SPD-Parteitag stimmt Schulreform zu

Wer in der Führungsetage der Hamburger SPD die Schulreform ablehnt und sich dabei auf einen „eindeutigen Parteitagsbeschluss“ beruft, sollte sich die Mühe machen, den vor zehn Monaten mit großer Mehrheit beschlossenen Antrag noch einmal zu lesen. Auf sieben Seiten – hier zum Download als PDF – beschreibt der Antrag nämlich fast bis zum letzten Komma, was jetzt im Zuge der Schulreform umgesetzt wird.

Als die Hamburger SPD im Juli 2008 ihren bis heute gültigen Beschluss „Gute Bildung für alle“ fasste, waren Ziele und Ausgestaltung der Schulreform des Senats noch relativ unscharf. So prognostiziert der Beschluss in seinem ersten Absatz, die neue schwarz-grüne Regierung habe „viele Formelkompromisse formuliert, deren konkrete Auflösung zu erheblichen Konflikten in der Koalition führen“ werde.

Im Anschluss folgen dann die vermeintlichen Alternativen dazu – und wer sie liest, sollte sich die Augen reiben. Es beginnt mit einem Acht-Punkte-Zeitplan:

1. Abschaffung der Hauptschule und Schaffung von integrierten HR-Schulen als erster Schritt.
2. Schaffung von integrierten Stadtteilschulen für allein jedem Schulbezirk.

Die Hauptschule ist abgeschafft, die integrierten Stadtteilschulen werden zum Schuljahr 2011/12 (teilweise schon 2010/11) eingeführt. Die SPD-Forderung wird exakt umgesetzt.

3. Regionalisierung der Schulaufsicht (…)

Dieser Punkt ist bereits umgesetzt.

4. Aus jeder Schulform muss der Weg zum Abitur eröffnet werden.

Erfüllt: Es gibt künftig Stadtteilschulen und Gymnasien, beide führen zum Abitur.

5. Gemeinsame Oberstufen in den Stadtteilen anstreben.

Ob dies erfüllt wird, lässt sich noch nicht übersehen, da die Regionalplanungen nicht abgeschlossen sind. Viel spricht aber dafür.

6. Den Elternwillen respektieren.

Nun ja. 60 % der Eltern schulpflichtiger Kinder sind für die Reform, ergab eine Umfrage im Februar. Die Elternkammer als verfasste Vertretung der Hamburger Elternschaft hat sich eindeutig dafür ausgesprochen. Eine individuelle Entscheidung, ob das Kind zur Stadtteilschule oder zum Gymnasium gehen wird, haben Eltern am Ende von Klasse sechs nur, wenn die Schule eine Gymnasialempfehlung ausspricht. Aber das ist schon seit 20 Jahren so: Am Ende der Klasse sechs haben die Eltern auch heute keine Entscheidungsfreiheit; die Schule entscheidet, ob die Kinder nach der Beobachtungsstufe auf dem Gymnasium bleiben dürfen oder nicht.

7. Sitzenbleiben und Abschulen grundsätzlich abschaffen mit dem Ziel einer individuellen Förderung.

Exakt dies ist Bestandteil der Schulreform. Sitzenbleiben und Abschulen werden abgeschafft.

8. Umsteuern der Schulpolitik mit dem Ziel einer „Schule für alle“

Was ist eine Schule für alle bis zur sechsten Klasse anderes als ein erster Schritt in diese Richtung?

Gleich an mehreren Stellen spricht sich die SPD in besagtem Antrag dagegen aus, Primarschulen an Gymnasien anzugliedern. Die Entscheidungen zu künftigen Standorten sind noch nicht abgeschlossen. Es zeichnet sich aber ab, dass es solche Partnerschaften allenfalls als Ausnahme geben wird.

Grundschulen sollen kleine Klassen haben.
Die im Antrag genannten Zahlen werden in der Schulreform zur Vorgabe gemacht.

Der nächste Abschnitt des Antrags erläutert ausführlich die Forderung nach individualisiertem Lernen, das „auf die einzelnen Stärken und Schwächen eingeht“ und das Kind anregt, „die Verantwortung für den eigenen Bildungsprozess zu übernehmen“.

Genau dies steht im Mittelpunkt der Schulreform.

Dann geht es um die „Verantwortung der Einzelschule für eine erfolgreiche Bildungslaufbahn der ihr anvertrauten Schülerinnen und Schüler“. Klassenwiederholungen und Abschulungen sollen entfallen, ebenso die dauerhafte Einteilung in Gruppen mit unterschiedlichen Lernstärken und Lerngeschwindigkeiten.

Nichts anderes sieht die Schulreform verbindlich für alle Schulen vor. Und nicht zuletzt aus diesem Punkt übrigens resultiert die Angst vieler Gymnasialeltern vor drohendem Niveauverlust.

Zwei weitere Abschnitte führen diese Ziele dann weiter aus. „Gemeinsames Lernen hilft den schwachen und nützt auch starken Schülerinnen und Schülern“ sowie „Individuelle Förderung als Voraussetzung für neue Schulstrukturen“ sind sie überschrieben.

Auch deren Inhalt findet sich – in den Begründungen teilweise wortgleich – in der Schulreform wieder.

Dann kommen noch einmal die Eltern an die Reihe. Die SPD konstatiert, dass sowohl die (damals noch im Volksgesetzgebungsverfahren befindliche) Gruppe „Eine Schule für alle“ wie auch diejenigen, die zunächst auf die beiden „Säulen“ Stadtteilschule und Gymnasium setzen, „auf einem Weg hin zu gemeinsamem Lernen“ sind.

Diesen Weg gestaltet jetzt die Schulreform.

„Integration verstärken – Stadtteilschule für alle“ überschreibt die SPD in ihrem damaligen Antrag das nächste Kapitel.

Alles, was hier beschrieben wird, ist in der Schulreform enthalten.

Weiter geht es mit der Weiterentwicklung der Lehrerinnen und Lehrer (hier ist eine Fortbildungsoffensive angelaufen), dem Anspruch, dass auch regional eine umfassende Bildung mit Ganztagsschulen vor Ort angeboten werden soll (50 neue Ganztagsschulen, mindestens eine in jedem Schulbezirk stehen auf dem Programm der Schulreform), und einer engeren Verzahnung mit anderen Angeboten und Trägern im sozialen Umfeld und im Stadtteil (hier gibt die Schulreform noch keine schlüssige Antwort).

Bildungsgebühren sollen wieder abgeschafft werden, von der Kita bis zum ersten universitären Abschluss.

Davon ist erst ein kleiner Teil umgesetzt.

Bemerkenswert schließlich ist auch der letzte Punkt des Antrags: Bildungsfragen sollen weiter entwickelt werden, denn „die Arbeit an den Reformen im Bildungsbereich ist ein dynamischer Prozess“.

Im Augenblick scheint der Reformwille der SPD-Führung sich weniger in Dynamik als in statischer Verharrung auszudrücken.

2 Gedanken zu „SPD-Parteitag stimmt Schulreform zu“

  1. Verblüffend. Lehnen die Sozis die Reform etwa nur ab, weil sie dem ehemaligen Wunschpartner GAL den Erfolg nicht gönnen? Oder will man das jahrzehntelange Ziel der gemeinsamen Bildung etwa verraten, weil man hofft, bei der nächsten Wahl Kapital daraus schlagen zu können, dass es sicherlich irgendwelche Anlaufschwierigkeiten gibt?

    Mannomann – wie billig!

  2. Wenn man den Antrag herunterlädt (danke!), dann wird alles noch viel schlimmer. Die Reform und der SPD-Beschluss sind wirklich zu mindestens 90 Prozent deckungsgleich. Ja, meinen Egloff, Ernst, Rabe und Neumann denn, das merkt keiner?

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