Wersich stellt Schulfrieden infrage

Ganz schön kess: Kaum hat Sozialsenator Dietrich Wersich quasi im Nebenberuf auch noch die Bildungsbehörde übernommen, stellt er schon den mühsam gefundenen Schulfrieden infrage. Und eine der wenigen richtigen Veränderungen, die seine Vor-Vorgängerin Dinges-Dierig (CDU) verantwortete, will er gleich mit kippen.

Er wolle, dass am Ende von Klasse vier klare Empfehlungen gegeben werden, teilte er dem Abendblatt mit – man müsse doch wissen, ob das Kind nun auf’s Gymnasium gehöre oder auf die Stadtteilschule. Mal abgesehen davon, dass genau dies laut Schulfriedens-Vereinbarung gerade nicht sein soll – es steht auch anders im Gesetz.

Ja, wenn der Senat noch eine Mehrheit hätte: Dann könnte er versuchen, die Regeln zu verändern. So aber bleibt Wersichs Äußerung folgenloses Gerede. In „guter“ Tradition dessen übrigens, was man seit Jahren in Sachen Sozialpolitik von ihm zu hören bekommt.

Und natürlich ist es auch in der Sache grundfalsch: Niemand kann für zehnjährige Schüler verlässlich sagen, welche Schulform und welche Schulkarriere für sie richtig sein wird. Da es aber – wegen des Volksentscheids – nach Klasse vier statt nach Klasse sechs entschieden werden muss, sind die Eltern gefragt. Sie bekommen Hilfestellung und Beratung, mit ihnen werden die Möglichkeiten erörtert. Aber es gibt am Ende keine „Empfehlung“, die dann stigmatisierend durch die Schülerakte geistert.

Zweiter Punkt, die klassischen Diktate: Dass sie zur Leistungsbewertung denkbar ungeeignet sind, dass ihnen auch kaum zu entnehmen ist, wo genau die Schwächen eines Schülers liegen, ist in der pädagogischen Fachdiskussion seit 15 Jahren Stand der Technik. Seit 2004 findet sich eine entsprechende Empfehlung in Hamburgs Grundschul-Bildungsplänen. Jetzt will Wersich die Diktate wieder aus der Mottenkiste holen.

Was gegen klassische Diktate spricht, ist einfach: Es werden zu viele Kompetenzen gleichzeitig überprüft, und am Ende weiß niemand, woran der Schüler gescheitert ist. Hört er vielleicht schlecht, oder hat der Lehrer schlecht diktiert? Kennt er vielleicht alle Rechtschreibregeln bestens, ist aber feinmotorisch noch nicht so weit, dass er im Diktat-Tempo mitschreiben kann? Kann er sich vielleicht einfach noch nicht 20 Minuten lang konzentrieren oder lässt er sich von Nachbarn ablenken? Fragen über Fragen….

Sprachlos indes macht Wersichs Begründung: Er selbst habe es mit der Groß- und Kleinschreibung nicht so gehabt, als er dereinst auf das Johanneum kam. Spannend dabei ist eine Nebenbemerkung: Es fiel erst in Klasse 7 auf, nicht etwa in Klasse 5. Ja wie – hat Orthografie etwa in Klasse 5 und 6 keine Rolle gespielt? Und: Was hat Klein-Dietrich sonst noch nicht geschafft im Leben, auf das man’s nun Hamburgs Schülern verordnen könnte?

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