Morsal: Schwarz-Grün verhindert Aufklärung

Nach der Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschuss zur Aufklärung des Behördenhandelns im Fall Morsal hat die SPD-Fraktion erneut scharfe Kritik an Sozialsenator Dietrich Wersich geübt.

„Senator Wersich mauert. Die CDU-Fraktion hält sich raus. Die Blockadearbeit übernimmt die GAL“, sagte die SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Carola Veit. In der Ausschusssitzung hatte Schwarz-Grün auf Initiative der GAL die Führung eines Wortprotokolls in der Ausschusssitzung abbrechen lassen.

Senator Wersich berufe sich auf den Datenschutz, wenn er sich um die Antwort auf kritische Fragen herumdrücken will. „Um so gesprächiger ist er, wenn es darum geht, Verantwortung auf andere abzuwälzen“, kritisierte Veit. Der Sozialsenator schiebe die Schuld jetzt auf das Jugendamt im Bezirk Mitte, belege seinen Vorwurf aber nicht mit Fakten. Gleichzeitig verhindere er, dass das Amt im Ausschuss seinen Teil zur Aufklärung beisteuert. Die SPD erwäge jetzt, ein Aktenvorlageersuchen zu stellen, um so die für die Aufarbeitung erforderlichen Informationen zu erhalten. Die Behandlung des Falls Morsal stehe weiter auf der Tagesordnung des Ausschuss, sagte Veit.

Der Senat weigere sich weiterhin – mit dem aus Sicht der SPD fragwürdigen Hinweis auf den Sozialdatenschutz – über das Behördenhandeln in den letzten Tagen vor dem Mord an Morsal Auskunft zu geben. Einräumen musste der Senat jedoch, dass es kurz vor dem Tod des Mädchens eine Vermisstenanzeige gegeben hatte. So hatte der Kinder- und Jugendnotdienst Morsal in der Nacht vom 15. auf den 16. Mai als vermisst gemeldet. Sie war aber bereits am Nachmittag des 15. Mai offenbar nicht zu einem Gesprächstermin erschienen, bei dem über ihre weitere Betreuung beraten werden sollte. Die Behörden hatten auf ihr Ausbleiben offensichtlich keine Maßnahmen ergriffen.

Veit sagte, auch dieses Detail widerlege die von Teilen des Senats und der Koalitionsfraktionen vertretene Ansicht, die Behörden hätten im Fall Morsal keine Fehler gemacht. „Es wird immer deutlicher, dass die verschiedenen Behörden und Ämter teilweise ohne jede Koordination aneinander vorbei gearbeitet haben. Die Anfangs geäußerten positiven Bewertungen des Behördenhandelns etwa durch Sozialsenator Wersich und Schulsenatorin Goetsch ließen sich nicht länger aufrechterhalten (s. u.).

Die SPD forderte den Senat auf, in allen bekannten Fällen von Gewalt an Kindern innerhalb ihrer Familie jetzt eine Gefahrenanalyse auch für die so genannten „Altfälle“ vorzunehmen. „Senator Wersich hat nach dem Mord an Morsal angekündigt, in Fällen von Gewalt an Kindern in der Familie werde seine Behörde ab sofort von einem worst-case-Szenario ausgehen – also vom schlimmsten anzunehmenden Fall von Kindswohlgefährdung. Das muss für alle Fälle von Gewalt in Familien gelten – nicht nur für die, die jetzt erst in die Akten aufgenommen werden. Alles andere wäre Augenwischerei“, sagte der SPD-Abgeordnete Thomas Böwer.

Die SPD warf dem Sozialsenator einen „inaktzeptablen Umgang mit dem Parlament“ vor. Wersich wolle die Akte Morsal zur Bewertung an das „Nationale Zentrum Frühe Hilfe“ übergeben, verweigere aber durch seine Blockadehaltung eine angemessene Aufarbeitung durch die Bürgerschaft in Hamburg.

Wirkungsvolle Unterstützung erhalte Wersich dabei von der GAL-Fraktion: Zu Beginn der Ausschusssitzung hatten die Abgeordneten von GAL und CDU die Führung eines Wortprotokolls abgebrochen. Begründung der GAL: Dieses Protokoll könnte in der öffentlichen politischen Debatte missbräuchlich instrumentalisiert werden.

Die SPD-Abgeordneten warfen CDU und GAL daraufhin Verschleierung vor. „Das Wortprotokoll dokumentiert, was gesagt worden ist. Die Argumentation insbesondere der GAL-Abgeordneten ist schlicht unsinnig. Es ist atemberaubend, in welcher Geschwindigkeit die GAL ihr grünes Aufklärungsjäckchen gegen einen schwarz-grünen Verhüllungsschleier eingetauscht hat“, sagte Böwer. Er wies darauf hin, gerade das nach der letzten Ausschusssitzung angefertigte Wortprotokoll habe einen Senatsvertreter vor der Fehlinterpretation seiner Aussagen geschützt.

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Anhang: Zitate

„Papierlage sehr gut“

Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) in der Landespressekonferenz am 27. Mai 2008:

„Wir haben nach dem Fall Jessica eine hohe Sensibilität bei Schulabsentismus erreicht. Die Papierlage ist sehr gut.“

Der Vertreter der Schulbehörde am 10. Juni 2008 im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss:

„Die Führung der Schülerakte entspricht wie bei vielen Schulen in Hamburg nicht den Ansprüchen der Behörde.“

„Insofern ist auch die hier vorliegende Schülerakte eine, die alle Zeugnisse enthält, alle Wege sauber enthält, alle Fehlzeiten, aber keinen Aufschluss gibt über Beratungsgespräche und Ähnliches.“

„Er [der mittlerweile pensionierte Klassenlehrer Morsals, der auch Beratungslehrer war] hat keine Aufzeichnungen, weiß keine genauen Daten.“

„In außergewöhnlicher Weise zusammengewirkt“

Viviane Spethmann, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft in der Debatte am 29. Mai 2008:

Sie könne feststellen, „dass in außergewöhnlicher Weise Schule, Polizei, Jugendhilfe, Justiz zusammengewirkt haben.“

Der Vertreter der Justizbehörde am 10. Juni 2008 im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss zu zwei Anklagen aus dem Februar und April 2007, bei denen Morsal Opfer war: „Dieses Verfahren ist vom Gericht sodann, nachdem die Mitteilung das Gericht ereilt hatte, im Juni terminiert worden, Juni 2008. Das war natürlich zu spät. Das ist durchaus ein Schwachpunkt, das muss man aus Sicht der Justiz einräumen.“

Der Vertreter der Schulbehörde: „Die Schule hat sich auf die Erstzuständigkeit des Jugendamtes verlassen (..).“

„Richtlinien und Check-Listen hervorragend“

Schulsenatorin Christa Goetsch hat auf der Landespressekonferenz zu Tod Morsals am 27. Mai 2008 ausgeführt, ihre Behörde habe – „hervorragende Richtlinien“ und „Check-Listen“.

Der Vertreter der Schulbehörde: „Wir werden eine Dienstanweisung ‚Abmeldung von Schulen ins Ausland‘ herausgeben.“ (…) „Zum Zweiten werden wir eine Dienstanweisung zur Absicherung der Interventionskette in so einem Fall nehmen (..).“ „Das Nächste ist: Wir wollen Checklisten herausgeben aus unseren bisherigen Materialien, aufgearbeitet mit dem, was jetzt bei uns im Hause entsteht (..).“

„Bewährungsprobe bestanden“

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan im Interview mit der BILD-Zeitung am 7. Juni 2008: „Die erste Bewährungsprobe, den tragischen Mord an Morsal, haben wir bestanden. Da haben wir schnell Konsequenzen gezogen.“

Der Vertreter der Sozialbehörde am 10. Juni 2008 – also Tage nach dem BILD-Interview: „(..) wir haben inzwischen die Akte und sind noch dabei, sie auszuwerten (..).“

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