Fundi-Kritik an Primarschule

Wir haben das diskutiert: Soll man die Kritik der konservativen Initiative gegen die Primarschule einfach verschweigen, oder soll man sie veröffentlichen und sich damit auseinandersetzen? Wir haben uns für den zweiten Weg entschieden und freuen uns auf Ihre Kommentare. Es folgt die geballte Kritik.

Falls Sie es gestern nicht gesehen haben: Hier ist noch einmal das gestern vorgelegte Schulkonzept.

Das merkt die Initiative „Wir wollen lernen“ dazu an:

Der Kern des „Rahmenkonzeptes“ findet sich in den Erläuterungen der Behördenpläne zur Primarschule auf den Seiten 10ff.. Die Auswertung ergibt Folgendes:

1. Primarschulen mit bis zu 4 Standorten

Die Behörde plant Primarschulen mit bis zu 4 Standorten (siehe S. 11.: „So ist es zum Beispiel möglich, an zwei oder drei Standorten Grundstufen unter je einer Abteilungsleitung und an einem weiteren Standort die gemeinsame Unterstufe einzurichten.“).

2. Klassen werden abgeschafft

Klassen und die damit verbundene starke soziale Bindung zu Klassenkameraden und Klassenlehrerin bzw. Klassenlehrer soll es künftig nicht mehr geben (siehe S. 11, rechte Spalte: „Eine auf Dauer angelegte Trennung der Schülerinnen und Schüler in verschiedene Klassen oder Lerngruppen ist nicht vorgesehen.“)

3. „Jahrgangsübergreifender“ Unterricht über 3 Altersstufen

Die Kinder sollen schon „in der Grundstufe der Primarschule nach Möglichkeit jahrgangsübergreifend unterrichtet“ werden (S. 11, linke Spalte), und zwar möglichst über 3 Jahrgänge hinweg (siehe S. 11 rechte Spalte: „… besonders wirksam…, wenn mehr als zwei Jahrgänge gemeinsam unterrichtet werden.“).

4. Kurze „Verweildauer“ für die guten Schüler – Zurückbleiben der Schwächeren

Das ursprünglich angekündigte Konzept der Förderung der schwächeren Schüler durch die besseren Mitschüler hat die Behörde aufgegeben. Stattdessen soll die „Verweildauer“ in der Primarschule für die stärkeren Schüler auf bis zu 2 x 2 Jahre verkürzt werden (Grundstufe und Unterstufe jeweils: „mindestens zwei höchstens vier Jahre“; S. 11 rechte Spalte).

5. Statt Klassenlehrern künftig „Jahrgangsteams“ von mindestens 7-10 Lehrkräften

Die Betreuung der Kinder soll auf rund der Abschaffung der Klassen künftig durch „Jahrgangsteams“ von 7-10 Lehrkräften oder noch „größeren Gruppen“ (siehe S. 15, linke Spalte) erfolgen. Das einzelne Kind soll sich also künftig in jahrgangsübergreifenden Lerngruppen an mehreren Standorten einer Primarschule zurecht finden und seine Lernberichte von jährlich wechselnden Lehrer-„Jahrgangsteams“ erhalten. Eine kontinuierliche Beobachtung der individuellen Lernentwicklung wird damit faktisch erschwert.

6. Nur noch jährliche „Lerntentwicklungsberichte“ statt halbjährlicher Zeugnisse

Es soll zwar in „allen Jahrgangsstufen … mindestens zwei Lernentwicklungsgespräche“ mit den Eltern stattfinden, „die in eine schriftliche Lernvereinbarung zwischen der Schülerin oder dem Schüler, den Eltern und den Lehrkräften münden“ (S. 14, linke Spalte). Statt halbjährlicher Zeugnisse sollen jedoch in den Jahrgangsstufen 0 bis 6 jeweils nur noch „am Ende des Schuljahres Lernentwicklungsberichte erstellt“ werden sowie ein für die Übergangsentscheidung auf die weiterführende Schule maßgeblicher Lernentwicklungsbericht mit Punktesystem (statt Noten) zum Ende des ersten Halbjahres in Jahrgangsstufe 6 (S. 14, linke Spalte).

7. Schulformentscheidung durch Zeugniskonferenz – „gewichtete Einschätzung“

Die Behörde sieht drei Kriterien für die verbindliche Schulformentscheidung der Zeugniskonferenz in Jahrgangsstufe 6 vor, die „gewichtet“ in die Entscheidung einfließen sollen; wie diese „Gewichtung“ erfolgen soll, bleibt offen, lässt der Behörde also einen breiten Steuerungsspielraum:

(1) Erstes Element ist der am Ende des ersten Halbjahres in Jahrgangsstufe 6 erstellte „Lernentwicklungsbericht“: Im Durchschnitt aller Fächer sowie in mindestens zwei der drei Fächer Deutsch, Mathematik und Englisch müssen „die in den Rahmenplänen festgelegten kompetenzorientierten Anforderungen erreicht sein“; welche das sind, ist einstweilen offen (S. 16, rechte Spalte).

(2) Zweites Element sollen „valide Kompetenzfeststellungsverfahren in Deutsch, Mathematik und Englisch“ sein, für welche derzeit noch „empirisch belastbare Tests zur Individualdiagnostik entwickelt“ werden (S. 17, linke Spalte). Letzteres ist ein Widerspruch in sich, da ein erst noch zu entwickelnder Test erst nach einigen Jahren praktischer Anwendung zeigt, ob er empirisch belastbar ist – oder vielleicht nichts taugt. Diese Tests sollen am Ende des ersten Halbjahres der Jahrgangsstufe 6 (also etwa im Dezember) angewendet werden.

(3) Drittes Element sollen „die Einschätzungen der Lehrerinnen und Lehrer in Bezug auf überfachliche und soziale Kompetenzen (wie Lernstrategien und Selbstwirksamkeitsüberzeugungen)“ sein (S. 17, linke Spalte). Dieses Element soll, wie gestern bei der Vorstellung im LI erläutert wurde, besonders stark „gewichtet“ (siehe oben) werden.

Die Eltern werden nur dadurch einbezogen, dass die „erreichten fachlichen, überfachlichen und sozialen Kompetenzen in Verbindung mit dem Lernentwicklungsbericht“ in einem „ausführlichen und verbindlichen Gespräch“ Anfang Januar erörtert werden, in dem „gemeinsam über den weiteren Bildungsweg des Kindes beraten wird“ (S. 17 linke Spalte).

Anschließend entscheidet „im Januar … die Zeugniskonferenz über die vorläufige Übergangsberechtigung zum Gymnasium“ (S. 17, linke Spalte). Sind die Eltern mit dem Beschluss nicht einverstanden, können sie ein „besonderes Aufnahmeverfahren“ beantragen, in dem „alle Dokumente erneut geprüft“ werden, „die Lehrkräfte aus der Primarschule“ und die „Lehrkräfte aus dem Gymnasium“ sowie der Schüler und seine Eltern selbst „einbezogen“ werden. „Im Anschluss wird eine endgültige Entscheidung über die Erteilung der Übergangsberechtigung getroffen“ S. 17, linke Spalte; das Konzept lässt offen, von wem).

Es liegt auf der Hand, dass nur wenige Eltern – und zwar gerade Eltern aus eher „bildungsnahen“ Familien – sich trauen werden, ein solches besonderes Aufnahmeverfahren zu beantragen.

Zusammenfassend läst sich festhalten, dass das Rahmenkonzept im Falle seiner Umsetzung zu einer Verstärkung der sozialen Disparitäten führen wird, vor allem aber durch

– die Abschaffung der Klassen und
– die Einführung eines jahrgangsübergreifenden Unterrichts
– an mehren Schulstandorten
– bei gleichzeitiger Einführung von Lehrer-„Jahrgangsteams“

die Schulen zu einem Ort der möglichen Vereinsamung vieler Kinder, und zwar gerade der sozial ohnehin benachteiligten Familien, machen würde.

Von der von Frau Goetsch viel beschworenen Idee eines „längeren gemeinsamen Lernens“ ist ein Rumpfkonzept geblieben, das für die betroffenen Kinder in den ersten Schuljahren ein „längeres einsames Lernen“ bedeuten würde.

Nur Kinder, die schon mit 6 oder 7 Jahren sozial stark und selbstbewusst genug sind, um sich in einem jahrgangsübergreifenden Kurssystem zurecht zu finden und mit Unterricht ohne Klassenfreunde und Klassenlehrerin, dafür aber an mehren Schulstandorten klar zu kommen, werden hier bestehen können. Tausende Kinder würden aber auf der Strecke bleiben. Die kommende 3. Runde der RSK sollte deshalb ein Forum bieten, diese Probleme konkret und notfalls auch gegen die Planung der (gut bezahlten) RSK-Moderatoren anzusprechen. Es geht um unsere Kinder und alle Kinder dieser Stadt.

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