Rechtsextremismus: Wer wehrt den Anfängen?

NAZISRAUS.jpgDer Hamburger Senat bleibt gegenüber dem starken Anstieg rechtsextremistischer Straftaten in Hamburg untätig. Das ergibt sich aus der Auswertung der Großen Anfrage der GAL zum Thema Rechtsextremismus in Hamburg. „Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten steigt, die Aufklärungsquote sinkt dramatisch, aber der Senat analysiert das nicht und reagiert auch nicht – er lässt es einfach laufen“, kritisiert die innenpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion Antje Möller.

“Was muss in Hamburg passieren, damit der Senat endlich die Kräfte bündelt, um gezielt gegen Rechtsextremismus vorzugehen? Müssen erst Menschen mit dunkler Hautfarbe durch die Straßen gejagt werden, damit der Senat aufwacht?“, fragt Dr. Till Steffen, GAL-Sprecher für Justiz und Verfassungsschutz.

Aus der Großen Anfrage (Drucksache 18/6063, hier als PDF) geht hervor, dass die Zahl der Ermittlungsverfahren bei rechter politisch motivierter Kriminalität (so genannte „PMK-Rechts“) stark zugenommen hat. Vor allem ist die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten extrem angestiegen, von 184 Ermittlungsverfahren im Jahr 2002 auf 400 im Jahr 2006. Die Zahl der Tatverdächtigen stieg im selben Zeitraum von 166 auf 221. Gleichzeitigen ist die Aufklärungsquote von 45,6 Prozent auf 34,9 Prozent gesunken

Wie auf diesen Anstieg reagiert wird, sagt der Senat nicht. Für den repressiven Bereich fehlt jedes Konzept. Auf die Frage nach den 2001 eingeführten „normverdeutlichenden Gesprächen“ erklärt der Senat, diese nicht gesondert zu erfassen. Auch andere, tatsächlich präventive Maßnahmen stellt er nicht dar.

Besonders besorgniserregend: In der Altersgruppe der 14- bis 17-jährigen hat die Zahl der Tatverdächtigen von 2005 auf 2006 um rund die Hälfte zugenommen (von 19 auf 30) ebenso die Zahl der Straftaten (18 auf 28) „Hier muss Prävention ansetzen“, fordert Antje Möller. Gezielte Arbeit gegen Rechtsextremes Gedankengut und Rassismus benötigt Ansprechpartnerinnen und –partner. Wo Schule oder Jugendeinrichtungen hier ansetzen, um gefährdete Jugendliche zu erreichen, dazu sagt der Senat nichts.

Auf Fragen nach der räumlichen Verteilung der rechtsextremen Straftaten in Hamburg kann der Senat ebenfalls keine Angaben machen. Er erklärt lediglich, es gäbe keine signifikanten Auffälligkeiten. Die Polizeiliche Kriminalstatistik erfasst die Zahl bestimmter Straftaten in jedem einzelnen Stadtteil, zum Beispiel die Zahl der Wohnungseinbrüche. Für rechtsextreme Straftaten existiert ein derartiges Lagebild jedoch nicht.

Einen Hinweis auf die lokale Verteilung rechtsextremer Aktivitäten geben die Veranstaltungsorte für rechtsextremistische Musikveranstaltungen, deren Zahl im Übrigen ebenfalls steigt. Seit 2001 tauchen die Stadtteile Bramfeld, Rothenburgsort, Hamm, Wilhelmsburg und Bergedorf immer wieder auf. Einen Schwerpunkt für Präventionsmaßnahmen in diesen Stadtteilen setzt der Senat jedoch nicht.

Die Antworten auf die Fragen nach Prävention und Fortbildung seit dem Jahr 2001 machen insgesamt deutlich, wie wenig politisches Gewicht auf die Jugend- und Bildungsarbeit gegen Rechts gelegt wird. Lapidar verweist der Senat auf eine einzige Fortbildung für sozialpädagogische Fach- und Führungskräfte im Jahre 2002, die dann noch nicht einmal stattgefunden hat. “Bedarfsmeldungen zu diesem Themenkomplex“ hätten in den folgenden Jahren nicht vorgelegen. Bei der Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer ist das Angebot besser, allerdings fehlen Ansätze von gemeinsamer Arbeit mit Initiativen im Quartier. Es gibt keinerlei aufsuchende Sozialarbeit für die rechte Szene. Diese sei „in den Bezirken nicht auffällig“, sagt der Senat.

Eine positive Ausnahme bildet der Bereich Sport. Hier stellt der Senat ausführlich vielfältige Erfahrungen und Auseinandersetzungen mit rechtsextremen Einstellungen dar. Vor allem beim Fußball wird präventive Arbeit geleistet und finanziell unterstützt.

Wenig weiß der Senat wiederum über die Opfer. Menschen, die Opfer einer rechtsextremistischen Straftat wurden, werden statistisch nicht erfasst. Ob die Betroffen Opferberatungsstellen aufgesucht haben und ob ihnen geholfen wurde, weiß der Senat nicht.

Blind zeigt sich der Senat auch im Hinblick auf rechtsextremistische Vorfälle in Justizvollzugsanstalten. Auf die entsprechende Frage sagt er, darüber sei ihm gar nichts bekannt. Es ist kaum glaubhaft, dass es in Gefängnissen keinerlei rechtsextreme Tendenzen geben soll. Die Täter rechtsextremer Taten werden nicht mit dem Schritt durchs Gefängnistor davon geläutert sein.

Überdies ist zumindest ein rechtsextremer Vorfall sogar aktenkundig geworden: Im Rahmen eines Besuchs der U-Haft und der Besichtigung der damals noch als Abschiebehaft genutzten Zellen fanden Mitglieder des Rechtsausschusses am 5.4.2006 in einer Zelle ein gemaltes Hakenkreuz. Direkt daneben fand sich ein Hinweis auf den Strafverteidiger Jürgen Rieger, dem jetzigen Vorsitzenden der Hamburger NPD. Erst auf Drängen des Rechtsausschusses sagte die Justizbehörde zu, dies unverzüglich zu entfernen.

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