DGB: Norden braucht neue Kaufkraft

Reaktion auf die Niedriglohn-Warnung des Wirtschaftsministeriums

„Sinkende Reallöhne für fast die Hälfte der Beschäftigten im Norden: Das darf so nicht bleiben. Die Niedriglohn-Warnung des Bundeswirtschaftsministeriums mitten in einer Boomphase der deutschen Wirtschaft muss von den Arbeitgebern und Landesregierungen ernst genommen werden und zu wirksamen Impulsen für Tarifverträge, Kaufkraft und eine effiziente Wirtschaftsförderung führen. Gute Arbeit, Teilhabe und ein starkes Lohnplus für die unteren Einkommensgruppen müssen ganz oben stehen auf der Prioritätenliste. Auch die Gewerkschaften werden hier mehr tun, am besten gelingt dies durch offensive Tarifkämpfe mit vielen Mitgliedern. Sonst bleibt der Lohnkeller auf dem unerträglich tiefen Niveau einbetoniert – mit allen Problemen auch für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Und fehlende Kaufkraft ist auch immer eine Gefahr für die norddeutsche Wirtschaft insgesamt.“ Mit diesen Worten hat Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord, auf jüngste Daten des Bundeswirtschaftsministeriums reagiert. Die abnehmende Tarifbindung im Norden führe dazu, dass sich auch bei Löhnen und Einkommen die Schere immer mehr spreize.

Bundesweit haben rund vierzig Prozent der Beschäftigten niedrigere Reallöhne als noch vor zwanzig Jahren, heißt es im gestern veröffentlichten Papier des Ministeriums. Die Ungleichheit sei auf einem historisch hohen Niveau. Ein Großteil der Bevölkerung habe heutzutage weniger Kaufkraft, die oberen 60 Prozent verbuchten demgegenüber teils ausgeprägte Zuwächse. Insgesamt seien Reallöhne seit 2013 in Deutschland um 1,8 Prozent gestiegen, doch es bestehe „weiterhin Nachholbedarf für Lohnsteigerungen“. Seit der Jahrtausendwende sind nur in Portugal und Griechenland die Löhne so langsam gestiegen wie in Deutschland.

Den größten Nachholbedarf bei den Arbeitnehmereinkommen gibt es in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern, aber auch Niedriglohnbezieher in der hochpreisigen Metropolregion Hamburg brauchen dringend deutlich höhere Einkommen, so der DGB Nord. „Die Gewerkschaften erwarten von den Arbeitgebern eine stärkere Tarifbindung. Landesregierungen können dazu Rahmenbedingungen setzen und auch Wirtschaftsförderungsmittel an die Schaffung unbefristeter, sozialversicherungspflichtiger und tarifgebundener Arbeitsplätze binden. In tarifgebundenen Unternehmen fällt der Lohn bei Vollzeitbeschäftigten durchschnittlich in Mecklenburg-Vorpommern etwa 700 Euro, in Schleswig-Holstein 800 EUR und in Hamburg 650 EUR höher aus. Das würde gerade für Niedriglohnempfänger einen großen Sprung nach vorne bedeuten“, so Uwe Polkaehn.

Fielen 1998 noch 76 Prozent der in den alten Bundesländern Beschäftigten unter einen Tarifvertrag, so sind es 2016 nur noch 58 Prozent gewesen, ein Minus zum Vorjahr um einen Prozentpunkt. Acht von zehn Betrieben und weit mehr als die Hälfte der Beschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern haben keinen Tarifvertrag. Die Medianentgelte von Frauen und Männern lagen Ende 2016 in Schleswig-Holstein knapp 400 Euro unter dem westdeutschen Bundesschnitt, in Mecklenburg-Vorpommern sogar mehr als 800 Euro unter dem gesamtdeutschen Schnitt. Das Lohnniveau erreicht in Mecklenburg-Vorpommern nur 74 Prozent des Bundesdurchschnitts, in Schleswig-Holstein 92 Prozent bzw. 88 Prozent des westdeutschen Schnitts. Der Median der monatlichen Bruttoarbeitsentgelte von Vollzeitbeschäftigten in Mecklenburg-Vorpommern liegt damit sogar um 35 Prozent unter dem Verdienst in Hamburg. Die Stundenentgelte in tarifgebundenen Unternehmen fallen 30 bis 50 Prozent höher aus als in tarifungebundenen.

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