DGB: Mindestlohn anheben, Betriebe kontrollieren

Zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes muss die Mindestlohnkommission am morgigen Dienstag über die Anpassung der gesetzlichen Lohnuntergrenze befinden. Der Mindestlohn ist ein stabiles Erfolgsmodell. Die unteren Einkommen wachsen, neue Kaufkraft entsteht, Minijobs werden in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung umgewandelt. Und der Mindestlohn soll 2017 deutlich steigen.

Allein der Abschluss in der Metall- und Elektrobranche würde den Mindestlohn zusätzlich um rund 4 Cent erhöhen, der des Öffentlichen Dienstes um etwa 6 Cent – 10 Cent zusätzlich also, die die Arbeitgeber den Beschäftigten im Niedriglohnsektor vorenthalten wollen. Jeder Cent mehr bedeutet einen Kaufkraftgewinn von 70 Millionen Euro jährlich. Das Problem: Noch kommt der Mindestlohn nicht bei allen Berechtigten an, weil es an Kontrollen vor allem in kleineren und mittleren Betrieben mangelt. Der DGB Nord fordert eine höhere Prüfdichte und mehr Kontrolleure.

Der gesetzliche Mindestlohn müsse nun so weiterentwickelt werden, dass er einen weiteren Schritt zur Bekämpfung von Armut und Altersarmut bedeute, sagte Uwe Polkaehn, der Vorsitzende des DGB Nord, mit Blick auf die Sitzung der Mindestlohnkommission. Die Ausgangsbedingungen für ein kräftiges Plus seien jetzt ideal: „Die Konjunktur läuft rund, die Wirtschaft brummt, die Konsumfreude ist da.“ Bei der Anhebung des Mindestlohns orientiert sich die Kommission am Tarifindex des Statistischen Bundesamts. Dabei müssen alle Tarifabschlüsse und –steigerungen in die Grundlage zur Anpassung einfließen, auch die des Öffentlichen Dienstes und der Metall- und Elektrobranche.

In den Branchen, für die der gesetzliche Mindestlohn relevant ist, gab es bisher viel zu wenige Kontrollen. Obwohl in Teilen des Gastgewerbes, insbesondere in Gaststätten und Hotels, der Mindestlohn oft nicht eingehalten wird und Schwarzarbeit häufig ist, fanden hier nur 17 Prozent der Prüfungen statt. Kontrollen schützen nicht nur Beschäftigte – auch Arbeitgeber, die sich an das Gesetz halten und unter der Schmutzkonkurrenz leiden, profitieren davon.

Defizite werden auch anhand der Bußgeldzahlen deutlich: Von den Geldbußen in Höhe von insgesamt 43,4 Millionen Euro, die 2015 bundesweit festgesetzt wurden, entfielen lediglich 200.000 Euro auf Mindestlohnverstöße nach dem neuen Gesetz. Hier muss stark nachgebessert werden. Kontrollen dürfen sich nicht vorrangig auf Branchen und Betriebe mit vielen Beschäftigten konzentrieren. Auch kleinere Firmen müssen überprüft werden.

Die Zahlen dazu im Norden:

In Schleswig-Holstein wurden im Jahr 2015 nur insgesamt 27 Verfahren nach dem Mindestlohngesetz eingeleitet, in Mecklenburg-Vorpommern 20 und in Hamburg sogar nur 13 Verfahren. Sanktionen wurden insgesamt nur in elf Fällen verhängt. Die dabei verhängten Bußgelder versprechen keine allzu großen Schmerzen bei den betroffenen Arbeitgebern: In Schleswig-Holstein wurden 1.164 Euro insgesamt fällig, in Hamburg 1.631 Euro und in Mecklenburg-Vorpommern 8.545 Euro.

Die Kontrollen bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) müssen daher dringend aufgestockt werden. Trotz der Einführung des Mindestlohns wurde das Personal der FKS (rund 6.700 Stellen) nicht – wie ursprünglich versprochen – verstärkt. Um Grenzen und Flüchtlinge zu kontrollieren, wurde sogar Personal abgezogen. Die Gewerkschaften fordern die rasche Aufstockung auf mindestens 10.000 Stellen bei der FKS.

Eine aktuelle DGB-Auswertung neuer Zahlen zur Verdienst- und Beschäftigtenentwicklung straft all diejenigen Lügen, die im Vorfeld zur Einführung des gesetzlichen Mindestlohns Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt heraufbeschworen haben. So sind die Verdienste der sozialversicherungspflichten Vollzeitbeschäftigten ohne Sonderzahlungen in der Leistungsgruppe 5, also der Un- und Angelernten, bundesweit um 2,5 Prozent (West: 1,8 Prozent, Ost: 7,5 Prozent) gestiegen. Die Beschäftigung (sozialversicherungspflichtige Teilzeit- und Vollzeitbeschäftigte ohne Minijobber) wuchs in Gesamtdeutschland um 2,6 Prozent (West: 2,6, Ost: 2,3). Das ergibt DGB-Analyse der Zahlen des Statistischen Bundesamts von Dezember 2015 im Vergleich mit dem Vorjahr auf der Basis der Bruttostundenlöhne von sowie der Beschäftigtenstatistik der Bundesagentur für Arbeit. Der Mindestlohn hat vor allem Beschäftigten in ostdeutschen Dienstleistungsbranchen ein kräftiges Lohnplus beschert. Die positiven Entwicklungen durch den Mindestlohn haben auch zu dem „Kaminzug-Effekt“ geführt, also zu einem Anstieg der Löhne in den Tarifgruppen auch oberhalb von 8,50 Euro pro Stunde.

Auch die Entwicklung der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verlief im Norden positiv.
Uwe Polkaehn: „Das Plus an Kaufkraft entsteht real nur, wenn der Mindestlohn auch tatsächlich fließt. Die meisten Unternehmen sind gesetzestreu. Aber Arbeitgeber, die sich vor dem Mindestlohn drücken, verhalten sich kriminell. Das ist kein Kavaliersdelikt und muss Sanktionen nach sich ziehen. Deshalb muss jetzt auch mehr Personal in die zuständigen Ämter. Die versprochenen zusätzlichen Beamten sind bisher nicht bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) angekommen, die Kontrollen waren in 2015 rückläufig, und geprüft wurden nur die großen Fische. Die Begründung für den Rückgang der Kontrollen – man prüfe nun risikoorientiert in den hauptgefährdeten Branchen – ist nicht hinreichend. Wer schwarze Schafe verhindern will, muss deutlich machen, dass Verstöße bei allen jederzeit entdeckt und sanktioniert werden können. Immer wieder erreichen den DGB Hinweise, dass es trotz massiver Mindestlohn-Verstöße, die dem Zoll gemeldet werden, kaum Reaktionen gab. Das ist das falsche Signal. Wir sehen aber, dass immer mehr billige Minijobs in ordentliche Arbeitsverträge mit Sozialversicherung überführt werden. Genau diesen Effekt haben wir gewollt, denn aus Minijobs entstehen auch nur Minirenten. Ab 1. 1. 2017 wird er Mindestlohn steigen – die Höhe legen aber nicht wir fest, sondern die zuständige Kommission. Von 8,50 Euro kann niemand große Sprünge machen, deshalb muss der Mindestlohn jetzt Schritt für Schritt angehoben werden. Löhne und Renten müssen zum Leben reichen. Geschäftsmodelle, die auf Lohndumping beruhen, haben keine Zukunft mehr.“
Mecklenburg-Vorpommern profitiert bundesweit am stärksten von der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns. Auffallend ist auch der Lohnanstieg bei den Ungelernten und Frauen in alle drei norddeutschen Bundesländern. Die Zahl der Arbeitslosen ist gesunken – die Unkenrufe der Arbeitgeber hatten mit der Realität nichts zu tun.
Weitere Fakten zur Mindestlohnanhebung

Zum ersten Mal seit Inkrafttreten des Mindestlohngesetzes muss die Mindestlohnkommission über die Anpassung der Lohnuntergrenze befinden und bis zum 30.6. einen schriftlich begründeten Beschluss vorlegen. Dann entscheidet die Bundesregierung, ob sie diesen per Rechtsverordnung umsetzt oder nicht. Eigene Vorschläge darf das Bundesarbeitsministerium nicht machen. Vorgegeben ist neben einer Gesamtabwägung die nachlaufende Orientierung am Tarifindex des Statistischen Bundesamtes auf Stundenbasis ohne Sonderzahlungen. Während die Arbeitnehmerseite auch Tarifabschlüsse aus der Metall- und Elektrobranche sowie dem Öffentlichen Dienst einbeziehen will, die nur noch nicht auf dem Gehaltszettel der Beschäftigten angekommen sind, lehnen die Arbeitgeber das ab. Hier geht es nicht um Peanuts. Der Abschluss in der Metall- und Elektrobranche würde einer Anhebung des Mindestlohns um rund 4 Cent entsprechen, der des Öffentlichen Dienstes um etwa 6 Cent – 10 Cent also, die die Arbeitgeber den Beschäftigten im Niedriglohnsektor vorenthalten wollen. Fakt ist: Die beiden Tarifabschlüsse wurden vor dem maßgeblichen Stichtag 30. Juni abgeschlossen. Auch wenn sie erst danach gelten, sollten sie mit in die Berechnung der Mindestlohnanhebung einfließen: Die Beschäftigten können bereits jetzt mit der Erhöhung ihrer Entgelte rechnen und Ausgaben planen. Die Anhebung des Mindestlohns um einen Cent bedeutet immerhin einen Kaufkraftgewinn von 70 Millionen Euro jährlich. Das stärkt die Steuereinnahmen und das soziale Sicherungssystem.

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