Gehörlose: SPD-Fraktion will Barrieren abbauen

Die SPD-Bürgerschaftsfraktion will die Kommunikation zwischen gehörlosen und schwerhörigen Menschen einerseits und Abgeordneten der Bürgerschaft andererseits verbessern. In einem Bürgerschaftsantrag schlägt die SPD vor, den Einsatz von bildschirmgestützten Simultanübersetzung zu ermöglichen. Die Kosten für die dabei eingesetzten Gebärdendolmetscherinnen und -dolmetscher sollen dabei von der Bürgerschaft übernommen werden.

„Wir können als Politiker nicht von Verkehrsbetrieben oder Wohnungsgesellschaften die Schaffung von Barrierefreiheit fordern, wenn sie im politischen Bereich nicht gleichermaßen gewährleistet ist“, sagte der SPD-Sozialexperte Dirk Kienscherf bei der Vorstellung des Antrags.

„Wenn wir heute von Barrierefreiheit sprechen, denken wir zunächst an Rolltreppen oder an rollstuhlgerechte, ohne die Behinderte Menschen erheblich in ihrer Mobilität beeinträchtigt sind. Auch gehörlose Menschen stehen auf andere Art, täglich und ihr Leben lang vor Barrieren – in ihrer Kommunikation“, sagte Kienscherf. Wenn sie mit Hörenden in direkte Kommunikation treten wollten, bräuchten sie Menschen, die Sprache in Gebärden übersetzen können. Die Arbeit dieser Dolmetscherinnen und Dolmetscher müsse bezahlt werden. „In vielen Bereichen – beim Arztbesuch, dem Elternabend in der Schule oder dem Beratungsgespräch in der ARGE – ist nach jahrelangen Auseinandersetzungen mittlerweile geregelt, wer die Kosten übernimmt. Aber es besteht Nachholbedarf, was die Kommunikation zwischen Abgeordneten und gehörlosen oder schwerhörigen Menschen betrifft. Hier wollen wir etwas verbessern“, sagte Kienscherf.

Die Kostenübernahme für Gebärden-Übersetzung sei für Gehörlose häufig ein großes Problem. „Denn sie erhalten keine etwa dem Blindengeld vergleichbare Unterstützung, die Nachteile aus ihrer Behinderung auffangen soll. Und so bekommen Gehörlose kein Geld, um selbst die Übersetzung etwa eines Gesprächs mit ,ihrem´ Stadtteilabgeordneten zu zahlen“, sagte der SPD-Sozialpolitiker Uwe Grund bei der Vorstellung des SPD-Antrags. Die ungehinderte Kommunikation zwischen Parlamentariern und gehörlosen Menschen solle „fester Bestandteil der Abgeordneten-Arbeit“ werden, forderte er.

„Gehörlose Menschen interessieren sich – so wie hörende – für ihren Stadtteil. Und das neue Wahlrecht stärkt den Zusammenhang zwischen Wahlkreis und Wahlkreisabgeordneten“, sagte Kienscherf. „Deshalb ist es richtig für direkte Bürgergespräche zwischen Abgeordneten und gehörlosen und schwerhörigen Bürgerinnen ein unbürokratisches schnelles Verfahren zu entwickeln, dass im Einzelnen regelt und festlegt, unter welchen Bedingungen eine Kostenübernahme erfolgt.“

Der Prozess des Übersetzens könnte durch den Dienst Tess erfolgen. Tess ist seit Anfang 2009 ein Regeldienst, der für alle hörgeschädigten Menschen in Deutschland zugänglich ist. Hörende benötigen keinerlei technische zusatzmittel. Hörenden, die angerufen werden, entstehen keine zusätzlichen Kosten. Wenn Hörende selbst anrufen, entstehen Gesprächsgebühren von 14 Cent pro Minute.

In ihrem Antrag bittet die SPD-Fraktion die Bürgerschaftskanzlei, gemeinsam mit dem Relay-Dienst „Tess – Sign & Skript – Relay-Dienste für hörgeschädigte Menschen GmbH“ eine lnformationsveranstaltung für die Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft, ihre Abgeordnetenbüros sowie die Fraktionsbüros anzubieten, indem die Nutzung und die Nutzungsbedingungen des Relay-Dolmetscherdienstes „Tess“ erläutert werden.

Ferner sollen die Kosten verdolmetschter direkter Gespräche zwischen gehörlosen oder schwerhörigen Bürgerinnen und Bürger und Abgeordneten der Hamburgischen Bürgerschaft aus einem zentralen, an der Bürgerschaftskanzlei angesiedelten Etat getragen werden. Schließlich soll eine interfraktionelle Arbeitsgruppe gemeinsam mit der Bürgerschaftskanzlei ein Konzept entwickeln, um die Beantragung und Abrechnung der Dolmetscherkosten für die Gespräche zu regeln. Sie soll auch festlegen, unter welchen Bedingungen eine Kostenübernahme erfolgt.

Kritisch beurteilt die SPD-Bürgerschaftsfraktion auch die Tatsache, dass Hamburg in der Barrierefreiheit des Rundfunks nicht endlich entscheidende Schritte vorwärts kommt. Uwe Grund: „Der Senat will es bei Appellen gegenüber den Rundfunkbetreibern belassen. In Schleswig-Holstein hat das Parlament einen Stufenplan zur Steigerung der Untertitelung beschlossen. In Großbritannien haben die BBC, aber auch viele private Rundfunksender, das Ziel der Barrierefreiheit weitgehend schon erreicht.“

Hintergrundinformation:

In Hamburg leben ca. 1880 bis 2000 Gehörlose

Hamburg stehen ca. 50 Gebärdensprachdolmetscherinnen und Gebärdensprachdolmetscher zur Verfügung (letzte aktuelle Zahl aus SKA 18/907)

Der Anspruch auf Hinzuziehung eines Gebärdensprachdolmetschers ist an unterschiedlichen Stellen geregelt, je nach dem, wo und in welchem Zusammenhang das Gespräch stattfinden soll. Z.B. in der „Hamburger Verordnung zur Verwendung der Gebärdensprache …“, die den Dolmetschereinsatz „… zur Wahrnehmung eigener Rechte in einem Verwaltungsverfahren“ regelt. Hier beträgt der übliche Kostensatz aktuell 45 Euro pro voller Stunde und 22,50 pro angefangener halben Stunde. An diesen Stundensatz würde sich auch der Kostensatz für das Dolmetschen von direkten Einzelgesprächen mit Abgeordneten orientieren. Auf dem „freien Markt“ gelten teilweise deutlich höhere Stundensätze.

Der vorliegende Antrag der SPD-Bürgerschaftsfraktion geht bei monatlich durchschnittlich vier bis sechs Bürgergesprächen von Kosten von unter 5.000 Euro jährlich aus. (Bürgergespräche dauern üblicherweise 30 Minuten je Bürger. Hier setzen wir vorsichtshalber ca. 60 Minuten pro Gespräch an. Sechs Bürgergespräche je Monat zu jeweils 45 Euro, mal 12 Monate = 3240 Euro. Plus Kosten für An- und Abfahrten von ca. 1620 Euro = 4860 Euro Gesamtkosten im Jahr. Das ist eher großzügig gerechnet und wird vermutlich kaum ausgeschöpft.

Die Regelungen zu Kontenübernahme und Abrechnung sollte ein zeitlich befristetes Gremium aller Bürgerschaftsfraktionen mit der Bürgerschaftskanzlei entwickeln.

2008 wurden für die Integration Gehörloser beispielsweise im Rahmen der begleitenden Hilfe im Arbeitsleben in Hamburg Leistungen aus Mitteln der Ausgleichabgabe 601.554 Euro verwendet – Nicht ausschließlich, aber zum überwiegenden Teil für Gebärdensprachdolmetscher.

Tess ist kein Telefondiensteanbieter im herkömmlichen Sinn. Die Relay-Dienste (Vermittlungsdienste) von Tess dienen hörgeschädigten Menschen als Bindeglied, um mit normal hörenden Menschen, die einen normalen Telefonanschluss ohne besondere technische Zusatzausstattung haben, zu kommunizieren. Umgekehrt können normal hörende Menschen Tess in Anspruch nehmen, wenn sie angemeldete Kunden von Tess anrufen möchten. Notrufe über Tess (z. B. 110, 112) sind nicht möglich.

Tess ist seit dem 01.01.2009 ein Regeldienst, der für alle hörgeschädigten Menschen in Deutschland zugänglich ist. Hörende benötigen keinerlei technische zusatzmittel. Hörenden, die angerufen werden, entstehen keine zusätzlichen Kosten. Wenn Hörenden selbst anrufen, entstehen Gesprächsgebühren von 14 Cent pro Minute.

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