Wolfgang Rose rügt Gunnar Eisold

ver.di-Landeschef Wolfgang Rose hat dem SPD- Bürgerschaftsabgeordneten Gunnar Eisold geraten, sich bei Bischöfin Maria Jepsen und der Nordelbischen Kirche zu entschuldigen. Eisold hatte nach einer Stein-Attacke gegen seine Wohnung erklärt, die Kirche habe durch ihre Kritik an Rechtswidrigkeiten der Ausländerbehörde „für die Gewalttäter argumentative Vorarbeit geleistet“. Insbesondere kritisierte er die zur nordelbischen Kirche gehörende Beratungsstelle „flucht.punkt“.

Wolfgang Rose: „Anschläge auf Beschäftigte der Ausländerbehörde verurteile ich klipp und klar – Gewalt darf keinen Platz haben im demokratischen Rechtsstaat. Wer von solchen Gewalttaten persönlich betroffen ist, hat Anspruch auf besonderes Verständnis und besonderen Schutz. Aber auch persönliche Betroffenheit darf keinen Politiker dauerhaft zu maßlosen Reaktionen verleiten.

Die evangelische Kirche und vor allem die Berater von „flucht.punkt“ leisten eine hoch ehrenwürdige Arbeit für Menschen, die in großer Not und Verzweiflung zu uns kommen. ver.di hat in der Vergangenheit gerne und erfolgreich mit „flucht.punkt“ zusammengearbeitet – etwa bei der Hilfe für so genannte „Papierlose“, die in Hamburg unter rechtlosen Verhältnissen und oft ausgebeutet durch extremste Niedriglöhne leben müssen. Ich selber habe – auch als stellvertretendes Mitglied der Nordelbischen Synode – die christliche Flüchtlingshilfe unterstützt. Es entspricht dem kirchlichen Auftrag von „flucht.punkt“, auf Rechtsverstöße im Verwaltungshandeln aufmerksam zu machen und Menschen zu helfen, die sonst keine Lobby haben.

Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit darf nicht in Frage gestellt werden. Öffentliche Kritik an staatlichem Handeln ist ein Wesenselement des demokratischen Staates. Der humane Einsatz von „flucht.punkt“ bei der Betreuung von Flüchtlingen ist eine Christenpflicht – er muss unterstützt und darf nicht diffamiert werden. Ich rate Gunnar Eisold zur Mäßigung und bin bei Bedarf gerne auch zu Vermittlungen bereit. Eine Entschuldigung Eisolds gegenüber Bischöfin Jepsen für die unhaltbaren Vorwürfe halte ich für angebracht.“

Hier ein Auszug aus Erklärungen von „fluchtpunkt“ zum gleichen Thema:

In eigener Sache: Zur Kritik am fluchtpunkt im Zusammenhang mit den Anschlägen auf MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde

Die Anschläge, die in der vergangenen Woche auf MitarbeiterInnen der Hamburger Ausländerbehörde verübt wurden, haben ein breites Presseecho hervorgerufen. In einem Artikel des Hamburger Abendblatts wurde dabei ein Zusammenhang mit unserer Beratungsstelle hergestellt. Das Anschlagsopfer Gunnar Eisold wird dort mit der Aussage wiedergegeben, unsere Kritik an der Arbeit der Ausländerbehörde habe den Anschlägen Vorschub geleistet. Dieser Artikel hat bei einigen Mitgliedern der NEK für Aufregung gesorgt. Sie forderten von uns eine Erklärung, wie wir eine solche Gewalttat gutheißen bzw. dieser Vorschub leisten könnten.

Einen solchen Zusammenhang herzustellen ist diffamierend und absurd. Zur Erläuterung und Klarstellung finden Sie im folgenden einen exemplarischen Email-Wechsel mit einem Kirchenmitglied, in dem wir unsere Haltung und unsere Praxis erläutern:

Am Freitag, den 22. August 2008 erreichte uns folgende Email:

„An: Info@fluchtpunkt-hamburg.de
Betreff: Anschlag auf Gunnar Eisold

Sehr geehrte Damen und Herren,
unter http://www.abendblatt.de/daten/2008/08/21/924763.html lese ich, daß auf Ihren Seiten behauptet wurde, daß die Abschiebepraxis der Hamburger Ausländerbehörde „rechtswidrig“ sei.
Sind Sie sich darüber im klaren, daß Sie mit derartigen Positionen mit dazu beitragen, daß linksautonome Kriminelle der Meinung sein können, eine Rechtfertigung für Terrorakte wie den gegen Gunnar Eisold zu haben?

Ich kann Ihnen als Mitglied der EKD nur sagen: Schämen Sie sich!

Sie mischen sich in politische Fragen ein, ohne auch nur irgendeine Art von Mandat zu haben. Natürlich meinen Sie, daß Sie das alles nur aus christlicher Nächstenliebe tun würden, aber die Vermengung christlicher Glaubenspartikel mit weltlicher Philosophie hat die Kirche Martin Luthers schon mehr als einmal dazu gebracht, schlimme Fehler zu begehen.

Als Lektüre empfehle ich Ihnen die Barmer Theologische Erklärung, die Sie unter http://www.ekd.de/bekenntnisse/142.html finden. In welch schlimmer Lage die evangelische Kirche war, als diese Erklärung verfaßt wurde, brauche ich Ihnen hoffentlich nicht zu erklären.
Schöne Grüße,
…“

In unseren Antwort legen wir die Grundlagen unserer Arbeit dar:

Sehr geehrter Herr …,

Wir danken für Ihre Email, mit der Sie Ihre Bestürzung darüber zum Ausdruck bringen, dass wir indirekt mit den Anschlägen auf MitarbeiterInnen der Hamburger Ausländerbehörde in Verbindung gebracht werden. Dies gibt uns die Gelegenheit, einige Dinge „gerade zu rücken“ und Ihnen darzulegen, warum das, was wir unter dem Dach und als Teil der Kirche tun, sowohl und vor allem mit dem evangelischen Bekenntnis, als auch mit den Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaats in Einklang steht.

Zunächst aber möchten wir, um allen Unterstellungen (die im von Ihnen verlinkten Abendblattartikel nahegelegt werden) vorzubeugen, klarstellen: Wir haben keinerlei Verständnis für die Anschläge auf MitarbeiterInnen der Ausländerbehörde. Gewalt und Einschüchterung haben in einem demokratischen Rechtsstaat nichts zu suchen und sind niemals, außer in Widerstandssituationen, auf die Sie etwa mit der Barmer Erklärung hingewiesen haben, legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Dass die Täter den AusländerInnen und auch den in der Flüchtlingsarbeit aktiven Menschen und Gruppen mit ihren Anschlägen einen Bärendienst erweisen, verdient keine weitere Erwähnung.

Für einen demokratischen Rechtsstaat konstitutiv ist allerdings sachliche, öffentliche Kritik von Regierungs- und Verwaltungshandeln. Auch die von Ihnen verlinkte Barmer Theologische Erklärung ist ja ein besonders mutiges Beispiel für öffentliche Kritik. Als Rechtsberatungsstelle für Flüchtlinge bewegen wir uns dabei qua Aufgabenstellung im juristischen Raum. Der Begriff „rechtswidrig“ ist dabei ein sehr häufig verwendeter und stehender Begriff in der juristischen Auseinandersetzung.

Die Verwaltung wendet Gesetze an und legt sie aus. Im Idealfall handelt die Verwaltung dabei rechtmäßig. Allerdings ist dies leider nicht immer der Fall. Dies ist kein neues Phänomen, sondern im Rechtsstaat seit Jahrhunderten bekannt. Deshalb gibt es zum Beispiel das rechtsstaatliche Prinzip, Verwaltungshandeln gerichtlich überprüfen lassen zu können: Die Verwaltungsgerichte. Der Streit um die Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit von Verwaltungshandeln ist also kein subversiver, ideologischer Angriff auf „den Staat“, sondern macht ihn erst zum Rechtsstaat. Er hat deshalb im Grundgesetz einen prominenten Platz (Art. 19 Abs. 4 GG).

Immer dann, wenn der Kläger vor dem Verwaltungsgericht obsiegt, wird dort festgestellt, dass der ablehnende Bescheid der Behörde zuvor „rechtswidrig“ war. Das geschieht nicht nur vereinzelt. Bei der Justizbehörde können Sie sicher statistisches Material über die Anzahl der erfolgreichen Klagen und Anträge vor dem Verwaltungsgericht erhalten.

Insofern ist es absolut nichts „ungewöhnliches“, „ungehöriges“ oder „aufstachelndes“, wenn das Handeln der Ausländerbehörde im Einzelfall von uns als rechtswidrig bezeichnet wird. Die öffentliche Auseinandersetzung über fehlerhafte (=“rechtswidrige“) Gesetzesauslegung und -anwendung sowie wünschenswerte Veränderungen des Gesetzes selbst sind wiederum Kern des demokratischen Staates. Durch öffentliche Diskussion Veränderungen herzustellen, ist eine wichtige Errungenschaft, die wir schützen sollten, statt sie als unzulässige, gefährliche oder gar dem Staatsbürger nicht zustehende Kritik/Nörgelei etc. zu verdammen.

In der Praxis der Hamburger Ausländerbehörde kommt es leider immer wieder vor, dass bestimmte Verwaltungshandlungen rechtswidrig sind. Wir werden Sie ggf. auch in Zukunft – wahrheitsgemäß – als solche bezeichnen. Dafür schämen wir uns in keiner Weise. Wir halten dies im Gegenteil für unsere demokratische und auch christliche Pflicht. Dabei spielt es eine herausragende Rolle, dass die vom Verwaltungshandeln betroffenen Flüchtlinge Menschen sind, die unserer Hilfe besonders bedürfen. Den Bedrängten und Verfolgten Schutz zu geben, schwerkranken Menschen Ruhe und Genesung zu ermöglichen, die Rechte unserer Nächsten gerade dann zu schützen, wenn sie fremd und ohne Hilfe sind, ist für uns ein Kernelement des christlichen Auftrags. Ein fehlerhaftes Verwaltungshandeln kann für diese Menschen je individuell über das gesamte weitere Leben entscheiden. Insofern werden wir auch in Zukunft für die einzelnen unsere Stimme erheben.

Über die Frage, ob unsere Aussage, die Praxis der Ausländerbehörde sei im Einzelfall oder in einer bestimmten Frage rechtswidrig, zutreffend ist, haben wir in der Vergangenheit keine Diskussion gescheut und werden dies auch in Zukunft nicht tun. Seien Sie versichert, dass wir dies nicht pauschal behaupten, wie der Abendblattartikel es nahezulegen versucht. Seien Sie genauso versichert, dass wir nicht glauben, als kirchliche Einrichtung gleichsam einen Freibrief für unwahre Unterstellungen zu haben. Wir haben aber auch keinen Maulkorb und dafür sind wir sehr dankbar. Für die Schicksale der von uns betreuten Flüchtlinge und für eine humane, christlich fundierte Praxis gegenüber Flüchtlingen setzen wir uns auch weiterhin im Auftrag der Nordelbischen Kirche nach Kräften ein. Den christlichen Auftrag, von dem die Hilfe für Flüchtlinge ganz zweifellos ein Teil ist, in den Mittelpunkt des kirchlichen Handelns zu stellen, scheint mir auch die Botschaft der Barmer Theologischen Erklärung zu sein.

Für weitere Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

In der Hoffnung, dass Ihnen dieser Erläuterungen weitergeholfen haben und klar wurde, wie absurd und diffamierend es ist, uns, als vielleicht manchmal unliebsame, jedoch der Wahrheit, dem christlichen Auftrag und dem demokratischen Diskurs verpflichtete Kritiker, mit den Anschlägen in Verbindung zu bringen und somit – etwa bei Ihnen – zu diskreditieren, verbleibe ich,

mit freundlichen Grüßen,“

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