Primarschulgegner: Ins Knie geschossen…

Bisher gab es vor allem zwei Gründe, die Eltern bewogen, gegen die neue Primarschule zu sein: Die um zwei Jahre verkürzte Gymnasialzeit, und die eingeschränkte Wahlmöglichkeit am Ende der Primarschulzeit. Der zweite Grund fällt jetzt womöglich weg. Aufgedeckt hat dies ausgerechnet der Initiator der Volksinitiative gegen die Primarschule.

Rechtsanwalt Dr. Walter Scheuerl, Initiator der Volksinitiative, versenkte sich in die Archive und förderte den kleinen Anton zu Tage. Der ist zwar vermutlich heute im Rentenalter, aber 1953 beschäftigte sich das Oberverwaltungsgericht mit seiner schulischen Laufbahn. Die Schulbehörde wollte ihn – nach Prüfung – nicht zum Gymnasium lassen, die Eltern klagten dagegen. Ergebnis, ganz kurz gefasst (lang: weiter unten): Die Entscheidung über die weitere schulische Laufbahn eines Kindes ist so existenziell, dass es ein zu tiefer Eingriff in das Elternrecht wäre, wollte man sie einer Behörde überlassen.

Daran, so Scheuerl wohl zu Recht, hat sich im Grunde nichts geändert. Die Schule darf am Ende von Klasse sechs eine Empfehlung aussprechen, aber den Zugang zum Gymnasium verwehren darf sie nicht. Die Behörde wäre sicherlich gut beraten, dies zu berücksichtigen, wenn sie sich nicht einer Prozesslawine mit höchst ungewissem Ausgang aussetzen will. Was allerdings aus der schönen Planung wird, nach der Gymnasien bis zur Oberstufe niemanden mehr abschulen dürfen, steht bei „freiem Eintritt“ aber wohl auch in den Sternen.

Hier nun die Original-Erklärung von Walter Scheuerl, im Anschluss eine Verlautbarung der SPD.

Streitfall Primarschule: Behörde übersieht Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts – Fall des kleinen Anton aus 1953 rettet möglicherweise das Elternwahlrecht vor den Plänen der Schulsenatorin

Während die Planungsgruppe der Schulbehörde noch darüber nachdenkt, wie sie die Aufteilung der Hamburger Schüler nach Klasse 6 der geplanten Primarschulen durchführen will, ist jetzt ein rechtskräftiges Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1953 bekannt geworden, das die Pläne der Behörde stark in Frage stellt.

Der Fall des kleinen Anton erregte wenige Monate vor dem endgültigen politischen Aus für die sechsjährige Grundschule im Hamburg der Nachkriegszeit einiges Aufsehen: Antons Eltern hatten ihren Sohn für die Wissenschaftliche Oberschule/Gymnasium angemeldet, die dem heutigen Gymnasium entspricht. Eine Prüfungskonferenz, an der auch Antons Klassenlehrer und Schulleiter teilnahmen, entschieden jedoch, dass Anton nicht für die Wissenschaftliche Oberschule zuzulassen sei. Der Prüfung lagen Testaufgaben zugrunde, die von der Hamburger Schulbehörde eigens für die Entscheidung über die Schulform der weiterführenden Schulen im Anschluss an die sechsjährige Grundschule entwickelt worden waren. An einem solchen „diagnosegestützten Verfahren“, mit dem die Zeugniskonferenz verbindlich über die weiterführende Schulform im Anschluss an die geplanten sechsjährigen Primarschulen entscheiden sollen, arbeitet heute auch die Planungsgruppe der Schulbehörde.

Antons Eltern klagten erfolgreich gegen die Entscheidung der Schulbehörde. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg bestätigte in seinem Urteil vom 16. April 1953 ausdrücklich das Recht der Eltern, die Schulform frei zu wählen: „Die Art der Schulausbildung ist für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Erziehung der Kinder von so grundlegender Bedeutung, dass bei richtiger Auslegung des Grundgesetzes ihre Auswahl grundsätzlich nicht dem Staat, sondern den Eltern überlassen ist.“ zitiert Dr. Walter Scheuerl, Rechtsanwalt und Sprecher der Volksinitiative „’Wir wollen lernen!’“ für den Erhalt der Hamburger Gymnasien und weiterführenden Schulen ab Klasse 5“ aus den Entscheidungsgründen des Urteils. „Die Frage der Eignung und Begabung für den Übergang zur Praktischen, Technischen oder Wissenschaftlichen Oberschule darf nur dahin gestellt werden, ob ein Schüler für den von seinen Eltern gewünschten Zweig ungeeignet und nicht begabt ist. Nur wenn feststeht, dass er die Entwicklung seiner Mitschüler auf der gewünschten Oberschule hemmen würde, kann er mangels Eignung oder Begabung abgelehnt werden; …“ (OVG Hamburg, Urteil vom 16.4.1953, Aktenzeichen: Bf. II 28/53, veröffentlicht in: VerwRspr 6, 154).

Die Hamburger Schulbehörde sucht mit der Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre die Lösung für die Probleme in den Hamburger Schulen von heute in einer Schulstruktur, die in Hamburg schon in der Nachkriegszeit gescheitert und 1954 abgeschafft worden ist. „Gerade deshalb ist der Fall des kleinen Anton aus 1953 noch heute aktuell“ kommentiert Scheuerl die Bedeutung des Urteils. „Wer, wie die Hamburger Schulbehörde, 2010 das Recht der Eltern auf Wahl der weiterführenden Schulform nach der Grundschule abschaffen und die Schulstruktur der Nachkriegszeit wieder einführen möchte, muss sich entgegen halten lassen, woran das Modell der sechsjährigen Grundschule damals gescheitert ist. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg hat das Recht der Hamburger Eltern bestätigt, über die die Schulform der weiterführenden Schule für ihre Kinder zu entscheiden und ist damit heute so aktuell wie damals.“

Die Volksinitiative “Wir wollen lernen!“ setzt sich für die Erhaltung des Rechtes der Eltern ein, nach Klasse 4 die Schulform für ihre Kinder zu wählen. „Es muss bildungspolitisch viel getan werden in Hamburg. Aber die Probleme liegen nicht an den Strukturen. Es geht um kleinere Klassen, mehr Lehrer, bessere Unterrichtsmittel und zeitgemäße Inhalte. Die sechsjährige Primarschule unter Abschaffung des Elternwahlrechtes wäre ein Schritt zurück in die Nachkriegszeit des letzten Jahrhunderts. Denn die sechsjährige Grundschule scheiterte bereits im Hamburg der 50er Jahre und wurde damals zu Recht abgeschafft.“ so Scheuerl.

Hintergrund:

Die Volksinitiative „Wir wollen lernen!“ wurde im Mai 2008 als Reaktion auf die Pläne der Hamburger Koalitionsparteien GAL und CDU ins Leben gerufen. Sie setzt sich für den Erhalt der Hamburger Gymnasien und anderen weiterführenden Schulen ab Klasse 5 und für die Verbindlichkeit des Elternwillens bei der Wahl der Schulform ein.

Fachliche Unterstützung erhält die Volksinitiative unter anderem vom Deutschen Lehrerverband, der mit über 160.000 Mitgliedern in seinen Verbänden größten Lehrerorganisation in Deutschland außerhalb der Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), darunter auch der Verband Deutscher Realschullehrer (VDR), die Dachorganisation der Realschullehrerverbände auf Länderebene.

Ties Rabe(SPD): Elternwahlrecht muss bleiben

Zu dem jetzt bekannt gewordenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts Hamburg über das Elternwahlrecht erklärt der schulpolitische Sprecher der SPD-Bürgerschaftsfraktion Ties Rabe: „Dieses Urteil wirft weitere Zweifel an dem Vorhaben des Senats auf, das Elternwahlrecht abzuschaffen.“

Um diese Zweifel aus dem Weg zu räumen, bereitet Rabe derzeit eine Kleinen Anfrage an den Senat vor, in der die juristische Situation geklärt und die Gründe für die Abschaffung des Elternwahlrechtes hinterfragt werden sollen.

„Auch wenn das Urteil aus dem Jahr 1953 stammt, so ist seine juristische Begründung absolut aktuell (aus dem Urteil: „Die Art der Schulausbildung ist für die freie Entfaltung der Persönlichkeit und die Erziehung der Kinder von so grundlegender Bedeutung, dass bei richtiger Auslegung des Grundgesetzes ihre Auswahl grundsätzlich nicht dem Staat, sondern den Eltern überlassen ist.“). Wir erwarten zahlreiche juristische Auseinandersetzungen, wenn Frau Goetsch das Elternwahlrecht abschafft.“

Rabe weiter: „Wir fordern, das Elternwahlrecht beizubehalten. Ein gutes Schulsystem darf die Mitbestimmung der Eltern nicht fürchten und behindern. Wer das tut, untergräbt die Akzeptanz der staatlichen Schulen und treibt engagierte Eltern in die Privatschulen.“

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