Demokratie ohne Volk

„Das Volk hat entschieden“, schließen manche Kommentatoren aus dem Ergebnis der Volksabstimmung. Ein Irrglaube, sieht man sich die Zahlen genauer an.

„Das Volk“ hat sich nämlich in weiten Teilen der Stadt gar nicht beteiligt.

Die Top-10-Stadtteile mit der höchsten Beteiligung sind: Nienstedten: 60,3 %, Groß-Flottbeck: 60,1 %, Othmarschen: 59,8 %, Blankenese: 58,8 %, Volksdorf: 59,1 %, Wellingsbüttel: 58,2 %, Wohldorf-Ohlstedt: 57,9%, Lemsahl-Mellingstedt: 55,6 %, Sasel: 55,4% , Bergstedt: 53,9%.

Dem stehen gegenüber die zehn Stadtteile mit der niedrigsten Beteiligung: Billbrook: 12,5 %, Hammerbrook: 20,9 %, Rothenburgsort: 21,8 %, Harburg: 24,4 %, Wilhelmsburg: 25,3 %, Hamm-Mitte: 25,6%, Horn: 25,7%, Jenfeld: 26,2%, Billstedt: 26,5%, Dulsberg 27,1%.

Noch dramatischer fielen diese Ergebnisse aus, wenn man nicht die Zahl der Wahlberechtigten, sondern die Zahl der volljährigen Bewohner zu Grunde legte. Da wären dann diejenigen, die zwar viele (Schul-)kinder haben, aber keinen deutschen Pass, auch dabei. So gerechnet, rutscht die Wahlbeteiligung zum Beispiel in Wilhelmsburg auf etwa 15 Prozent.

Das war anders gemeint, als die Volksgesetzgebung eingeführt wurde: Mehr Mitsprache für alle Bürger war das Ziel. Dass ein Teil der Bürger aufgrund der Wahlgesetze ausgeschlossen wird, war klar; dass aber tatsächlich nur ein eng begrenzter Teil der Bürger an Abstimmungen teilnimmt, ist überraschend bis erschütternd. Sozialwissenschaftler nennen dies „soziale Selektivität der Teilnahme“.

Wir kennen unterschiedliche Beteiligung entsprechend Herkunft und sozialem Status seit einigen Jahren auch bei normalen Wahlen: Demokratische Entscheidungen werden zunehmend in den „besseren“ Stadtteilen getroffen. Die Wahlbeteiligung zum Beispiel in den ursprünglichen Arbeiterquartieren schmilzt dahin wie Speiseeis im Juli. Die Menschen spielen nicht mehr mit.

Insofern muss sich in Wahrheit nicht die CDU sorgen wegen des Ausgangs der Abstimmung: Ihre treuen Wählergruppen haben in einer Sachfrage anders entschieden als die Führung, so what, das kann vorkommen. Aber sie sind in großen Scharen zur Wahl gegangen, werden das auch bei der nächsten Gelegenheit tun und weiterhin konservativ-bürgerlich abstimmen. Da geht es SPD wie LINKE vermutlich weniger gut.

Wer sich mit Einzelergebnissen auseinandersetzen mag, findet hier diverse Zahlen.

4 Gedanken zu „Demokratie ohne Volk“

  1. Es ist immer das selbe. Erst wählen kaum Bürger, und die die dann nicht gewählt haben beschweren sich über das Ergebnis. DAs ist sowas von frech. Jeder hat mitzuentscheiden und wenn er dies nicht tut dann dar er sich auch nciht beschweren. Ich glaube in ein paar Jahren wird es dann auch noch so ablaufen, dass man erst die Bürger bezahlen muss oder vergüten muss dass sie überhaupt ihren faulen A**** zu den Wahlurnen bewegen.

    Vielmehr ist es aber wohl auch das Nicht-Wissen. Viele Bürger, und da ist es eben die Unterschicht, haben einfach mal keine Ahnung von Politik und wählen einfach irgendwas. Ich sag da nur, mehr Bildung und weniger Bild.

  2. Vielleicht sollte sich der Kommentator mal die Ergebnisse in den Problemmstadtteilen anschauen:

    gerade hier wurde der Senatsvorschlag – anders als in linken Schicki-Micki-Stadteilen a la Eimsbuettel oder Winterhude – massiv abgelehnt und der Vorschlqg der Volksinitiative WWL unterstuetzt.

    Anm.d.Red.: Nur, dass hier kaum jemand zur Abstimmung ging. Nichts anderes haben wir behauptet.

  3. Ich finde es auch eine bodenlose Frechheit von Bürgern, ihr Wahl- bzw. Abstimmungsrecht einfach so auszuüben. Man könnte doch wenigstens bei der SPD vorher nachfragen, wie man abstimmen soll. Das ist doch wohl nicht zuviel verlangt!

  4. Daß bei Sachfragen viel weniger Bürger abstimmen als bei Wahlen ist doch klar, weil es viel weniger Menschen betrifft und Nichtbetroffene sich halt mit dem jeweiligen Thema nicht befassen. Insofern ist die Beteiligung von 39% für einen Volksentscheid schon hoch. Und bei Wahlen ist die Verteilung zwischen den Stadtteilen entsprechend, es nehmen halt nur 25 Prozent der Wahlberechtigten mehr teil.

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