Kita-Tarifstreit geht in die nächste Runde

Gewerkschaftsbasis lehnt Schlichterspruch im Kita-Tarifstreit ab.
Vergangene Woche ging die ver.di-Mitgliederabstimmung im Kita-Tarifstreit zu Ende. Am Wochenende wurde nun klar, dass knapp 70 Prozent der Verdi-Mitglieder den Schlichterspruch von Ende Juni ablehnten, der zwischen 2 und 4,5 Prozent mehr Geld vorsieht.

Verdi-Chef Bsirske zeigt sich kämpferisch und verlangt ein besseres Angebot. Die Arbeitgeber wollen aber nicht „draufsatteln“. Am Donnerstag kommt es zum Showdown.

Eltern von Kleinkindern müssen sich darauf einstellen, bald wieder vor verschlossenen Kita-Türen zu stehen. Verdi-Chef Frank Bsirske erklärte im Tarifstreit für Erzieher und Sozialarbeiter die Schlichtung für gescheitert und drohte neue Streiks an. Nach einem Treffen mit rund 300 Verdi-Streikdelegierten aus ganz Deutschland forderte er die kommunalen Arbeitgeber am Samstag auf, noch einmal kräftig nachzulegen, um Streiks zu verhindern. Doch die winken bereits ab. Die nächsten Verhandlungen sind am Donnerstag im hessischen Offenbach.

Knapp 70 Prozent der Verdi-Mitglieder lehnten in einer Befragung den Schlichterspruch von Ende Juni ab, der zwischen 2 und 4,5 Prozent mehr Geld vorsieht. „Das ist ein absolut klares Signal an die eigene Gewerkschaft und auch an die Arbeitgeber“, sagte Bsirske. „Der Streik wird fortgesetzt. Die Schlichtung ist gescheitert.“ Er will der Bundestarifkommission, die am Dienstag in Frankfurt am Main das weitere Vorgehen berät, eine entsprechende Empfehlung geben. „Eine Befriedung auf dieser Grundlage ist nicht möglich. Die Arbeitgeberseite ist gut beraten, das Signal ernst zu nehmen.“

Wenn die Arbeitgeber zu „substanziellen Zugeständnissen“ bereit seien, könne ein Streik noch vermieden werden, sagte Bsirske. Er kündigte „unkonventionelle Streikformen“ an. Bereits im Frühsommer waren über Wochen in vielen Bundesländern Kindertagesstätten und Horte bestreikt worden.

Der kommunale Arbeitgeberverband VKA weist die Forderung nach Zugeständnissen zurück. „Schon dieser Schlichterspruch geht bei vielen Städten und Gemeinden an die Schmerzgrenze und sieht deutliche Verbesserungen für die Betroffenen vor“, erklärte der Verband. Es müsse eine Überforderung der Kommunen vermieden werden. „Genau das droht jetzt, wenn erneut „draufgesattelt“ wird“, sagte Hauptgeschäftsführer Gerd Landsberg in Berlin.

Hintergrund des Schlichterspruchs

Die Schlichter bei den Tarifverhandlungen für die Kita-Erzieher und Sozialarbeiter haben sich einvernehmlich auf verschiedene Erhöhungen für die einzelnen Berufsgruppen geeinigt. Das gaben der frühere sächsische Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) und der ehemalige Oberbürgermeister von Hannover Herbert Schmalstieg (SPD) als Schlichter im bayerischen Bad Brückenau bekannt.

„Wir freuen uns, dass es uns gelungen ist, einen einvernehmlichen Schlichterspruch hinzubekommen“, sagte Milbradt. Er hoffe, „dass wir das Thema Streik damit zu den Akten legen können“. Beide Schlichter rieten den Tarifparteien, die Empfehlung anzunehmen, damit der neue Tarifvertrag ab Juli 2015 und für fünf Jahre gelten könne. Die Vorschläge enthielten für die Erzieherinnen und Sozialarbeiter Erhöhungen in den einzelnen Berufsgruppen von 2 bis 4,5 Prozent.

Der Beamtenbund DBB begrüßte den Vorschlag grundsätzlich. Anders als beim vorherigen Angebot der Arbeitgeber profitiere von dem Schlichterspruch der größte Teil der Betroffenen in allen Bereichen des Sozial- und Erzieherbereichs, erklärte DBB-Verhandlungsführer Andreas Hemsing. Der Kompromissvorschlag bilde „eine gute Grundlage für die nächste Verhandlungsrunde“.

In den Reihen der Gewerkschaft wird der Schlichterspruch dagegen sehr kritisch betrachtet. Eine ver.di-Streikdelegiertenkonferenz hatte sich deshalb darauf verständigt, die Gewerkschaftsmitglieder über den Schlichterspruch oder ein neues Verhandlungsergebnis abstimmen zu lassen. „Die Mitglieder haben jetzt das Wort“, sagte Frank Bsirske. Der Gewerkschaftschef legte sich aber selbst nicht eindeutig in der Bewertung des Schlichterspruchs fest. Er empfehle den Mitgliedern eine „ruhige, nüchterne Abwägung“ zwischen dem vorliegenden Ergebnis und dem, was wünschenswert sei, sagte Bsirske.

Die Arbeitgeber zeigten sich daraufhin enttäuscht und bedauerten, dass es zu keinem Tarifabschluss auf Basis des Schlichterspruchs gekommen sei. Sie seien mit Zuversicht in die Verhandlungen gegangen, sagte VKA-Präsident Böhle. Die Zustimmung zu der Empfehlung sei den Kommunen nicht leicht gefallen, aber sie seien bereit gewesen, zu diesen Konditionen einen Abschluss zu erzielen.

Die Gewerkschaft ver.di sowie die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) fordern eine bessere Bezahlung der rund 240.000 kommunalen Kinderpfleger, Erzieher und Sozialarbeiter, die sie gegenüber der Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände (VKA) vertreten. Dies soll nicht mit einer pauschalen Lohnerhöhung erreicht werden, sondern durch eine um mehrere Stufen höhere Eingruppierung in der Gehaltstabelle.

Je nachdem wie viel Berufserfahrung die Mitarbeiter haben, könnte das einen Lohnzuwachs von bis zu 15 Prozent bedeuten. Für Kita-Leiter/innen fordern die Gewerkschaften einen Zuwachs von teilweise mehr als 17 Prozent. Im Durchschnitt sollen die Angestellten zehn Prozent mehr verdienen.

Diese Forderung begründen ver.di und die GEW auch damit, dass die Berufsgruppe in den vergangenen Jahren deutlich weniger von Gehaltssteigerungen profitiert habe als der Durchschnitt der Arbeitnehmer. Zwischen 2004 und 2013 habe sich das Gehalt der Erzieher/innen zwar um mehr als 14 Prozent erhöht, das Durchschnittsgehalt aller Arbeitnehmer jedoch um 21,2 Prozent. Außerdem seien die Anforderungen in sozialen Berufen stark gestiegen.

Laut Arbeitgeberseite würden die Gewerkschaftsforderungen die Kommunen pro Jahr 1,2 Milliarden Euro kosten. Die VKA hält diese Belastung für zu hoch. Sie warnen vor Beitragserhöhungen und Einschränkungen bei der Betreuungsqualität. Außerdem würden Erzieher/innen im öffentlichen Dienst im Vergleich mit anderen Berufsgruppen bereits jetzt gut bezahlt.

Ver.di-Chef Bsirske hingegen will sich nicht mit dem Argument fehlender Mittel vertrösten lassen. Die Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Kommunen seien deutlich gestiegen – und das setze sich nach allen Prognosen in den nächsten Jahren fort. „Wenn wir solche Argumente in dieser Situation akzeptierten, könnten wir uns mit der Aufwertung der sozialen Berufe gleich auf zwei bis drei Jahrzehnte vertagen. Das können wir uns gesellschaftlich nicht leisten.“

17.500 Kitas sind vom Tarifkonflikt betroffen

In den 53.415 deutschen Kindertageseinrichtungen werden zurzeit mehr als 3,2 Millionen Kinder betreut. Mit 35.000 Einrichtungen ist ein Großteil der Kitas in der Hand von freien Trägern wie Caritas oder Arbeitswohlfahrt, welche vom Tarifkonflikt nicht betroffen sind. Bestreikt werden ausschließlich die etwa 17.500 Kitas öffentlicher Träger, in denen rund 1,8 Millionen Kinder angemeldet sind.

Chronologie des Arbeitskampfes

Anfang April machen Erzieher im Kampf um eine bessere Bezahlung Druck auf die Arbeitgeber. Vorerst sind nur einzelne Einrichtungen in vier Bundesländern von Warnstreiks betroffen, wenig später beteiligen sich rund 7000 Erzieher in fast allen Bundesländern. Ver.di und die Gewerkschaft GEW fordern für die rund 240.000 Erzieher, Sozialarbeiter, Sozial- und Heilpädagogen in kommunalen Einrichtungen eine bessere Eingruppierung, was laut ver.di zu Einkommensverbesserungen von durchschnittlich zehn Prozent führen würde. Indirekt sollen von einem Tarifergebnis auch mehr als 500.000 Beschäftigte bei freien und kirchlichen Trägern profitieren, da Tarifverträge hier übernommen werden oder als Orientierung dienen. Die Vereinigung Kommunaler Arbeitgeberverbände wies pauschale Erhöhungen wiederholt zurück.

Nachdem die Gewerkschaft ver.di die Tarifverhandlungen Ende April für gescheitert erklärt, lässt sie ihre Mitglieder in einer Urabstimmung über einen unbefristeten Streik entscheiden.

Am 08. Mai treten die Erzieher in einen unbefristeten Streik ein, weshalb sich zehntausende Eltern nach alternativen Betreuungsmöglichkeiten für ihre Kinder umsehen müssen. Neben Erzieherinnen legen auch Sozialarbeiter und Sozialpädagogen etwa in Jugendzentren die Arbeit nieder. Nach Angaben der Gewerkschaft ver.di beteiligen sich fast 20.000 Beschäftigte des Sozial- und Erziehungsdienstes in fast allen Bundesländern.

Am 23. Juni einigen sich die Schlichter einvernehmlich auf verschiedene Erhöhungen für die einzelnen Berufsgruppen. Gewerkschaften und kommunale Arbeitgeber stimmen einer Übernahme des Kita-Schlichterspruchs dennoch nicht zu. Nach einer Mitgliederbefragung der Gewerkschaften sollen die Gespräche im August weitergehen. Neue Streiks wird es bis dahin nicht geben.

Für eine optimale Kinderbetreuung wären 120.000 zusätzliche Erzieher nötig

Bei der Arbeitsbelastung gibt es große Unterschiede zwischen Ost und West. Die Bertelsmann-Stiftung hat ermittelt, dass sich eine Erzieherin in Ostdeutschland um durchschnittlich 6,3 Kinder kümmern muss, während es in den westdeutschen Bundesländern lediglich 3,8 Kinder sind. In der Praxis ist der Personalschlüssel jedoch noch schlechter, da eine Erzieherin aufgrund von Teamgesprächen, Fortbildung und Urlaub höchstens 75 Prozent ihrer Arbeitszeit für pädagogische Arbeit nutzen kann.

Die Stiftung empfiehlt, dass bei unter Dreijährigen eine Erzieherin für höchstens drei Kinder verantwortlich sein sollte. Für die Altersgruppe ab drei Jahren sollte der Personalschlüssel nicht schlechter als 1:7,5 sein. Am geringsten ist die Arbeitsbelastung in Bremen (3,2 Kinder pro Erzieher/in) und Baden-Württemberg (1:3,3).

Um die Personalschlüssel bundesweit den Empfehlungen der Bertelsmann-Stiftung anzupassen, wären laut Schätzung etwa 120.000 zusätzliche Erzieher/innen erforderlich. Das würde nach Berechnungen der Stiftung jährlich rund fünf Milliarden Euro kosten.

Susanne Roggenkamp, mit Material von tagesschau.de, heute.de und dpa

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