Fakten statt Zerrbilder? „Die Arbeitgeber“ im DGB-Faktencheck

Unter dem Titel „Fakten statt Zerrbilder. Die Realität auf dem deutschen Arbeitsmarkt“ hat die BDA – die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände – ihre Sicht auf den deutschen Arbeitsmarkt veröffentlicht. Der DGB hat die Thesen der Arbeitgeber einem Faktencheck unterzogen – und kritisiert unter anderem das Lob auf die Agenda 2010.

Trotz guter Konjunktur und Arbeit verdienen viele Menschen so wenig, dass sie kaum über die Runden kommen. Menschen, deren Arbeitsplatz unsicher ist, die sich von einer Befristung zur nächsten hangeln, die nur einen Minijob finden oder einen Zweitjob benötigen, weil sie nur Teilzeit arbeiten können oder als Leiharbeiter/innen immer wieder entlassen und dann neu angestellt werden. Die BDA führt die positive Situation am Arbeitsmarkt auch auf die Agenda 2010 zurück. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sieht das anders: Die Agenda 2010 hat vor allem die Arbeitgeber entlastet und die Risiken auf die Beschäftigten verlagert. Das Ergebnis der Agenda ist die soziale Spaltung unserer Gesellschaft. Deshalb ist es höchste Zeit umzusteuern – für mehr Gleichheit, mehr Teilhabe, mehr Wohlstand und mehr Lebensqualität für alle.

Der DGB-Faktencheck in Auszügen

Das sagt die BDA: Arbeitslosigkeit ist auf niedrigstem Stand seit Wiedervereinigung – Spaltung am Arbeitsmarkt wird endlich überwunden.
Fakt ist: Zahl der Langzeitarbeitslosen fast unverändert

Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken. Das ist erfreulich. Aber damit ist keineswegs, wie die BDA meint, die Spaltung am Arbeitsmarkt überwunden. Immer noch sind zu viele Menschen arbeitslos, viele von ihnen schon sehr lange. Im Jahresdurchschnitt 2016 waren es 2,69 Mio. (Bundesagentur für Arbeit 2017a). Viel aussagekräftiger ist allerdings die Zahl der Unterbeschäftigten, sie lag im Jahr 2016 bei 3,7 Mio. Darin sind auch diejenigen Arbeitslosen enthalten, die in Maßnahmen oder kurzfristig erkrankt sind.
 
Das sagt die BDA: Beschäftigung Älterer ist auf einem sehr guten Weg
Fakt ist: Ältere Arbeitslose finden schwer wieder Arbeit

Die uneingeschränkt positive Einschätzung der Arbeitsmarktsituation Älterer durch die BDA spiegelt die Realität nur in Ausschnitten wider. Zwar ist es zutreffend, dass sich die Beschäftigung älterer Arbeitnehmer/innen in den letzten Jahren deutlich erhöht hat. Die von der BDA hervorgehobene Verdreifachung der Zahl sozialversicherungspflichtig beschäftigter 60- bis 64-Jähriger geht jedoch teilweise auf rein demografische Ursachen zurück. So erhöhte sich die Zahl der 55- bis 64-Jährigen in Deutschland allein zwischen 2008 und 2015 um 1,4 Mio. auf 11,1 Mio. Wenig überraschend, dass sich damit auch der Anteil Älterer an den Beschäftigten erhöht. Außerdem sind ältere Menschen heute deutlich besser qualifiziert als vor 15 Jahren. Da besser qualifizierte Beschäftigte ein deutlich niedrigeres Risiko von Arbeitsunfähigkeit infolge schwerer körperlicher Arbeit haben, trägt dies zur Erhöhung der Erwerbsquote bei. Völlig ausgeblendet wird in dem BDA-Papier die Situation älterer Arbeitsloser. Diese hat sich in den letzten Jahren trotz zunehmender Beschäftigungsquote verschlechtert.
 
Das sagt die BDA: Jugendarbeitslosigkeit ist auf niedrigstem Niveau in Europa
Fakt ist: Der Berufseinstieg ist oft prekär

Richtig ist, dass im europäischen Vergleich in Deutschland wenig Jugendliche arbeitslos sind. Aber: Gerade bei jungen Menschen ist der Berufseinstieg durch prekäre Beschäftigung geprägt. Bei jungen Menschen können die Arbeitgeber atypische Arbeitsverhältnisse durchsetzen, weil sie noch keine Schutzansprüche erworben haben. Oft mit gravierenden Folgen für die Betroffenen und die Gesellschaft. Der Berufsalltag junger Menschen ist geprägt von Überstunden, geringeren Einkommen und höheren Belastungen im Vergleich zu älteren Beschäftigten. Hinzu kommen Stress und atypische Beschäftigung wie Befristung oder Leiharbeit.
 
Zum Thema Arbeitslosigkeit behinderter Menschen schweigt die BDA in ihrer Broschüre
Fakt ist: Unternehmen erfüllen gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung behinderter Menschen nicht

Schwerbehinderte Menschen werden am Arbeitsmarkt benachteiligt. Darüber verliert die BDA kein Wort. Wer sich ein realistisches Bild vom Arbeitsmarkt machen will, muss aber auch die Situation schwerbehinderter Menschen berücksichtigen. Am 13. Dezember 2006 haben die Vereinten Nationen die Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) verabschiedet. Artikel 27 der UN-Behindertenrechtskonvention sieht ein gleiches Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderung vor. Deutschland hat die UN-BRK 2009 unterzeichnet und sich damit zur schrittweisen Umsetzung der Forderungen verpfl ichtet. Allerdings ist die Situation von Menschen mit Behinderung am deutschen Arbeitsmarkt zehn Jahre danach immer noch durch starke Benachteiligung geprägt. Die Statistik der Bundesagentur für Arbeit (2015) erfasst die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen. Sie lag 2015 bei 13,4 Prozent, die vergleichbare allgemeine Arbeitslosenquote betrug 8,2 Prozent. Abweichend von den bekannten Veröffentlichungen wird die Arbeitslosenquote schwerbehinderter Menschen nur auf der Basis der abhängigen zivilen Erwerbspersonen erfasst.
 
Das sagt die BDA: Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist dank Agenda 2010 auf Erfolgskurs
Fakt ist: Die Agenda 2010 hat Arbeitsmarkt gespalten

Die deutsche Wirtschaft steht gut da – auch im internationalen Vergleich. Sie ist besser als andere Länder durch die Krise gekommen. Dies liegt auch daran, dass die Sozialpartner in der Krise gut zusammengearbeitet haben und sowohl die Bundesagentur für Arbeit als auch die Bundesregierung mit viel Geld antizyklisch agiert haben. Der Nutzen der Agenda 2010 zur Schaffung von Arbeitsplätzen ist jedoch sehr zweifelhaft und allenfalls begrenzt. Die Agenda hat soziale Leistungen gekürzt, den Arbeitsmarkt dereguliert und die Flexibilität am Arbeitsmarkt zu Lasten der Beschäftigten erhöht. Sie führte zu einer Ausweitung des Niedriglohnsektors mit negativen Folgen für die Verfassung unserer Wirtschaft. Sie hat die Spaltung und die Erpressbarkeit am Arbeitsmarkt verstärkt. Sie hat Schutzlücken in die Arbeitslosenversicherung gerissen und das Versprechen, insbesondere ältere Langzeitarbeitslose durch Hartz IV besser in den Arbeitsmarkt zu bringen, nicht gehalten.
 
Das sagt die BDA: Flexible Beschäftigungsverhältnisse schaffen Arbeit und ermöglichen Teilhabe
Fakt ist: Atypische Beschäftigung ist keine Brücke in den Arbeitsmarkt

Nicht jede Form atypischer Beschäftigung ist prekär, aber sie birgt große Risiken für die Beschäftigten, weil klassische Schutzmechanismen wegfallen, Mitbestimmungsrechte nicht wahrgenommen werden und Einkommen sinken. Deshalb lohnt es sich genauer hinzuschauen. Besonders stark eingeschränkt sind die Gestaltungsspielräume von Beschäftigen bei der Arbeit auf Abruf. In Deutschland leisten rund fünf Prozent der Beschäftigten Arbeit auf Abruf (Sozio-ökonomisches Panel, SOEP). Beschäftigte können hierbei je nach Arbeitsanfall eingesetzt werden und verfügen deshalb über keinerlei Zeitsouveränität. In Betrieben mit mehr als zehn Beschäftigten nutzen sogar 13 Prozent diese Arbeitszeitform.
 
Das sagt die BDA: Teilzeit unterstützt die Vereinbarkeit von Familie und Beruf und vergrößert die Teilhabechancen für benachteiligte Personengruppen
Fakt ist: 35 Prozent der Teilzeitbeschäftigten würden gerne länger arbeiten

Es darf bezweifelt werden, dass Teilzeitbeschäftigte ihre Arbeitszeit immer frei wählen. Auffällig ist, dass in Deutschland die Diskrepanz bei der Arbeitszeit von Männern und Frauen besonders groß ist. Das deutet darauf hin, dass Teilzeit oft unfreiwillig kurz ist oder falsche Anreize – wie z. B. bei Minijobs – Beschäftigte in besonders kleine Teilzeitarbeitsverhältnisse abdrängen. Diese kurzen Arbeitszeiten ermöglichen es den Arbeitgebern, die Beschäftigten sehr flexibel einzusetzen. Vor allem im Dienstleistungsbereich wird dies als ein wichtiges Argument für Teilzeit angeführt. Die Wünsche der Arbeitgeber decken sich dabei in vielen Fällen nicht mit den Wünschen der Beschäftigten. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) hat in einer umfangreichen Studie die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten erhoben. Danach würden 55 Prozent der Vollzeitbeschäftigten gerne ihre Arbeitszeit reduzieren. Über ein Drittel der Teilzeitbeschäftigten würde gerne länger arbeiten (35 Prozent) und 18 Prozent würden gerne kürzer arbeiten.
 
Das sagt die BDA: Zeitarbeit ist keine Arbeit zweiter Klasse

Fakt ist: Leiharbeiter/innen werden zweitklassig behandelt

Im Dezember 2016 wurde die Zahl von 1 Million Leiharbeiter/innen überschritten. Leiharbeit ist seit den 80er Jahren deutlich gestiegen und hat einen Anteil von 2,8 Prozent an allen Erwerbstätigen. Der Trend, vormals „normale“ Arbeitsplätze durch Leiharbeit zu ersetzen, hält weiter an. Zum Teil gründen die Unternehmen sogar eigene Leiharbeitsfirmen, um die Tarifverträge der jeweiligen Branche zu unterlaufen. In diese neu gegründeten Unternehmen werden Arbeitsplätze »transferiert«, die vormals im Stammbetrieb angesiedelt waren. Leiharbeit ist vor allem unsicher. Mehr als die Hälfte der Leiharbeitsverhältnisse dauern weniger als drei Monate. Den 678.000 im ersten Halbjahr 2016 abgeschlossenen Leiharbeitsverhältnissen stehen 616.000 beendete Leiharbeitsverhältnisse gegenüber. Auf jedes neue Leiharbeitsverhältnis kommt also ein beendetes Verhältnis. Leiharbeit ist folglich kein Jobmotor.
 
Das sagt die BDA: Befristung hilft BerufsrückkehrerInnen
Fakt ist: Befristung schadet der Karriere

Es ist sehr fraglich – wie die BDA behauptet – ob befristete Beschäftigung für Berufsanfänger/ innen oder Berufsrückkehrer/innen ein wichtiges und akzeptiertes Modell ist. Vielmehr ist es so, dass gerade diese Gruppen keine andere Wahl haben. Sie müssen befristete Beschäftigung akzeptieren. Die Zahl der befristeten Arbeitsverhältnisse hat sich seit 2001 um 1 Mio. erhöht auf jetzt 2,7 Mio. Davon sind fast 50 Prozent Befristungen, ohne dass es einen sachlichen Grund geben würde. Die Nachteile befristeter Beschäftigung liegen klar auf der Hand und werden durch Studien gestützt: Geringere Löhne, schlechtere Arbeitsbedingungen, ein erhöhtes Risiko, arbeitslos zu werden sowie geringere Karriere- und Aufstiegschancen als unbefristet Beschäftigte führen dazu, dass 98 Prozent der befristet Beschäftigten in Deutschland einen unbefristeten Arbeitsvertrag bevorzugen würden.
 
Das sagt die BDA: Minijobs sind unverzichtbar

Fakt ist: Besser ohne Minijobs

Nach Auffassung der BDA sind Minijobs am Arbeitsmarkt unverzichtbar. In der Argumentation werden die Probleme, die mit Minijobs einhergehen, gezielt vernebelt, indem die Interessen und Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen am Arbeitsmarkt (Schüler/innen, Studierende, erwerbstätige Frauen und Männer von 15 bis 64 Jahre und Rentner/innen) pauschalisiert und gleichgestellt werden. Die Arbeitswelt ist jedoch komplexer. Von den 4,86 Mio. ausschließlich geringfügig entlohnten Beschäftigten sind rd. 2,9 Mio. im klassischen Erwerbsalter von 25 bis 64 Jahren. Gerade bei dieser Gruppe – der Frauenanteil liegt bei 71 Prozent – sind Minijobs wegen der mangelnden eigenständigen materiellen und sozialen Absicherung besonders problematisch, insbesondere dann, wenn sie über einen längeren Zeitraum ausgeübt werden.
 
Das sagt die BDA: „Aufstocken“ verhindert Armut und schafft Chancen
Fakt ist: Niedrige Löhne führen zum Aufstocken

1,1 Mio. abhängig Beschäftigte sind auf ergänzende Hartz-IV-Leistungen angewiesen, so genannte Aufstocker/innen. Rund die Hälfte (572.000) ist sozialversicherungspflichtig beschäftigt. 180.000 arbeiten sogar Vollzeit – also jede/r sechste Aufstocker/in . Die hohe Anzahl der Aufstocker/ innen ist Ausdruck der bestehenden Unordnung auf dem Arbeitsmarkt und belegt dringenden Handlungsbedarf. Niedrige Stundenlöhne und prekäre Arbeitsformen führen vielfach dazu, dass trotz Arbeit ein Leben unabhängig von Hartz-IV-Leistungen nicht möglich ist. 
Die BDA ist bemüht, dem Aufstocken mit Hartz-IV-Leistungen sein negatives Image zu nehmen und das zugrunde liegende Problem schlecht bezahlter und prekärer Arbeitsverhältnisse auszublenden.
 
Das sagt die BDA: Geeignete Auszubildende werden händeringend gesucht
Fakt ist: Immer weniger Betriebe bilden aus

Die BDA behauptet, es gebe mehr offene Ausbildungsplätze als unversorgte Bewerber/innen. Geeignete Auszubildende würden händeringend gesucht. Diese Aussage schönt die tatsächliche Lage am Ausbildungsmarkt – und steht auch im Widerspruch zum »Nationalen Bildungsbericht 2016«. Der Bildungsbericht zählt anders als die BDA: Auch im Jahr 2016 gab es 80.000 junge Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben. Ihnen standen 45.000 unbesetzte Ausbildungsplätze gegenüber.
 
Das sagt die BDA: Arbeitsvolumen ist auf Rekordniveau
Fakt ist: Arbeitsvolumen von Vollzeit-Beschäftigten ist gesunken

Die BDA erklärt, das Arbeitsvolumen in Deutschland sei auf dem höchsten Stand seit 1992. Dies sei ein Beleg dafür, dass »es immer besser gelungen ist, breite Bevölkerungsteile in den Arbeitsmarkt zu integrieren«. Fakt ist, dass wir aufgrund der stabilen ökonomischen Situation eine erfreuliche Entwicklung bei der Zahl der erwerbstätigen Arbeitnehmer/innen verzeichnen können. Fakt ist aber auch, dass sich das Arbeitsvolumen der Arbeitnehmer/innen (Voll- und Teilzeit inklusive Nebenjobs) von 51,6 Mrd. Stunden im Jahr 1992 auf 50,5 Mrd. Stunden pro Jahr im Jahr 2016 auf einem relativ konstanten Niveau bewegt. Bei Vollzeit-Beschäftigten ist das Arbeitszeitvolumen im Vergleich zu 1992 stark zurückgegangen: von 47,5 Mrd. auf 39,6 Mrd. Stunden im Jahr 2015. Dagegen ist das Arbeitsvolumen von Arbeitnehmer/innen in Teilzeit von 4,5 Mrd. (1992) auf 10,25 Mrd. im Jahr 2015 stark gestiegen. Die Teilzeitquote hat sich von 19,3 Prozent (1992) auf 38,3 Prozent im Jahr 2015 nahezu verdoppelt. Bei Frauen liegt sie sogar bei 57,8 Prozent.

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