Nach dem Entscheid: Reaktionen

Nachdem die erforderliche Zahl von WählerInnen einen wichtigen Teil der Schulreform – längeres gemeinsames Lernen bis Klasse sechs – gekippt und einen zweiten Teil (Elternwahlrecht nach Klasse vier statt nach Klasse sechs) daran angepasst hat, gibt es jede Menge Reaktionen. Hier eine Auswahl.

Der SPD-Landesvorsitzende Olaf Scholz und der SPD-Fraktionsvorsitzende Neumann zum Ausgang des Volksentscheids:

„Mit dem Volksentscheid über die Primarschule haben die Hamburgerinnen und Hamburger die künftige Entwicklung der Hamburger Schulen festgelegt. Das Ergebnis ist eindeutig. Immerhin: Hamburg wird in Zukunft nur noch zwei weiterführende Schulen haben, das Gymnasium und die Stadtteilschule. Alle Verbesserungen, die die SPD an den ursprünglichen Reformplänen durchgesetzt hat, haben Bestand. Auch auf jeder Stadtteilschule kann man Abitur machen, das Elternwahlrecht bleibt erhalten, und am Anfang der Schullaufbahn besuchen Hamburgs Kinder kleine Klassen. Keine Klasse wird mehr als 23 Schüler haben und in Stadtteilen mit großen sozialen Herausforderungen wird keine Klasse mehr als 19 Schüler haben. Allerdings wird es nicht zur Verlängerung der Grundschule zu sechs Jahren Primarschule kommen. Dafür hatte auch die SPD geworben, nachdem die von ihr durchgesetzten Veränderungen die Schulreform grundlegend verbessert hatten. Die Bürgerinnen und Bürger unserer Stadt haben anders entschieden. Dieses Votum gilt.“

„Nun geht es in der täglichen Arbeit um die Umsetzung der Reformen und die Verbesserung des Unterrichts für unsere Kinder“, so der Landesvorsitzende der Hamburger SPD, Olaf Scholz.

„Ich bedaure, dass dieser Schritt zu längerem gemeinsamen Lernen nun nicht gegangen wird. Die Erhöhung der Kita-Gebühren war nicht nur ein taktischer Fehler, sondern auch in der Sache falsch und muss daher rückgängig gemacht werden. Klar ist: Auch in der jetzt festgelegten Struktur brauchen wir mehr Ganztagsschulen und bessere frühe Bildung“, so der SPD-Fraktionsvorsitzende Neumann.

Primarschule gescheitert, Beust von Bord, Hardliner wird Chef von Schwarz-Grün

Die Volksinitiative gegen die Primarschule hat mit 276.304 das erforderliche Quorum von 20% sogar noch um 3 % übertroffen und damit den Volksentscheid gewonnen. Dieser Paukenschlag kam nicht allein, vorher trat Ole von Beust als Bürgermeister zurück. Unter diesem Eindruck stellten Vertrete¬rInnen von Schwarz-Grün heute klar, dass die Schulen auf die veränderte Lage rechtzeitig reagieren werden. Weitere Konsequenzen hat das Scheitern des zentralen schwarz-grünen Projekts wurden nicht gezogen.

Dazu erklärt Fraktionsvorsit¬zende Dora Heyenn:

„Die Initiative gegen die Primarschule war erfolgreich. Wir haben gemeinsam eine Niederlage hinnehmen müssen, dafür übernehmen wir ebenfalls die Verantwortung. Wir teilen nicht die Auffassung, dass es nicht gelungen ist, die Menschen von der Primarschule zu überzeugen. Aus meinen Gesprächen mit zahlreichen Menschen habe ich einen anderen Eindruck gewonnen. Es ist uns vielmehr nicht gelungen, die Menschen zu mobilisieren am Volksentscheid teilzunehmen. Die Zahl der Menschen, denen politischen Entscheidungen egal sind und sich nicht beteiligen, wächst und das ist ein zunehmendes Problem für die Demokratie. Auch die desaströse Politik des Senats und die anhaltenden Gerüchte über den Rücktritt des Bürgermeisters haben die Chancen für die Primarschule nicht gerade verbessert.

Dass Senatorin Goetsch in der Schulbehörde dafür sorgt, dass die erforderlichen Maßnahmen bis zum Schulbeginn umgesetzt werden, verdient Respekt. Anderseits verwundert es doch, wie sie nach so einer schweren Niederlage bei ihrem zentralen Projekt – die auch eine persönliche Niederlage ist – einfach zum Tagesgeschäft übergeht. Diese Niederlage rundet die bislang traurige Bilanz von Schwarz-Grün – und insbesondere der GAL – ab. Dass mit Innensenator Ahlhaus ein ausgewiesener Hardliner und Verfechter das autoritären Staates, der die GAL wiederholt vorgeführt hat, zukünftig die Koalition führen soll, lässt nichts Gutes erwarten. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die GAL eine Koalition unter Bürgermeister Ahlhaus fortsetzen will.“

Den Ausgang des Volksentscheids um die Einführung der Primarschule und den Rücktritt des Ersten Bürgermeisters kommentiert Klaus Bullan, Vorsitzender der GEW Hamburg

Zum Ausgang des Volksentscheids:

„Die Gegner der Reform haben es also geschafft: Kinder werden auch weiterhin nach der vierten Klasse getrennt. Das ist sozial ungerecht und pädagogisch falsch. Deutschland steht mit dieser Praxis weltweit allein auf weiter Flur. Hamburg hätte als Vorreiterin die Wende weg von der rückwärtsgewandten Schulpolitik hin zu einer modernen Pädagogik machen können. Stattdessen konnte sich nun Walter Scheuerl mit seiner Angstkampagne durchsetzen. Der Sprecher der Initiative ‚Wir wollen lernen‘ hatte viel Geld im Hintergrund und hat viele Register der Verunsicherung und der Einschüchterung durch juristische Verfahren gezogen. Immerhin ging es darum, mit Geld und Einfluss eigene Privilegien zu sichern. Dies sollte uns Allen Mahnung dafür sein, dass privilegierte Schichten Volksabstimmungen als eine Möglichkeit der Mitbestimmung mit mehr Macht als andere für ihre Interessen instrumentalisieren können.

Sicherlich haben viele ihre Unzufriedenheit mit der Politik der Regierung – Elbphilharmonie, HSH-Nordbank, Haushaltspolitik, Erhöhung der Elternbeiträge an Kitas, Streichung des Weihnachtsgeldes – im Volksentscheid zum Ausdruck gebracht. Positiv jedoch ist dies: Der Einsatz von Tausenden von Menschen aus Gewerkschaften, Parteien Eltern,- Lehrer- und Schülerverbänden aber auch vielen anderen im Bündnis der Schulverbesserer hat gezeigt, dass die Debatte über die Gerechtigkeit von Schule sich nicht mehr zurückdrehen lässt. Früher oder später führt kein Weg daran vorbei, dass alle Kinder länger als vier Jahre miteinander lernen. Dass es nicht so weitergehen kann wie bisher, haben auch die Pisa-Ergebnisse der letzten Jahre insbesondere in Hamburg gezeigt.“

Zum Rücktritt des Bürgermeisters:

„Die GEW bedauert den Rücktritt des Ersten Bürgermeisters Ole von Beust. Gerade in der Frage der Primarschule hat sich Ole von Beust als glaubwürdiger Politiker dargestellt, der bereit war, dazu zu lernen und für so gewonnene Erkenntnisse zu kämpfen. Seine Politik, sich innerhalb der Schwarz-Grünen Regierung für eine Öffnung der CDU hin zu einer gerechteren Schulpolitik stark zu machen, eigene Fehler der Vergangenheit einzugestehen und sich zu öffnen für neue Gedanken einer modernen Großstadtpolitik hin zu mehr Verantwortung der Bessergestellten für den sozialen Zusammenhalt der Gesellschaft, hat offensichtlich so viele seiner eigenen Wählerklientel verschreckt, dass er für diese Politik nun keine ausreichende Grundlage mehr sieht.

Vor uns liegen massive Probleme – der größte Sparhaushalt in der Geschichte der Stadt, die Belastungen durch Leuchtturmprojekte und die Aufarbeitung der Vorkommnisse in der HSH-Nordbank. Von einer neuen, von der CDU geführten Regierung ohne Ole von Beust ist weder Besserung noch Lösung zu erwarten.“

Der PARITÄTISCHE Hamburg befürchtet eine Verschärfung der sozialen Spaltung

Der PARITÄTISCHE Wohlfahrtsverband Hamburg respektiert, aber bedauert zugleich die gestrige Entscheidung der Hamburger Bürgerinnen und Bürger. Gemeinsam mit allen in der Bürgerschaft vertretenen Parteien, Gewerkschaften, Schülerkammer und zahlreichen weiteren Organisationen hat sich der PARITÄTISCHE Hamburg für die Schulreform eingesetzt. „Die Primarschule wäre ein großer Schritt zu mehr Chancen- und Bildungsgerechtigkeit gewesen“, sagt Joachim Speicher, Geschäftsführer des PARITÄTISCHEN Hamburg. Längeres gemeinsames Lernen sei keine Hamburger Erfindung, sondern europaweiter Standard. „Wer Kinder nach der vierten Klasse trennt, raubt vor allem Kindern aus bildungsfernen Schichten und Kindern mit Migrationshintergrund Bildungs- und damit Zukunftschancen“ so Speicher weiter.

Während in den Stadtteilen der Besserverdienenden die Wahlbeteiligung besonders hoch war (Blankenese 54,6 %, Othmarschen 54,7 %, Nienstedten 55,2 %), ist es den Reformbefürwortern nicht gelungen, die Menschen in den Wohnorten mit hoher Arbeitslosigkeit zum Gang an die Wahlurne zu bewegen (Wahlbeteiligung Billstedt 22,3 %, St. Pauli 27,5 %, Harburg 20,7 %). „Der Volksentscheid belegt erneut: Wer in Armut lebt, geht nicht wählen, sondern zieht sich weiter aus der Gesellschaft zurück“, sagt Joachim Speicher, „gerade diesen Menschen müssen wir durch ein gerechtes Bildungssystem, in dem der Erfolg nicht von der sozialen und ethnischen Herkunft abhängt, eine Perspektive bieten.“

Die Mittel, die durch den Verzicht auf die Primarschule frei werden, müssten nun sinnvoll eingesetzt werden, um allen Kindern den Zugang zu Kitas, höheren Bildungsabschlüssen, Ausbildungen und Universitäten zu erleichtern, fordert der PARITÄTISCHE. Wenn dies nicht gelingt, werde sich die soziale Spaltung in unserer Stadt weiter verschärfen.

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