Schanzenkrawalle: Kritik von allen Seiten

In der aktuellen Stunde der Bürgerschaft zu den Krawallen am Abend nach dem Schanzenfest haben die SPD- und die LINKE-Bürgerschaftsfraktion schwere Vorwürfe gegenüber Innensenator Christoph Ahlhaus (CDU) erhoben. Die SPD vermutet „Realitätsverlust“, die LINKE unterstellt ihm, ein „Eskalationskonzept“ umgesetzt zu haben.

SPD-Innenexperte Andreas Dressel: „Der Innensenator spricht angesichts von mehr als 70 verletzten Polizisten von einem erfolgreichen Einsatz. Er spricht davon, er habe das Entstehen rechtsfreier Räume verhindert. Und man fragt sich, ob dieser Mann den Bezug zur Realität mittlerweile völlig verloren hat.“ Die Bilder vom vergangenen Wochenende widerlegten die Aussagen des Innensenators.

Die Politik trage eine Mitschuld an der Eskalation des vergangenen Wochenendes, sagte Dressel. CDU und GAL hätten bei der Bewertung des Schanzenfestes keine gemeinsame Linie gehabt. Und nicht einmal die CDU spreche mit einer Sprache. Auch vor den zweiten Schanzenkrawallen hätte es die schwarz-grüne Senatskoalition nicht geschafft, sich untereinander und unter Einbeziehung ihrer Bezirkskollegen auf einen erfolgversprechenden Ansatz zu verständigen. „Mit ihren Differenzen sind Sie Teil des Problems, nicht Teil der Lösung“, sagte Dressel. Es sei vielsagend, dass CDU und GAL sich auch bei der Bewertung des Polizeieinsatzes bislang nicht einig seien.

Ein vollständiges Verbot des friedlichen Festes hätte vermutlich nicht weniger Gewalt bedeutet, betonte Dressel. Krawallmacher wären trotz Verbotes gekommen. „Gleichwohl gilt Recht und Gesetz auch im Schanzenviertel. Und deshalb muss das Ziel eines nicht nur friedlichen sondern auch gesetzeskonformen Schanzenfestes auch politisch und behördlich weiterverfolgt werden. Dafür ist und bleibt der zwischen allen politischen Kräften vor Ort verabredete Runde Tisch weiterhin das richtige Forum“, sagte Dressel.

Er warf Innensenator Ahlhaus mangelhaftes Differenzierungsvermögen vor. Zu dieser Differenzierung gehöre auch, dass der Innensenator den „schwierigen Weg von Vertrauensbildung und Deeskalation“ gegenüber den vernünftigen Schanzenbewohnern am Runden Tisch mitgeht. „Sie haben stattdessen die Konsens-Ansätze hintertrieben und mit verbalem Säbelrassen begleitet – wie Sie es das ganze letzte Jahr sehr zum Ärger sogar vieler Christdemokraten gemacht haben“, sagte Dressel. Statt im Vorfeld deeskalierend zu wirken, habe Ahlhaus keine Gelegenheit zur Provokation ausgelassen. „Jeder hat Verantwortung“, sagte Dressel – und mit Blick auf den Innensenator: „Leisten auch Sie Ihren Beitrag dazu, dass sich die Spirale der Gewalt bis zum Schanzenfest 2010 nicht noch weiter dreht.“

Die innenpolitische Spre¬cherin der LINKE, Christiane Schneider, betonte die Notwendigkeit, sich mit den sozialen Verdrängungsprozes¬sen auseinanderzusetzen und kritisierte das „Eskalationskonzept“ des Innensenators, die Unverhältnismäßigkeit des Polizeieinsatzes und die daraus resultieren Gefahrensituation für Leib und Leben.

Schneider betonte: „Gewalt löst die Probleme dieser Stadt nicht. Bedürfte es eines Beweises, so hat ihn der letzte Samstag erbracht. 72 verletzte Polizeibeamte und eine unbekannte Anzahl weiterer Verletzter sind eine bittere Bilanz.“ Sie kritisierte, dass die gewaltsamen Auseinandersetzungen die Umstrukturierung des Schanzenviertels und anderer Viertel aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängen. Dabei müsse die Verdrängung ärmerer Bevölkerungsgruppen und angestammter kleiner Geschäftsleute Thema öffentlicher Meinungsbildung sein. „Wollen wir eine solidarische Stadt, eine Stadt für alle? Ja, wir wollen das“, sagte Schneider und betonte, dass das friedliche und politische Schanzenfest zur Thematisierung des Problems betragen hat.

„Gewalt und ihre Eskalation schaden diesem Engagement. Unser Anliegen ist es, die Gewaltspirale zu beenden. Weil wir unsere Aufgabe der Kontrolle der Exekutive ernst nehmen, weil die Grund¬rechte der Bürgerinnen und Bürger unser Maßstab sind, richten wir unseren Fokus auf den Beitrag der politisch Verantwortlichen und der Polizeiführung zur Eskalation der Gewalt.“

Schneider kritisierte, dass der Innensenator seine Strategie erfolgreich nennt. Es gab in den letzten Jahren noch nie so viele verletzte Beamte wie beim diesjährigen Einsatz: 2007 wurden acht Beamte als verletzt gemeldet, 2008 zwölf, 2009 waren es 72. „Von Erfolg zu sprechen ist zynisch“, folgerte Schneider.

„Die Polizei ist durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts auf Deeskalation und Kooperation festgelegt“, stellte Schneider fest. „Die Polizeiführung verfolgte aber ein Eskalations¬konzept.“ Schon nach 18 Uhr wurden starke geschlossene Polizeieinheiten mitten durchs dickste Gewühl geschickt, obwohl das Fest friedlich weiterging und bereits im Vorfeld mit Verbotsdrohung und Videoüberwachung der Konflikt angeheizt.

„Wir fordern zur Aufklärung der Tatsachen, dass der Innensenator auf der Sondersitzung des Innenausschusses die Einsatzleitlinie, die die „Philosophie“ des Einsatzes festlegt, Einsatz¬schwelle, Einsatzmittel usw., vorlegt.“
Die Polizeistrategie habe unkontrollierbare und gefährliche Situationen in Kauf genommen. Zum Zeitpunkt des Polizeieinsatzes hielten sich Hunderte Menschen auf dem Platz vor der Roten Flora auf und man müsse froh sein, dass nicht noch mehr passiert ist.

Zudem habe die Polizeiführung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit missachtet. Der Schlagstock¬einsatz „gegen eine große Menschenmenge war unverhältnismäßig.

Immer wieder während der ganzen Auseinandersetzung kam es zu unverhältnismäßigen Einsätzen, so, als Wasserwerfer in Restaurants rein hielten oder bei der Säuberung der Susannenstraße von Restaurantbesuchern.“ Darunter erschreckenden Übergriffe, z.B. auf Journalisten. Einem Journalis¬ten wurden vier Schneidezähne ausschlagen.

„Wir fordern eine rückhaltlose Aufklärung des gesamten Polizeieinsatzes. Und wir fordern, wie schon so oft, Konzepte, die sich mit den Ursachen von Gewalt auseinandersetzen“, schloss Schneider.

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