Wattebäuschchenprozess: Skandalurteil vor Landgericht

Heute Morgen wurde Brigitte E. vor dem Landgericht Hamburg in zweiter Instanz zu einer Geldstrafe in Höhe von 20 Tagessätzen (600,- €) auf Bewährung verurteilt. Zuvor hatten sowohl der Staatsanwalt und der Verteidiger auf Freispruch plädiert.

Das ging voraus: Bürgermeister Ole von Beust hatte vor der Bürgerschaftswahl 2004 erklärt, dass keine Standardabsenkungen im Bereich der Kindertagesheime erfolgen würden. Im August 2004 legte der Senat einen Haushalt vor, der dann aber doch eine Einsparung von 24 % der Fachkräfte zum Ziel hatte.

Drei Jahre ist es nun her, dass unter dem Motto „Wahlaussagen der CDU sind Schnee von gestern“ Wattebäuschen und wolkenähnliche Flugblätter während einer Bürgerschaftssitzung von einer Loge gefallen sind. Das Werfen der Wattebäuschchen nahm Bürgerschafts-Vizepräsidentin Bettina Bliebenich zum Anlass, die Sitzung für vier Minuten zu unterbrechen. Elf Frauen, die Besucher im Bereich der Bürgerschaftsloge waren, erhielten daraufhin einen Strafbefehl, in dem ihnen vorgeworfen wurde, „am 27.10. 04 mit zehn weiteren Personen die Sitzung der Hamburger Bürgerschaft durch Werfen von Wattebäuschen und wolkenartig geformten Flugblättern von der Bürgerschaftsloge aus in den Plenarsaal in der Form gestört zu haben, dass diese in der Zeit von 17.44 Uhr bis 17.48 Uhr unterbrochen werde musste. Somit sind sie dringend verdächtigt, den Tatbestand des § 106b StGB (Störung der Tätigkeit eines Gesetzgebungsorgans) erfüllt zu haben.“

Das Amtsgericht Hamburg verurteilte Brigitte E. im November 06 zu einer Geldstrafe von 600 Euro, obwohl das Gericht feststellte, dass „ein eigenständiges `Fallenlassen´ oder Werfen von `Wattebäuschchen´ oder `Flyern´ nicht festgestellt werden kann“. Dabei „schlussfolgert das Gericht, dass die Beklagte dem Handeln der anderen Frauen zugestimmt hat und ihr das Handeln dieser Frauen insoweit zuzurechnen ist“ (aus der schriftlichen Urteilsbegründung des Amtsgerichtes).

In der Berufungsverhandlung vor dem Landgericht wurde Brigitte E. durch sämtliche Zeugenaussagen entlastet. Eine aktive Beteiligung an der Protestaktion konnte nicht nachgewiesen werden. Trotzdem wurde Brigitte E. heute verurteilt. Lediglich die Tatsache, dass sie im Bündnis der Kita-Beschäftigten aktiv sei und an der Bürgerschaftssitzung teilgenommen habe, beweise, so die Richterin, dass sie der Aktion billigend zugestimmt habe und deshalb im Sinne des § 106b schuldig zu sprechen sei.

SOAL hält dieses politische Urteil für einen Skandal. Mit dem Urteil des Landgerichtes wird ein neuer Rechtsweg beschritten, in dem bereits die Übereinstimmung in der Kritik an den Kitakürzungen für eine Verurteilung ausreichen soll.

Brigitte E. wird gegen das Urteil Revision vor dem Oberlandesgericht (OLG) einlegen.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.