Bischöfin Fehrs: Armut ist kein Schicksal

Die neue Bischöfin im Sprengel Hamburg und Lübeck, Kirsten Fehrs, warnt vor wachsendem Elend: „Gerade in Hamburg, der reichsten Stadt Deutschlands, steigt die Armut.“ Diese zu bekämpfen, sei die gemeinsame Aufgabe von Kirche, Diakonie und Politik.

Zum traditionellen Adventsempfang der Nordelbischen Kirche in der Jacobi-Kirche kamen mehrere hundert Menschen, darunter auch Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Fehrs ist das Oberhaupt von 226 Kirchengemeinden, in denen etwa 900 000 evangelischen Christen leben.

Fehrs rief dazu auf, der zunehmenden Gott- und damit Heilsvergessenheit in der Gesellschaft entgegenzutreten. Es gelte, von der weihnachtlichen Vision des kleinen Kindes, das die Welt verändere, zu erzählen. Daraus sei auch ein Umkehrschluss zu ziehen. „Achtet nicht die Würde derer gering, die verletzt sind und beiseite geschwiegen, die erniedrigt wurden und klein gemacht. Achtet nicht eines der Kleinen gering, denn in ihnen ist Gottes Achtung für jedes Geschöpf präsent.“

Im weiteren Verlauf ihrer Rede skizzierte die Bischöfin das Programm für ihre Amtszeit als „eine der Welt zugewandte Theologie mit ethischem Nachdenken über Themen, die keine einfachen Antworten brauchen können. Einem Handeln, wenn es an der Zeit ist und mit einem Eintritt in den Dialog dort, wo Stummheit droht.“ Sie hob hervor, dass dabei nicht alle Themen sofort und erschöpfend behandelt werden könnten. So sei insbesondere bei dem Thema der sexualisierten Gewalt in der Kirche Sorgfalt und Geduld gefordert. „Weil es mit tiefer Verletzung verbunden ist und mit der Erfahrung ständiger Demütigung, verdient es in seiner Differenziertheit sensible Einfühlung und ruhige Gründlichkeit.“ In diesem Zusammenhang sagte sie weiter: „Die Erwartungen an die Bischöfin, die öffentlich geäußert werden, zeugen von einem Druck, der sicherlich zum einen den Betroffenen geschuldet ist, die Aufklärung und Eingeständnisse fordern. Dazu haben sie unbedingtes Recht.“ Irritierend sei jedoch die hochemotional besetzten Erwartungen, die geradezu messianischen Charakter enthielten. Erleuchtend, lösend, aufklärend, alles erfassend, sofort handelnd müsse die Kirche jetzt sein. „Enttäuschung ist vorprogrammiert, weil kein Mensch, auch ich nicht, leisten kann, was ich als Wunsch zutiefst verstehe: eine Form der Satisfaktion, die binnen kürzester Zeit die langjährige, tiefe Verletzung von Körper und Seele, wenn schon nicht heilen, so doch wenigstens ausgleichen kann“, so Fehrs. Die Bischöfin betonte, dass sie dabei auch die Schuld der Kirche sehe: „Menschen in unserer Kirche haben so vielen grausames Leid zugefügt. Dass dies geschehen konnte, dafür bitte auch ich Sie in aller Form um Verzeihung.“

Zum weiteren Umgang mit den Geschehnissen aus den 1970er und 1980er Jahren in der Kirchengemeinde Ahrensburg sagte die Bischöfin: „Ich will die Vorgänge verstehen. Genau so wie etliche Betroffene und Gemeindemitglieder, wie die anderen Mitglieder der Kirchenleitung, wie die Präventionsgruppe des Kirchenkreises Hamburg-Ost. Das sind wir zuallererst den Betroffenen schuldig. Wie andere in unserer Kirche es seit Monaten tun, will ich nachfragen, meine Gesprächsbereitschaft anbieten und versuchen, aus meinem Verstehen Schlussfolgerungen zu ziehen, die wirksam sind.“

Auf diesem Weg seien zunächst drei Schritte angedacht: Zum einem werde die externe Hilfe von Fachpsychologen herangezogen, um neben der juristischen Aufarbeitung auch psychologisch aus den Versäumnissen und Fehlern der Institution Kirche zu lernen. Das brauche Zeit und Geduld, so die Bischöfin. „Zum anderen werde ich gemeinsam mit Bischof Ulrich am 1. April 2012 einen Gottesdienst in der Kirchengemeinde Ahrensburg feiern und uns anschließend in einer Gemeindeversammlung den Fragen der Gemeindeglieder stellen“, so Fehrs weiter. Ein dritter Schritt werde nicht öffentlich sichtbar sein. „Ich habe denjenigen, die sexualisierte Gewalt in Ahrensburg erlebt haben, persönliche und vertrauliche Gespräche angeboten und werde ein solches Gespräch mit allen führen, die das möchten“, sagte die Bischöfin.

Im weiteren Verlauf ihrer Rede ging Kirsten Fehrs auf die Themen Armut, Arbeitsmarktpolitik und religiöse Armut ein. „Armut ist kein Schicksal.

Sie ist ein Thema der Kontraste und damit eine soziale Frage der Beziehung von Reichen zu den Armen. Gerade in Hamburg, der derzeit reichsten Stadt Deutschlands, steigt die Armut.“ Dabei gelte es auch hier die Lehre Jesu zu bedenken: „Gebt acht, dass ihr nicht eines der Kleinen gering schätzt.“ Diese Ethik sei deshalb so klug, weil sie nicht in das Arm-Reich-Klischee einsteigt, nach der die Armen selig sein sollen und die Reichen verdammt. „Sondern es geht ums Achtgeben. Genau hinschauen. Die Armut benennen, ohne zu stigmatisieren“, so Fehrs. Sie sehe hier eine gemeinsame Aufgabe von Kirchen, Diakonie und Politik. Es gebe jeweils gute Ansätze, wirksame und vor allem viele Einzelprojekte.

Es wäre hilfreich, hierbei zusammen zu wirken.

Zur aktuellen Diskussion um die Arbeitsmarktpolitik forderte Bischöfin Fehrs den Senat der Freien und Hansestadt Hamburg auf, gemeinsam mit Kirche und Diakonie Lösungen zu erarbeiten, die den Menschen in den Stadtteilen zugute kommen würden. „Ohne stadtteilnahe und öffentlich geförderte Beschäftigung in ausreichendem Maße könne dies nicht gelingen. „Mit den für Hamburg in Aussicht gestellten zusätzlichen zehn Millionen Euro Arbeitslosenförderung des Bundes können Alternativen zu den 1-Euro-Jobs aufgebaut und Langzeiterwerbslosen sozialversicherungspflichtige Beschäftigung in Stadtteilprojekten angeboten werden. Lassen Sie uns gemeinsam nachdenken! Hier liegt eine Chance, dass die Schere zwischen Arm und Reich nicht noch weiter auseinander geht.“

Unter der Überschrift „Religiöse Armut macht krank“ ging Bischöfin Fehrs im letzen Teil ihrer Rede auf die Problematik der vermehrten Depressionserkrankungen in der Gesellschaft ein. „Es gehört zu den Kehrseiten unserer Leistungsgesellschaft, dass die Volkskrankheit Nr. 1 Depression heißt.“ Es wäre ein erster heilsamer Schritt, laut darüber nachzudenken und zu reden, was denn in diesen Leistungssystemen – etwa des Sportes, der Medien und der Politik – krank mache. Doch das Problem reiche noch viel tiefer. Bischöfin Fehrs weiter: „Vielen fehlt der Kontakt zu einer Vision. Zu eben jener Verheißung des Anfangs.

Etwas, das über einen selbst hinaus weist und Sinn gibt, weil es gerade nicht aus einem selbst heraus kommt. Ich erlebe in unserer Gesellschaft eine Art metaphysische Obdachlosigkeit. Sie lässt uns da stumm werden, wo unser Leben als Ganzes auf dem Spiel steht: sein Sinn und sein Ziel, unser Vertrauen und unsere Gewissheiten.“ Religionen und Konfession müssten verstärkt von ihren Visionen erzählen. So sei es wichtig, den Menschen von klein auf religiös wieder Obdach zu geben, weil sonst Grundüberzeugungen wie Nächstenliebe und Toleranz verloren gingen.

„Die braucht es aber. Gerade jetzt, wo fremdenfeindliche, rassistische und rechtsradikale Gedanken wieder mehr Verbreitung finden“, so Bischöfin Fehrs.

„Bloß die Kleinen nicht gering achten, es könnte uns das Leben kosten“, sagte die Bischöfin am Ende ihrer Rede. „Überraschend ließ sich das jüngst auf einem Senatsempfang lernen. Da hat „Rosi und die Knallerbsen“, eine Band junger Männer und Frauen mit Behinderungen, innerhalb kürzester Zeit den Saal aufgemischt. Haben uns mit einer Lebensfreude überwältigt, die jedes Protokoll nebensächlich machte.“ Auch in solch einem Erlebnis werde die Vision Gottes deutlich. „Der Allmächtige wird Mensch – klein zunächst, obdachlos und arm. Er schließt alles Menschliche ein und liebt es. Mit seinen Versehrtheiten, Brüchen, den Handicaps und dem Unversöhnlichen. Aber auch mit der Lebenslust. Weihnachten ist das inklusive Ereignis überhaupt“, so Fehrs.

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