CDU-Vollbremsung beim Betreuungsrecht

Die politische Initiative der SPD-Bürgerschaftsfraktion für mehr Transparenz und Qualität bei der Betreuung hilfsbedürftiger Menschen in Hamburg ist am späten Donnerstag von den CDU-Abgeordneten im abschließend beratenden Sozialausschuss verhindert worden. Noch im mitberatenden Rechtsausschuss hatten die CDU-Abgeordneten mit ihrer Enthaltung grünes Licht für die SPD-Initiative gegeben.

„Absolut unverständlich und enttäuschend“, kommentierte der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Dirk Kienscherf, den plötzlichen Wandel bei der CDU. „Das kurzfristig vorgelegte Petitum der CDU ist fehlerhaft, mutlos und widerspricht eigenen Beschlüssen, die noch keine zwei Monate als sind – es dient nur als Alibi“, so Kienscherf. Die CDU habe offensichtlich vergessen, dass das Parlament das Budgetrecht habe. Der sozialpolitische Sprecher der SPD-Fraktion kündigte weitere Initiativen zum Thema Betreuungen an.

„Wer sich allein etwa beim Kontakt mit Behörden, der Sparkasse oder dem Vermieter nicht helfen kann, braucht eine qualitativ hochwertige Betreuung. Wir wollen das sicherstellen“, so Kienscherf. Von der Initiative der SPD-Bürgerschaftsfraktion sollten Menschen mit Behinderungen, Demenzkranke, psychisch Kranke und Suchtkranke profitieren.

In einem ersten Schritt wollte die SPD eine klare Analyse zur „Betreuung in Hamburg“ erreichen und hatte dazu den 20-Punkte-Antrag „Menschliche Metropole Hamburg – Betreuungsrecht: Transparenz schaffen und Qualität fördern“ in die Bürgerschaft eingebracht (Drs. 18/4511 – siehe Anlage). „Transparenz ist notwendig, um die Qualität von Betreuung zu verbessern. Die Ausschüsse hatten zur Beratung auch eine Anhörung von Sachverständigen durchgeführt.

Das von der CDU vorgelegte Petitum empfiehlt dem Senat, von den Beratungen „Kenntnis zu nehmen“, eine Evaluation auf Bundesebene „abzuwarten“, eine vermeintliche Informationskampagne „fortzusetzen“ und die Gewinnung ehrenamtlicher Betreuer durch die Betreuungsvereine „wenn möglich auszubauen“. Dazu Kienscherf: „Natürlich ist es möglich, die Arbeit der Betreuungsvereine – die letztlich Geld spart – auszubauen. Das kann die Bürgerschaft entscheiden.“

Das Petitum der CDU sei auch deswegen unglaubwürdig und peinlich, weil man offenbar vergessen habe, dass man erst vor zwei Monaten im Rahmen der Haushaltsberatungen den SPD-Haushaltsantrag abgelehnt hatte, „(..) die Situation der Betreuungsvereine, deren Aufgabe auch die Gewinnung und Beratung ehrenamtlicher Betreuerinnen und Betreuer ist, zu verbessern (..)“ (vgl. Drs. 18/5388, S. 11). Der Verweis im CDU-Petitum, eine wissenschaftliche Auswertung bzw. Evaluierung des Bundes im Frühjahr „abzuwarten“ sei falsch: Der Senat selbst erwartet „möglicherweise Mitte 2007 erste Rückschlüsse (..), jedoch voraussichtlich erst 2009, wenn der Abschlussbericht vorliegen werde“ (Protokoll des Sozialausschusses Nr. 18/30 vom 09.11.2006, S. 6). Kienscherf: „Was wir heute in Hamburg voranbringen können, müssen wir auch machen. Das Zeitspiel CDU ist unverantwortlich.“

Zum Hintergrund:

Am 01.01.1992 ist das Betreuungsrecht in Kraft getreten, welches Entmündigung, Vormundschaft und Pflegschaft für Erwachsene ersetzt hat. Ziel des Gesetzes war die Stärkung des Selbstbestimmungsrechts der Betroffenen. Gegenstand ist die rechtliche Wahrnehmung der Belange einer volljährigen Person, die aufgrund einer Erkrankung oder Behinderung ihre Angelegenheiten nicht selbst besorgen kann.

Der Betreuung bedürfen vor allem psychisch Kranke, geistig Behinderte, Sucht- und Demenzkranke. Die Anordnung der Betreuung erfolgt auf eigenen Antrag oder von Amts wegen – auch gegen den Willen der Betroffenen – durch das Vormundschaftsgericht. Der Betreuer darf nur für Aufgabenkreise bestellt werden, in denen die Betreuung erforderlich ist. Er hat die Angelegenheiten zum Wohle des Betreuten zu besorgen und ist daher verpflichtet, mit dem Betroffenen über dessen Vorstellungen zu sprechen.

Die Zahl der hilfsbedürftigen Menschen wird in der Zukunft auch in Hamburg schon aufgrund der demografischen Entwicklung deutlich zunehmen. Diese Zunahme ist in der Hansestadt bereits bei den Fallzahlen und Kostensteigerungen im Zusammenhang mit dem Betreuungsrecht zu verzeichnen. Gab es 2001 noch weniger als 17.000 anhängige Betreuungen, sind es 2005 bereits über 24.300 gewesen – Tendenz steigend. „Wir werden durch die demografische Entwicklung – auch bei den behinderten Menschen – und durch den Fortschritt in der Medizin künftig mehr alte Menschen in unserer Gesellschaft haben. Es wird zukünftig mehr Menschen geben, deren Lebensqualität von der Hilfe oder Betreuung durch andere abhängt.“

Vor diesem Hintergrund sei es wichtig, sich frühzeitig auf die entsprechenden Herausforderungen einzustellen, sagte der SPD-Sozialpolitiker. Das Problem sei, dass der Senat offensichtlich nicht über die notwendigen Kenntnisse verfüge. Das sei nachlässig, zumal Berichte über inakzeptable Betreuungsverhältnisse in den vergangenen Monaten bereits zu einer Diskussion über die Qualität der Betreuung hilfsbedürftiger Menschen geführt haben. „Wir wollen dafür sorgen, dass die Sozialsenatorin ihre Aufgaben wahrnimmt und dass hier Transparenz entsteht. Das ist Voraussetzung, um die Situation zu verbessern.“

In ihrem Antrag fordert die SPD-Fraktion den Senat auf, ausführlich über die derzeit bestehende Situation bei der Betreuung hilfsbedürftiger Menschen zu informieren. Zu den 20 Punkten des SPD-Antrags zählen die Entwicklung der Betreuungsfälle in Hamburg seit Inkrafttreten des Betreuungsrechts-Änderungsgesetzes Anfang 1999 und die voraussichtliche Entwicklung bis zum Jahr 2010 sowie die „Qualitätskontrolle“ der Arbeit der Betreuerinnen und Betreuer. Auch die Entwicklung der Beschwerden von Angehörigen und Betroffenen gegen die Bestellung eines Betreuers von Amts wegen ist Gegenstand des Antrags.

Kienscherf sprach von einer „gemeinsamen Verantwortung der Politik“, beim Thema Betreuungen zugunsten der betroffenen Menschen zu Verbesserungen zu kommen. „Es gilt in der Sozialpolitik weiterhin die Maßgabe, im Interesse der Menschen und im Sinne der Menschlichen Metropole Hamburg zu arbeiten.“

Kienscherf schlug als ersten Schritt zur Qualitätssteigerung vor, die Informationsarbeit zum Thema Vollmachten und Betreuungen erheblich zu steigern. „Vollmachten können Betreuungen überflüssig machen. Dazu braucht es Klarheit und Rechtssicherheit für Angehörige und – potentiell – Betroffene. Broschüren und Internet allein reichen hier nicht. Der Senat muss hier offensiver informieren.“ Kienscherf betonte, um Vollmachten oder Betreuungen müsse sich jeder kümmern, solange er gesund ist. „Dazu rufe ich ausdrücklich auf“, sagte der SPD-Abgeordnete. Auch in diesem Punkt der Sozialpolitik gehe es darum, dass sowohl der Staat als auch die Menschen ihren Teil der Verantwortung übernehmen.

Kienscherf sprach sich ferner für eine Wiederaufnahme der Kampagne für mehr ehrenamtliche Betreuer aus. Dazu gehöre eine angemessene Ausstattung der Vereine, die die Ehrenamtlichen schulen. „Die Sozialbehörde schraubt ihre Erwartungen an die Betreuungsvereine höher – da wäre es konsequent, diese auch entsprechend auszustatten.“

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