U-Untersuchungen: Hamburg bleibt Schlusslicht

Mit scharfer Kritik hat die Sprecherin der SPD-Fraktion für Familie, Kinder und Jugend, Carola Veit, auf die Ankündigung eines Modellversuchs zu Kinder-Vorsorgeuntersuchungen reagiert, der sich auf die U6 und U7 beschränkt: „Senator Wersich macht Hamburg zum Schlusslicht bei den U-Untersuchungen. Die Mehrzahl der Bundesländer hat Landesgesetze zu allen Vorsorgeuntersuchungen – Wersich will Hamburg auf U6 und U7 beschränken. Dafür gibt es keinen vernünftigen Grund.“ – Am Ende des Textes: Chronik Wersichs Versagens.

Veit warf Wersich zudem vor, wichtige Fakten wie die deutlich geringere – und weiter gesunkene – Teilnahme von Kindern mit nicht-deutscher Staatsangehörigkeit zu ignorieren. Aber auch ganze Stadtteile wiesen alarmierende Zahlen auf: In 19 Stadtteilen Hamburgs nimmt etwa jedes vierte Kind nicht an den Untersuchungen teil; in weiteren 14 Stadteilen ist es sogar rund jedes dritte Kind. In neun dieser Stadtteile ist die Quote zwischen 2005 und 2009 sogar weiter zurückgegangen, darunter z.B. St. Georg, St. Pauli und Billstedt. Diese Zahlen habe der Senat auf Anfrage der SPD-Fraktion einräumen müssen (Drs. 19/2412). „Die Teilnahmequoten sind also auf keinen Fall zufriedenstellend, wie Senator Wersich das sagt“, so Veit.

Veit zeigte sich entsetzt, dass sich CDU, GAL und der von ihnen getragene Senat mit diesem Vorgehen „aus dem Konsens des Sonderausschusses ‚Vernachlässigte Kinder‘ verabschiedet haben, sämtliche U-Untersuchungen verbindlicher zu machen“.

„Senator Wersichs Untätigkeit bedeutet konkret, dass auf Basis der 2008er Zahlen an der U4 über 600 mal Kinder und an der U5 rund 750 mal Kinder nicht teilgenommen haben.“ Veit erinnerte daran, dass auch die verstorbene Lara nicht an den vorgesehenen U-Untersuchungen teilgenommen hat. „Auch Lara hätte von Senator Wersichs Modellversuch nichts gehabt. Der Senator verweigert sich der Wirklichkeit.“

Veit kritisierte zudem die Abschaffung der Untersuchung in den Kindergärten gemäß des Hamburger Kinderbetreuungsgesetzes: „Eine absolut falsche Entscheidung mit der falschen Begründung einer angeblichen ‚Doppeluntersuchung‘ – und das Ganze bevor der Modellversuch überhaupt angelaufen ist!“ Der Senat sei gar nicht auskunftsfähig, welche Kinder jeweils nach dem Kinderbetreuungsgesetz untersucht werden und welche nicht. Zudem sei die U7a bis zum dritten Geburtstag durchzuführen, während die Untersuchung gemäß Hamburgischem Kinderbetreuungsgesetz im vierten Lebensjahr stattfinden soll, was eine Zeitgleichheit bzw. „Doppeluntersuchung“ ausschließt.

Die Hamburger CDU und die Vorsorgeuntersuchungen
– Chronik eines Versagens

01.03.2005 – Tod der siebenjährigen Jessica aus Jenfeld

14.04.2005 – Einsetzung des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ durch die Bürgerschaft

01.02.2006 – In der Bürgerschaftsdebatte zum einstimmigen Abschlussbericht des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ sagt die damalige CDU-Senatorin Schnieber-Jastram: „(..) werden wir die Empfehlungen des Ausschusses umsetzen (..). Ich nenne hier beispielsweise die Initiative, die U 1- bis U 9-Untersuchung verpflichtend zu machen.“

17.01.2007 – Die Bürgerschaft debattiert den Entwurf der SPD-Fraktion für ein „Gesetz zum Schutz von Kindern vor Vernachlässigung, Missbrauch und Misshandlung“, welches verbindliche Vorsorgeuntersuchungen vorsieht. Der Entwurf orientiert sich am Verfahren des CDU-regierten Saarlandes, angepasst auf die Hamburger Strukturen. Die CDU lehnt das Gesetz ab und verweigert eine Überweisung in den Ausschuss.

13.09.2007 – Der Ausschuss Familie Kinder und Jugend diskutiert die Maßnahmen des Senats zum Kindesschutz und über den ASD. Die SPD spricht erneut die Frage der Vorsorgeuntersuchungen an. Frage von Carola Veit an den damaligen Staatsrat Wersich bezüglich des Vorgehens anderer Bundesländer: „Wo ist da die Schwierigkeit, die Sie jetzt davon abhält? Antwort des Staatsrats: „Da empfehle ich, die anderen Länder direkt zu fragen, weil wir die Wege anderer Länder nicht beurteilen können“ (Wort-Protokoll 18/44, S. 31).

07.12.2007 – Bundesfamilienministerin von der Leyen spricht sich für Ländergesetze aus und wird in der Süddeutschen Zeitung zitiert: „Erfahrungen aus dem Saarland zeigen, dass auf diese Weise unbürokratisch nachgehakt wird.“

13.12.2007 – Die SPD-Fraktion bringt erneut ihren Gesetzentwurf für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen ein. Die CDU überweist den Entwurf in den Ausschuss für Familie, Kinder und Jugend.

06.02.2008 – In der Bürgerschaftssitzung lehnt die CDU den Gesetzentwurf der SPD auch gegen die Stimmen der GAL ab. Einen eigenen Entwurf gibt es nicht.

Februar 2008 – Ende der 18. Legislaturperiode und der Alleinregierung der CDU ohne eine Regelung für verbindliche Vorsorgeuntersuchungen.

April 2008 – Koalitionsvertrag von CDU und GAL. Hier heißt es nun: „Es herrscht Einvernehmen darüber, dass bei den Vorsorgeuntersuchungen Nachbesserungsbedarf besteht, um eine höhere Verbindlichkeit zu erreichen.“ Für geplante Maßnahmen wird im Koalitionsvertrag eine „Orientierung an den Regelungen in Schleswig-Holstein verabredet.“ In diesem Punkt beschränkt man sich ausdrücklich auf die U6 und U7. Dies verwundert, da der vormalige Staatsrat Wersich die Schleswig-Holsteinische Lösung ausdrücklich als völlig untauglich bezeichnet hatte.

Juni / Juli 2008 – Große Anfrage der SPD-Fraktion zu Vorsorgeuntersuchungen und den Regelungen und Gesetzen anderer Bundesländer hierzu. Dem Senat zufolge „haben einige Länder bereits einzelne landesgesetzliche Regelungen getroffen, andere bereiten derartige Regelungen vor.“

März 2009 – Antrag von CDU und GAL: „Neustrukturierung des gesundheitlichen Vorsorgeangebots für Kinder im Vorschulalter“ (Drs. 19/2463). Darin beschränken sich CDU und GAL auf „ein zweijähriges Modell“ und zudem auf U6 und U7. Und: „Das Angebot soll sich an den Regelungen in Schleswig-Holstein orientieren und nach zwei Jahren evaluiert werden.“

Eine Große Anfrage der SPD-Bürgerschaftsfraktion (Drs. 19/2412 vom 24.03.2009) ergibt, dass – laut Senat – elf andere Bundesländer eine landesgesetzliche Regelung haben und vier weitere zu diesem Zeitpunkt zumindest einen Gesetzentwurf. Hamburg spielt hier im negativen Sinne eine Sonderrolle.

Juni 2009 – Die Bezirke lehnen den Entwurf einer Drucksache der Wersich-Behörde ab: U.a. könne die Beschränkung auf U6 und U7 nicht akzeptiert werden. Auch wird die Behauptung der Wersich-Behörde zurückgewiesen, die außerhalb der U-Serie stattfindende Untersuchung in den Kindergärten gemäß Hmb. Kinderbetreuungsgesetz könne entfallen, da sie angeblich eine Doppeluntersuchung wäre.

Die o.g. Anfrage der SPD-Fraktion (Drs. 19/2412) ergab zudem:

1. Insgesamt sind die Teilnahmequoten, wenn auch etwas gestiegen, immer noch zu niedrig (z.B. U4 mit 95,2 Prozent und U5 mit 94 Prozent) und unter dem, was mit landesgesetzlichen Regelungen möglich wäre

2. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass auf Basis der 2008er Zahlen an der U4 über 600 mal Kinder und an der U5 rund 750 mal Kinder nicht teilgenommen haben.

3. Zu Quoten von Kindern mit Migrationshintergrund ist der Senat nicht auskunftsfähig (Punkt 3 der Drs.).

4. Bei Kindern mit nicht deutscher Staatsangehörigkeit ist die ohnehin schon deutlich niedrigere Teilnahmequote in 2008 gegenüber 2005 von der U1 bis inkl. der U7 sogar noch weiter gesunken! – und beträgt z.B. bei der U4 jetzt 80,5 Prozent und bei der U5 jetzt 77,6 Prozent.

5. In 19 Stadtteilen nimmt etwa jedes vierte Kind nicht an den Untersuchungen teil; in weiteren (zusätzlich)14 Stadteilen ist es sogar rund jedes dritte Kind (siehe Punkt 4. und Anlage 1 der Drs.).

6. In neun dieser Stadtteile ist die Quote sogar weiter zurückgegangen, darunter z.B. St. Georg, St. Pauli und Billstedt.

7. Die von CDU/GAL in ihrem Antrag Drs. 19/2463 – und auch von Senator Wersich – behauptete „Doppeluntersuchung“ („U7a“ und die Untersuchung gemäß Hmb. Kinderbetreuungsgesetz) gibt es nicht, wie der Senat eingestehen muss. Die Daten werden gar nicht erfasst. Der Senat weiß also nicht, welche Kinder jeweils untersucht werden und welche nicht. Zudem ist die U7a bis zum dritten Geburtstag durchzuführen, während die Untersuchung gemäß Hmb. Kinderbetreuungsgesetz im vierten Lebensjahr stattfinden soll, was eine Zeitgleichheit bzw. „Doppeluntersuchung“ ausschließt.

8. Der Antrag von CDU und GAL Drs. 19/2463 beinhaltet (mit dem Senatoren-Büro Wersich abgestimmt) in Punkt 2. die Aufforderung an den Senat „die notwendigen gesetzlichen Anpassungen zur Abschaffung“ der (eigentlichen Pflicht-) Untersuchung gemäß Hamburgischem Kinderbetreuungsgesetz vorzulegen – und das, bevor das sowieso unzureichende und begrenzte U6/U7-Modellprojekt überhaupt gestartet wäre.

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