Helmut Schmidt kontra Angela Merkel

„Angela Merkel regiert nicht vorbildhaft in der Euro-Krise.“ Helmut Schmidt (93) hat erhebliche Kritik an dem politischen Agieren der Bundeskanzlerin in Europa geäußert.

Im HÖRZU-Interview analysiert Schmidt die Gründe für seine Vorbildhaftigkeit („Ich habe mein Leben lang Klartext geredet, war anständig und fleißig – aber natürlich spielen auch die weißen Haare eine Rolle.“) und definiert erstmals jene Moral, nach der er gelebt hat: „Fast alle Philosophien und alle Regeln und alle Religionen der Welt kennen die Goldene Regel. Sie sagt: ‚Handle so, wie du möchtest, dass andere Leute dir gegenüber handeln.‘ Die Goldene Regel finden Sie im Islam, bei den alten Griechen, in der Stoa, bei den alten Römern, aber auch im Christentum.“

Eine, die laut Schmidt derzeit nicht nach der Goldenen Regel handelt, ist Angela Merkel. Der 93-Jährige übt scharfe Kritik an der Kanzlerin: „Merkel regiert nicht vorbildhaft in der Euro-Krise, hat den Pragmatismus übertrieben. Und es ist ihr nicht bewusst geworden, dass ihre Art zu regieren und ihre Art zu reagieren sie und damit das wiedervereinigte Deutschland in eine Art von Schlüsselposition gebracht hat gegenüber anderen europäischen Nachbarn, eine Art von Schlüsselposition, die mit einem historisch gerechtfertigten Argwohn betrachtet wird. Es war nicht vorherzusehen, dass Deutschland 20 Jahre nach der Wiedervereinigung plötzlich die wirtschaftlich bedeutendste Macht Europas sein würde. Das ist auch nicht Merkels Verdienst. Aber sie hat dieses Verdienst in Anspruch genommen, und sie hat es ein bisschen zu weit in Anspruch genommen.“

Die größten Probleme Deutschlands sieht Schmidt nicht in der Überalterung, der Migration und der Euro-Krise, sondern in der „Bewältigung der Erinnerung“: „Die Deutschen werden noch im ganzen 21. Jahrhundert vor dem Problem stehen, dass sie es waren, die in den Augen der Franzosen, Polen, Italiener, Holländer, Dänen, Tschechen und all unserer europäischen Nachbarn den Zweiten Weltkrieg gewollt und geführt und verloren haben. Und die sechs Millionen jüdischer Mitbürger ums Leben gebracht haben. Es ist weniger der Imperialismus Adolf Hitlers, der den Argwohn gegenüber den Deutschen aufrechterhalten wird, als vielmehr der fabrikmäßige Mord in Auschwitz. Es gibt andere Fälle von Völkermord, aber es gibt keinen Fall von dieser Größenordnung. Das spezifische Problem der Deutschen ist die Bewältigung der Erinnerung – das bewusste Leben damit.“

In Talkshows indes will und wird Helmut Schmidt auch weiterhin nicht die Lage der Nation analysieren: „Ich bin noch nie in meinem Leben in einer Talkshow gewesen, denn Talkshows zu viert oder fünft sind eine Verführung zur Oberflächlichkeit. Die Tatsache, dass dort fünf Leute und ein Talkmaster miteinander reden, zwingt dazu, dass einer von ihnen – wenn er Glück hat, so viel Zeit zu bekommen – nach spätestens drei Minuten aufhören muss zu reden. Aber was kann man schon in drei Minuten sagen? Entweder grundlegende Weisheiten, was selten vorkommt. Oder oberflächliche Bemerkungen, was die Regel ist. Deshalb bin ich ein Gegner von Talkshows. Ich war höchstens bei Interviews mit maximal drei Personen.“

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