Laras Todestag: Hamburg hat nichts gelernt

Ein Fall wie der der kleinen Lara Mia aus Wilhelmsburg, die vor einem Jahr unter behördlicher Aufsicht bei ihrer Mutter verhungert ist, kann sich in Hamburg jederzeit wiederholen. Die zuständige Sozialbehörde hat auch nach zwölf Monaten keinen Weg gefunden, Hamburgs Kinder besser zu schützen. Zu diesem Schluss kommen die kinder- und jugendpolitische Sprecherin der SPD, Carola Veit, und der Abgeordnete Thomas Böwer.

„Ein Fall wie der der kleinen Lara Mia aus Wilhelmsburg, die vor einem Jahr bei ihrer Mutter verhungert ist, obwohl die Familie sozialpädagogisch betreut wurde, kann sich in Hamburg jederzeit wiederholen. Die zuständige Sozialbehörde verweigert sich der rückhaltlosen Aufklärung des Falles und hat auch nach zwölf Monaten keinen Weg gefunden, Hamburgs Kinder besser zu schützen.“ – Zu diesem Schluss kommen die Kinder- und Jugendpolitiker der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Carola Veit und Thomas Böwer nach Einsichtnahme in die bisher vom Senat vorgelegten Akten.

„Klar ist bereits jetzt: Der Tod hätte verhindert werden können“, so die Fachpolitiker. Die bisherige Aktenvorlage habe zudem ergeben, dass sowohl die Sozialbehörde als auch das Rauhe Haus die Aufklärung vorsätzlich gebremst haben.

Wesentliche Voraussetzungen im Kinderschutz, die bereits anlässlich des Sonderausschusses „Jessica“ diskutiert worden seien, hätte der Senat nie umgesetzt. Bis heute gebe es zum Beispiel keine angemessene Personalbemessung bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD), keine verbindlichen U-Untersuchungen und kein verlässliches Fall- und Qualitätsmanagement, das dafür sorge, dass Ziel- und Leistungsvereinbarungen zwischen Sozialbehörde und Trägern eingehalten würden – obwohl dies seit Jahren gefordert werde.

Empörend sei auch, so Carola Veit, dass im konkreten Fall noch immer nicht alle Fakten offengelegt worden seien. So habe die SPD-Fraktion zwar die Vorlage von Akten erzwungen (Antrag 19/4420), doch stünden diese noch immer nur lückenhaft zur Verfügung. So fehlt in den Akten beispielsweise die externe Bewertung des Handelns des Rauhen Hauses („Gottschalck-Bericht“). Die Sozialbehörde habe in Abstimmung mit dem Rauhen Haus nur das berichtet, was ohnehin schon bekannt war, und weitere Informationen zurückgehalten. Zudem sei die Aktenvorlage insgesamt wenig vollständig. Carola Veit: „Das ist verantwortungslos, weil es sowohl die weitere Aufklärung als auch die Weiterentwicklung des Kinderschutzes und der Familienhilfen behindert.“

„Dennoch können wir nach der Einsicht in die vorliegenden Akten Eines mit Sicherheit feststellen: Das Kind Lara hätte nicht sterben müssen“, so Veit und Böwer. „Wenn ein Kind umkommt, obwohl eine staatliche Hilfe eingerichtet wurde, die mehrere Stunden in der Woche die Familie unterstützen und auf das Kindeswohl achten soll, dann ist das mehr als ein unglücklicher Zufall: Es ist der Super-GAU im Kinderschutz, der nicht vorkommen darf“.

Als – bereits zum jetzigen Zeitpunkt deutliche – Erkenntnisse der Aktenvorlage im „Fall Lara“ nannte die SPD-Fraktion:

+ Sozialsenator Wersich hat die Öffentlichkeit nicht zutreffend über die Umstände des Todes von Lara sowie die offensichtlichen Zustände in der Wohnung und die nicht stattgefundenen Arztbesuche des Kindes informiert – vielmehr gab es von Anfang an verharmlosende bis abwegige Darstellungen, die vollständig von den Eindrücken von Polizei und Staatsanwaltschaft abweichen -und die auch später nicht klargestellt wurden.

+ Die zwischen der Sozialbehörde und dem Rauhen Haus abgeschlossenen Ziel- und Leistungsvereinbarungen sind an entscheidender Stelle nicht eingehalten worden. Sie verpflichten das Rauhe Haus unter dem Punkt „Zusammenarbeit mit dem Jugendamt“ ausdrücklich auf „einen verlässlichen Austausch notwendiger Informationen über die Entwicklung der Familie“ – das Jugendamt wurde vom Rauhen Haus nicht darüber informiert, wann und wie Lara und ihre Mutter betreut wurden.

+ Die Sozialbehörde hat, entgegen den Versprechungen in Pressemitteilungen, in Abstimmung mit dem Rauhen Haus wesentliche Informationen zurückgehalten und zudem Anfragen von Abgeordneten der SPD-Fraktion lückenhaft oder falsch beantwortet.

+ Die vorgelegten Akten enthalten so gut wie keine Befassung des Senatorenbüros mit dem Fall Lara. Entweder hat Senator Wersich sich mit dem Fall nahezu nicht befasst, oder die Akten sind unvollständig. Beides wäre gleichermaßen skandalös.

+ Die vom Rauhen Haus selbst in Auftrag gegebene interne Untersuchung – der so genannte „Gottschalck-Bericht“ – liegt der Sozialbehörde zwar spätestens seit September 2009 vor, ist aber im Rahmen der Aktenvorlage unterdrückt worden.

Veit und Böwer: „Erschütternd ist, dass bei der gesamten Aufarbeitung dieses eklatanten Versagens unserer Hilfesysteme nicht erkennbar ist, dass sich die zuständige Fachbehörde um eine Verbesserung des Verfahrens bemüht. Vollends enttäuschend ist, dass jetzt offenbar seitens der Regierungsfraktionen versucht werden soll, über die Frage der Schuldzuweisung von den eigentlichen schlimmen Fakten abzulenken. Für Hamburgs Kinder ist es unerheblich, ob der Fachsenator oder der jeweilige Bezirksamtsleiter die Verantwortung für ihr Wohlergehen trägt. Die Kinder haben einen Anspruch auf umfassenden Schutz. Das, und nur das muss der Maßstab für unser Handeln sein. Und da erkennen wir derzeit weder beim Senat noch bei den ihn tragenden Fraktionen ein ernsthaftes Bemühen.“

Die Abgeordneten verwiesen darauf, dass die Debatte um besseren Kinderschutz in Hamburg seit Jahren geführt werde: Schon zum Abschluss des bürgerschaftlichen Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“, der nach dem Tod der kleinen Jessica aus Jenfeld eingerichtet wurde, hatten sich CDU, SPD und GAL auf gemeinsame Forderungen geeinigt, die ein Mindestmaß an Sicherheit bieten sollten, so Veit.

Zu den Forderungen gehörten zum Beispiel in Bezug auf den ASD:

„Die bestehenden Einrichtungen – etwa Jugendamt und Allgemeine Soziale Dienste – müssen personell so ausgestattet werden, dass sie alle gesetzlich begründeten Aufgaben ordnungsgemäß und zeitnah erledigen können. (…). Die Allgemeinen Sozialen Dienste müssen wieder in die Lage versetzt werden, Familien aufzusuchen.“

Weiter heißt es in den Forderungen des Sonderausschusses, es sei „zu prüfen, ob die Kriterien zur Ermittlung der Soll-Stellen bei den Allgemeinen Sozialen Diensten noch den tatsächlichen Problemlagen und den sich dynamisch verändernden Bedarfen in den Bezirken entsprechen und dem zuständigen Fachausschuss über das Ergebnis der Prüfung zu berichten.“

Die Forderungen des Ausschusses waren maßgeblich von der SPD-Fraktion erarbeitet und vor über vier Jahren im Februar 2006 einstimmig von der Bürgerschaft beschlossen worden (18/3592). Seitdem habe sich an der unverantwortlichen Überlastungssituation im ASD aber nichts geändert.

Die SPD-Fraktion verweist in diesem Zusammenhang auf weitere Forderungen, die teilweise seit Jahren erhoben würden, so zum Beispiel:

+ Gesetzentwurf der SPD-Fraktion, alle Vorsorgeuntersuchungen verbindlicher zu machen (19/4812), zuletzt von Schwarz-Grün abgelehnt im Dezember 2009,

+ Antrag der SPD-Fraktion „Allgemeine Soziale Dienste (ASD) stärken – Petitum des Sonderausschusses ‚Vernachlässigte Kinder’ endlich umsetzen“ (19/2869), am 11.06.2009 von CDU und GAL erneut abgelehnt. Hier sollte der Senat aufgefordert werden, ein softwaregestütztes, verbindliches Fall- und Qualitätsmanagement sowie ein begleitendes und nachsorgendes Fallmanagement bei den Allgemeinen Sozialen Diensten (ASD) beziehungsweise bei den Trägern, die Hilfen zur Erziehung (HzE) durchführen, einzuführen und außerdem in Zusammenarbeit mit den Bezirken das längst überfällige Personalbemessungssystem für die Allgemeinen Sozialen Dienste (ASD) umgehend in Angriff zu nehmen. Ferner wurde die flächendeckende Einführung von Familienhebammen, die Mütter, die dies benötigen, bis zu ein Jahr begleiten und insbesondere das Wohl des Kindes im Blick haben, gefordert.

Die SPD-Abgeordneten Veit und Böwer: „CDU wie GAL haben sich aus dem überparteilichen Konsens und den Forderungen des Sonderausschusses „Vernachlässigte Kinder“ in Teilen verabschiedet. Lara war neun Monate alt. Das Kind war nicht bei den Vorsorgeuntersuchungen, es gab keine Familienhebamme und das Fallmanagement hat komplett versagt. Das alles hätte nicht passieren dürfen. Damit so ein Fall sich nicht wiederholt, muss er genau untersucht und endlich die notwendigen Schlüsse gezogen werden.“

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