL jetzt vorschlägt, erfüllt beide Kriterien nicht. Erstens nicht die der vielen Grundschulen und der jeweiligen Eltern, die daran arbeiten, erfolgreiche Primarschulen zu werden. Zweitens aber auch nicht die der Gymnasien – sie würden in ein schwer handlebares Chaos aus Kindern, die nach Klasse vier kommen, Kindern, die später kommen, und dem unangetasteten Abschulungsverbot geraten.

Wer den „Elternwillen“ auf seine Fahnen geschrieben hat (wie WWL), braucht solche Beschränkungen nicht: Da die Schulreform Kinder und Eltern, die bereits heute auf Gymnasien sind, überhaupt nicht betrifft, sollte die Entscheidung den Eltern der erst künftigen „großen“ SchülerInnen überlassen werden. Wenn sie den bisherigen Weg gehen wollen – gut. Wenn sie die sechsjährige Primarschule wollen – auch gut. Allein die Schulkonferenzen der heutigen Grundschulen sollten entscheiden, welchen Weg sie gehen wollen.

Ob die jeweilige Entscheidung dann richtig oder falsch ist, kann erst die Zukunft zeigen. Dass nahezu alle Fachleute (Erziehungswissenschaftler, Elternkammer, Lehrerkammer, Schülerkammer, Gewerkschaften) sich für längeres gemeinsames Lernen aussprechen, ist zwar bemerkenswert, muss aber deshalb noch nicht richtig sein. Nur: Demokratie ist, wenn die Beteiligten selbst entscheiden, was sie wollen.

Wir haben heute deutlich mehr Kommentare als sonst bekommen. Wie veröffentlichen nie alle Kommentare; Veröffentlicht haben wir heute nicht alle, weil wir uns nicht auf das pöbelige Niveau des (geschlossenen) Elternforums der Elternkammer begeben wollten. Was offensichtlich falsch ist, wird bei uns auch zukünftig nicht stattfinden. Dafür gibt es hinreichend andere Plattformen.

Wenn ein demokratischer Kompromiss gesucht wird, dann muss der die jeweiligen Betroffenen vor Ort einbeziehen. Sollen doch die Eltern an den bisherigen Grundschulen entscheiden: Wer Primarschule werden will, beschließt dies in der Schulkonferenz, wer nicht will, bleibt vierjährig und schickt seine Kinder in den Ausleseprozess der Beobachtungsstufe.

Hier finden Sie den sogenannten Kompromissvorschlag von WWL, hier die Entgegnung von PROschulreform:

Die Initiative „Wir wollen lernen“ spricht von Bildungskonsens und Schulfrieden, setzt jedoch auf Spaltung.

Nach Bekanntgabe der Vorschläge für die 2. Verhandlungsrunde zeigt sich die Initiative „Wir wollen lernen“ weder konsensfähig noch willens, ernsthafte Kompromissvorschläge vorzulegen. Im Gegenteil: Anstatt eine dringend notwendige Reform zu unterstützen, versucht sie die Schullandschaft zu spalten und das gegenwärtige Schulsystem zu zementieren. Der Vorschlag, freiwillige Primarschulen auf 25% der Schulen bis 2016 zu beschränken und danach nur durch externe Gremien genehmigen zu lassen, ist, wenn ernsthaft vorgeschlagen, völlig realitätsfern.

Laut den vergangenen Umfragen ist die Mehrheit der Eltern für längeres gemeinsames Lernen, fordert jedoch ein Elternwahlrecht. Die meisten der Unterschriften beim Volksbegehren galten deshalb der Wiedereinführung des Elternwahlrechts. Der jetzige Vorschlag, dass nur für die Grundschulen das Elternwahlrecht bestehen bleiben soll, aber für die Primarschulen nicht, zeigt die wahren Beweggründe der Initiatoren: die Zementierung des gegenwärtigen Grundschulsystems in der jetzigen Form mit einer gewollte Abstrafung deren unterstützenden Eltern, die Elternwahlrecht und Primarschule wollten. Bei einem Scheitern der Verhandlungen bleiben diese Eltern mit ihren Unterschriften zusammen mit den restlichen Hamburger Kindern, Eltern und Schulen bis zum Volksentscheid in „Geiselhaft“.

Die Schulreform ist dringend geboten. Modellversuche und Vorbildprojekte haben in ausreichender Zahl stattgefunden. Die Reform wird von allen bildungsrelevanten Organisationen und Verbänden unterstützt. PISA, LAU, KESS und die internationalen Vergleiche sprechen eine überdeutliche Sprache: die soziale Ungerechtigkeit ist immens, die wirklich guten Gymnasialschüler werden viel zu wenig gefördert. Ein Blick in die Hamburger Schullandschaft zeigt: Elternräte, Lehrkräfte und Schulleitungen sind zu einem überwältigenden Teil für die Schulreform. Die Schulreform wurde in einem aufwendigen Prozess, in dem alle Beteiligten eingebunden waren, über zwei Jahre vorbereitet. Individualisierter Unterricht, moderne Leistungsmessung und längeres gemeinsames Lernen sind die Kernpunkte dieser Reform, mit denen Hamburg wieder zaghaft Anschluss an internationale Bildungsstandards gewinnen könnte. Alle Hamburger Eltern müssten diese Verbesserungen uneingeschränkt befürworten können, da sie allen Kindern, den leistungsstarken wie den leistungsschwächeren, zu Gute kommen würden. Es könnte also Schulfrieden herrschen. Eine Aufbruchstimmung ist in der Hamburger Schullandschaft entstanden, die bereits jetzt wichtige Fortschritte gebracht hat. Dieser Prozess darf nicht gestoppt werden. Deshalb:

* Keine Kompromisse gegenüber „Wir wollen lernen“ bei der Einführung der Primarschule!
* Schulreform jetzt! Für Alle! Für längeres gemeinsames Lernen!

Dr. Stefanie v. Berg

9 Gedanken zu „„Kompromiss“ zur Schulreform ist Humbug“

  1. Liebe Frau Dr. von Berg

    Sie widersprechen sich selbst. Einerseits sollen die künftigen Eltern entscheiden, andererseits die Schulkonferenzen. Was können die künftigen Eltern Ihrer Meinung nach noch entscheiden, wenn einmal die Schulkonferenz entschieden hat ? Ausserdem: Demokratie ist Entscheidung des Volkes über gewählte Representanten oder direkte Volksgesetzgebung. Letzteres geschieht gerade. Dagegen können Sie doch eigentlich nichts haben.

  2. Sehr geehrte Frau Dr. v. Berg,

    es ist falsch, wenn Sie schreiben, daß die beschlossene Schulreform die größeren Kinder auf dem Gymnasium nicht betrifft:
    1. werden auch in den Klassen 5,7 und 8 die Noten abgeschafft,
    2. wird die Entscheidung am Ende der Beobachtungsstufe nach anderen Kriterien als bisher getroffen
    3. werden die Gymnasien viele Lehrer verlieren, die als Wanderprediger zu den Primarschulen geschickt werden
    4. ändert sich die Struktur der Unterstufe, mit u.a. weitreichenden Folgen für heute schon klassenübergreifende Projekte wie Chöre und Orchester
    u.v.a.m..
    Bitte halten Sie sich an die Tatsachen, insbesondere wenn Sie dies ihren Gegnern absprechen.

  3. Wenn es flächendeckend sowohl die Möglichkeit des Besuches einer Primarschule oder einer 4jährigen Grundschule gäbe und die Eltern das frei wählen könnten, sehe ich darin eine große Bereicherung der alten Schullandschaft. Da wäre Schulfrieden doch möglich, wenn die Eltern die Form frei wählen dürfen. Die Langzeitformen, die persönlich sehr schätze, würden weiter bestehen.
    Das ist ein wirklich guter Kompromiss… und die Handlebarkeit an den weiterführenden Schule sehe ich ohne Problem… es gibt Klassen ab 5 und verschmolzene Klassen ab 7… bei der Evaluierung müssten diese ja im Idealfall der Schulsenatorin in 7 verschmelzen können, ohne dass es Wissensunterschiede gäbe. Sollten diese aber auf einmal da sein, lässt das natürlich den Schluss zu, dass es Bildungsunterschiede gibt. Dann müsste man herausfinden, wo und warum es zu Differenzen kommt.

  4. Sehr geehrte Frau von Berg,

    Sie schreiben, ein Kompromiss müsse u.a. den Interessen aller Beteiligten Rechnung tragen. Diesen Aspekt sprechen Sie dem Vorschlag, Primarschulen auf freiwilliger Basis einzuführen, ab. Damit liegen Sie leider völlig daneben. Gerade die freiwillige Einführung der Primarschule trägt den hier sehr unterschiedlichen Interessen in vorbildlicher Weise Rechnung. Diejenigen, die in der Primarschule das Heil sehen, können ihre Kinder dorthin schicken. Diejenigen aber, die eine Grundschule bevorzugen, können ihre Kinder dorthin schicken. Wo ist das Problem ?

    Auf diese Weise würde sogar viel Geld für Umbauten gespart werden, das hoffentlich dann in sinnvolle inhaltliche Maßnahmen gesteckt wird und zwar für die Kinder, die zu Hause nicht die Förderung erhalten, die sie erhalten sollten.

    In Wahrheit haben Sie wohl Angst, dass sich nicht genügend Eltern für die Primarschule entscheiden würden, sonst hätten Sie nichts gegen ein Nebeneinander beider Schularten.

    Waren Sie nicht diejnige, die bei Schalthoff gesagt hat „Eltern stehen dem Glück ihrer Kinder im Weg“ ? Aber Sie wissen, was für unsere Kinder gut ist ? Ich glaube nicht.

  5. Lieber Herr Kamlah,

    wie kommen Sie darauf, dass die Schulkonferenz „die Entscheidung“ trifft? Ist es nicht die Zeugniskonferenz?

    Und wo genau sehen Sie den Unterschied zwischen der heutigen Situation und der Situation, wie sie im Gesetz steht?

    Gut, bei der tatsächlichen Entscheidung – der nach Klasse 6 – wird den Eltern jetzt eine Mitsprache eingeräumt. Bisher trafen diese Entscheidung Lehrer, die die Schüler gerade mal zwei Jahre kennen, rein nach ihren (nachgewiesenerweise wertlosen) Noten. Ist das nicht eine Wende zum Besseren?

    Und derzeit müssen die Kinder an den Gymnasien jedes Jahr wieder beweisen, dass sie „hier hingehören“ und die Lehrer immer wieder darüber richten, ob das der Fall ist.

    In Zukunft ist das nicht mehr nötig: jede Schule übernimmt die Verantwortung für die Kinder, die sie hat. Die Kinder können sicher sein, „hierherzugehören“. Und das wird die Qualität der Bildung erheblich verbessern, denn unter Stress lernt man schlecht (schauen Sie sich mal bei Herrn Prof. Hüthers Aussagen dazu um).

    Und dann noch die Frage, warum ist „die Entscheidung“ aus Ihrer Sicht so wichtig? Wo liegt Ihrer Meinung nach das Problem für ein Kind, wenn es einer Stadtteilschule zugeordnet wird? Halten Sie es für die kindliche Entwicklung förderlich, dass 12-Jährige 38 Wochenstunden zur Schule gehen und dann noch Hausaufgaben machen müssen?

  6. Liebe Frau Dr. Byok,

    Sie übersehen bei Ihrer Argumentation, drei wesentliche Dinge:

    a) es sind keineswegs die Eltern, die bestimmen, auf welcher Schule ihre Kinder beschult werden.

    Diese Entscheidung wird derzeit von den Zeugniskonferenzen der weiterführenden Schule am Ende von Klasse 6 getroffen. Und zwar ohne jede Beteiligung der Eltern und zu annähernd der Hälfte der Fälle falsch:

    Lt. KESS 7 haben wir in den 7. Klassen der Gymnasien _37_Prozent_ der Kinder, die sich unterhalb des geforderten Niveaus bewegen. Hingegen findet KESS 7 an den _Hauptschulen_ 10% der Schüler, die dieses Niveau sehr wohl erreichen.

    Prof. Bos nennt das einen Skandal (
    http://www.spiegel.de/schulspiegel/0,1518,283962,00.html)

    b) im kommenden System kann jedes Kind, das das Zeug dazu hat, sein Abitur machen. Es ist nicht mehr nötig, im Alter von 10 Jahren die „Spreu vom Weizen“ (finden Sie es nicht auch brechreizerregend, Kinder als „Spreu“ zu bezeichnen?) zu trennen.

    Damit entfällt die bislang so wichtige, weil (scheinbar) lebensbestimmende Entscheidung über die Schulkarriere im Alter von 10 bzw. 12 Jahren.

    Darüber hinaus entfallt auch der Selektions-Stress, den die Gymnasiasten zwischen Klasse 5 und 12 erleiden (50% Gym-Abschulungen allein in der Oberstufe) und die Pflicht für die Lehrer, gleichzitig auch Richter über den Lebenslauf ihrer Schüler zu sein.

    c) Derzeit wird die Entscheidung über den Verbleib am Gymnasium von den Zeugniskonferenzen ohne jede Elternbeteiligung gefällt. Und zwar Jahr für Jahr wieder bis zur 12. Klasse.

    In Zukunft gibt es am Ende von Klasse 6 drei Säulen, auf denen die Laufbahnentscheidung (die ja bei weitem nicht mehr die bisherige Dramatik hat) ruht. Dazu gehören
    – intensive Eltern-Lehrer-Schüler Gespräche
    – kontinuierliche Berichte der Lehrer
    – eine Einschätzung der Lehrer

    Damit können die Eltern jetzt erstmals bei der Laufbahnentscheidung mitsprechen und die Lehrer, die die letztliche Entscheidung fällen, kennen die Kinder 6 und nicht nur 2 Jahre.

    Liebe Frau Byok, sind das nicht erhebliche Verbesserungen gegenüber dem heuigen System, in dem die Eltern nach Klasse 4 eine Wahl treffen und diese von den Zeugniskonferenzen jederzeit revidiert werden kann („Placebo“-Elternwahlrecht)? Immerhin machen die Gymnasien reichlich Gebrauch von ihrem Recht die Elternentscheidung zu korrigieren: die Gymnasien „verlieren“ zwischen 20 und 50% ihrer Schüler auf dem Weg zum Abitur.

  7. Sehr geehrter „Einheitsschüler“,

    da Sie Ihre Identität nicht preisgeben wollen, gehe ich davon aus, dass Sie Schulbehördenvertreter sind.

    Inhaltlich gehen Sie leider überhaupt nicht auf meine Ausführungen ein. Ihre Erwiderung hat nämlich rein gar nichts zu tun mit der Frage, weshalb es nicht möglich sein soll, Primar- und Grundschulen nebeneinander laufen zu lassen. Ein sachliches Argument dagegen haben Sie also offensichtlich nicht und müssen daher ihr Ablenkungsmanöver fahren.

    Der einzig positive Aspekt der Schulreform ist, dass es in Zukunft auf beiden weiterführenden Schularten die Möglichkeit des Abiturs gibt. Damit muss nicht im Alter von 10 die Entscheidung fallen, ob ein Kind Richtung Abitur geht oder nicht. Aber für die Einführung der Zweigliedrigkeit der weiterführenden Schulen muss man nicht das ganze System umbauen.

    Ansonsten hilft uns Ihre Schulreform leider überhaupt nicht weiter. Sie hilft nicht denjenigen Kindern, die zu Hause nicht ausreichend betreut werden, die ungefrühstückt oder mit T-Shirt im Winter oder sogar im Schlafanzug zur Schule kommen (alles Berichte aus der Hamburger Realität – kennen Sie die? ) oder deren Eltern u.U. betrunken vor der Schule stehen (so wie eine Lehrerin es mir neulich berichtete). Sie hilft auch nicht denjenigen Kindern, die mit 6 Jahren bereits einen Fernseher im Zimmer stehen haben und bis in die Puppen nicht unbedingt jugendfreie Sendungen gucken. Sie hilft nicht denjenigen Kindern, die nachmittags nicht von ihren Eltern oder in einer Einrichtung sondern von einem Fernseher betreut werden oder sich selbst überlassen sind. Die Reform hilft auch nicht denjenigen, die das Glück haben, unterstützende Eltern zu haben (etwas, wofür sich die Eltern von der Senatorin verunglimpfen lassen müssen) und die schon mit 10 absolut bereit sind, auf eine weiterführende Schule zu gehen.

    Und insbesondere hilft diese Schulreform nicht unserer Gesellschaft, denn sie will Zwang ausüben und einen Einheitsbrei schaffen. Dabei geraten leider, und das ist dramatisch, die Kinder, wie oben gezeigt, völlig aus dem Blick.

    Dies ist das Charakteristikum der von Frau Goetsch geplanten Schulreform: die tatsächlichen Probleme werden nicht angegangen. Bestimmte Wahrheiten dürfen nicht sein, also darf man sie nicht aussprechen. Statt dessen wird ein Riesenumbau geplant. In der Schule hieße es: „Thema verfehlt“.

  8. Liebe Frau Stürken,

    Sie weisen auf einige Änderungen hin, die sich durch die Schulreform für SchülerInnen an Hamburgs Gymnasien ergeben.

    Das sind durchweg positive Änderungen:

    >1. werden auch in den Klassen 5,7 und 8 die Noten abgeschafft, ausgezeichnet. Die Aussagekraft von Schulnoten steht nachgewiesener Weise in keinem Zusammenhang mit ihrer Wirkung auf die Schulkarriere eines Kindes – hier ganz besonders die zu beachten: die Abschulungsquote der Gymnasien (20-50%) und die Anzahl der Abiture, die dann später auf verschlungenen Wegen trotz des gymnasialen „Daumen ‚runter“ erreicht werden.

    >2. wird die Entscheidung am Ende der Beobachtungsstufe nach anderen Kriterien als bisher getroffen In der Tat. Die Eltern erhalten ein Mitspracherecht, das sie bislang nicht hatten. Die Entscheidung über den Verbleib (bzw. die Aufnahme) am Gymnasium wird nicht mehr ausschließlich von der Zeugniskonferenz auf Basis der Schulnoten gefällt.

    >3. werden die Gymnasien viele Lehrer verlieren, die als Wanderprediger zu den Primarschulen geschickt werden Die Lehrer-Wochenarbeitsstunden werden sicher nicht verloren. Gewonnen wird hingegen die Chance, gymnasiales und humanistisches Gedankengut bereits in die vierten Klassen der Primarschulen hinein zu tragen.

    >4. ändert sich die Struktur der Unterstufe, mit u.a. weitreichenden Folgen für heute schon klassenübergreifende Projekte wie Chöre und Orchester Meines Wissens sind die Lehrer an der Staatlichen Jugendmusikschule derzeit überhaupt nicht froh darüber, dass sie ihre Schüler – besonders die Begabten – schon mit 10 an die Schulen „herausgeben“ müssen. Nach zwei mehr Jahren in der Jugendmusikschule werden die Schulen gefestigtere musikalische Persönlichkeiten bekommen, als derzeit. Das ist nichts Negatives, außer wenn die Schulen nicht flexibel genug sein sollten, sich auf die neuen Rahmenbedingungen einzustellen.

  9. Liebe Frau Dr. Byok,

    vielen Dank für Ihre Antwort. Nur schade, dass Sie ausweichen.

    Ihren Zeilen entnehme ich keine Begründung, warum Sie unbedingt an der „Spreu vom Weizen“-Trennung nach Klasse 4 festhalten wollen.

    Auch verstehe ich immer noch nicht, warum Sie es so toll finden, wenn Eltern ihre Kinder nach Klasse 4 auf das Gymnasium schicken dürfen, diese aber dann aber jederzeit (und in 20-50% der Fälle, je nach Schule, geschieht das) vom Gymnasium wieder abgeschult werden dürfen – ohne jede Elternbeteiligung.

    Was also haben sie dagegen, dass
    a) den Eltern mehr Mitsprache über die Schulkarriere ihrer Kinder eingeräumt wird?
    b) Kinder sich darauf verlassen können, dass die Schule, an der sie sind auch die Verantwortung für sie übernimmt?

    Die erste Antwort auf Ihre Frage, warum Grund- und Primarschule nicht nebeneinander existieren können, haben Sie wohl übersehen: die Aufteilung der Kinder „nach Leistung“ geht in fast der Hälfte der Fälle schief. Warum sollten wir an einem Verfahren festhalten, das so schlechte Ergebnisse vorweist? Würden sie sich in ein Taxi setzen, dessen Fahrer nur in 50% der Fahrten da ankommt, wo er hinsoll? Würden Sie zu einem Arzt gehen, der eine Heilungsrte von 50% hat?

    Die zweite Antwort ist in Berlin zu besichtigen: ein fürchterliches und sinnloses Dauergerangel um die raren Plätze an den grundständigen Gymnasien. Wenn nicht 97% sondern 100% der Kinder schlicht und einfach an die 6-jährige Grundschule gingen, dann würde allen dieser Streß erspart.

    Die dritte Antwort ist die: ich vermute, dass Sie zusammen mit dem Elternwahlrecht nach Klasse 4 auch das Recht für die Gymnasien fordern, die Kinder wieder loszuwerden (die „Spreu vom Weizen“ zu trennen, wie es eine WWL-Befürworterin einmal nannte – Frau Dr. Byok, bitte sagen Sie mir, was in aller Welt sind „SPREU“-Kinder???). Nun, lt. Prof. Tillmann haben wir hier etwa eine Drittteltrennung:
    30% der Kinder kommen mit den Anforderungen am Gymnasium problemlos klar
    30% stehen „auf der Kippe“
    30% sind klar überfordert

    Über das erste Drittel braucht man sich keine Sorgen zu machen. Die bewältigen das Pensum und machen nebenbei noch Sport, Musik und was sonst noch so anliegt.

    Das dritte Drittel wird zügig vom Gymnasium abgeschult und steht dann bereits in Klasse 5, 6 oder 7 als „Rückläufer“ da. Muss seinen Klassenverband verlassen und von seiner neuen Schule integriert werden. Das ist übrigens auch eine aufopferungsvolle Tätigkeit, die die Gesamt-, Real- und Hauptschulen quasi ehrenamtlich als Serviceleistung für die Gymnasien erbringen: das Auffangen der „Spreu“-Kinder.

    Das mittlere Drittel hat’s am schwersten. Nachhilfe (in den 5. Klassen lt. KESS-Untersuchung fast 40% der Kinder!), kein Sport im Verein mehr, keine Musikschule mehr, denn dafür ist keine Zeit. Wenn sie Glück haben (und die Chemie mit den Lehrern stimmt) dann kommen sie durch, wenn nicht, dann fällt irgendwann der Daumen. Vielleicht in der 7. oder aber auch erst in der 10. Klasse oder sogar noch später. War alles umsonst, sie sind auch die Rückläufer, die loser und landen dann auch an einer der Auffangschulen, nicht selten nach einem Umweg über die Kinderpsychiatrie.

    Frau Prof. Ellgar-Rüttgardt sprach in diesem Zusammenhang bei der Expertenanhörung von „abgebrochenen und zerstörten Persönlichkeiten“. Frau Dr. Byok, wer die Fortführung Aufteilung nach Klasse 4 und der Spreu-vom-Weizen-Trennung fordert, der spricht sich für die Perpetuierung dieses Leidens aus. Das muss ein Ende haben!

    Für das erste Drittel sieht es übrigens auch nicht gut aus. Aufgrund des gemeinsamen Unterrichts mit den beiden anderen Dritteln können die Lehrer diese Kinder nicht in angemessener Weise fordern.

    Ich hoffe, ich habe Ihre Frage, warum Grund- und Primarschule nicht weiter nebeneinander existieren dürfen, damit hinreichend beantwortet.

    Sie sprechen im Weiteren von „Einheitsbrei“. Bitte beachten Sie, dass in unseren Schulen bereits jetzt eine enorme Bandbreite der Leistungen herrscht. Im KESS 7 Leseverständnis-Test haben die Gymnasien eine Bandbreite von 100% (80 – 160 Punkte), die Hauptschulen von 400% (http://www.ps-rs.de/L-Tern/KESS7_PerzentilbandLeseverstaendnis.jpg).

    Bitte erklären Sie mir, wie eine LehrerIn eine Klasse unterrichten soll, in der die/der beste Schüler _doppelt_ so gut/schnell lernt, wie der/die schlechteste.

    Das Ergebnis dieses – gescheiterten – Versuchs, unsere Kinder in drei Schubladen zu teilen hat Wieland Sternagel recht hübsch dargestellt, wie ich finde: http://www.ps-rs.de/L-Tern/WielandSternagel_Zivilcourage_bass_ev.jpg.

    Ich denke, wenn man überhaupt von „Einheitsbrei“ sprechen will, dann doch wohl von dem bisherigen System, in dem Kinder mit 100% Leistungsunterschied gezwungen werden im Gleichschritt zu lernen.

    Sie beschweren sich, dass „unterstützende Eltern“ sich verunglimpfen lassen müssten. Dazu hätte ich gerne Konkretes von Ihnen, denke aber, dazu müsste man sich auch einmal die Form der „Unterstützung“ etwas genauer ansehen. Wir alle kennen, glaube ich, einige Fälle, in denen der Gymnasiumsbesuch des Kindes eher dem Ehrgeiz der Eltern, als den intellektuellen Möglichkeiten des Kindes geschuldet ist. Wenn das dann in einem übervollen Terminplan resultiert, dann würde ich mich der Kritik sogar anschließen.

    Hinsichtlich der Kinder, die im Schlafanzug zur Schule geschickt werden usw.: ich finde das auch alles sehr schlimm und dringendst abhilfebedürftig.

    Aber ist denen damit geholfen, im Alter von 10 Jahren von den anderen (die mit den unterstützenden Eltern) getrennt zu werden?

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