Mordfall Morsal: Senat bleibt Erklärungen schuldig

In der Bürgerschaft hat die SPD-Abgeordnete Carola Veit erneut Kritik am Umgang der Behörden mit dem Mord an Morsal O. geübt. Zugleich kritisierte sie, dass Vertreter des Senats wie auch der ihn tragenden Parlamentsfraktionen sich als Schönredner betätigten und die erhebliche Mitschuld Hamburger Behörden nicht zugeben wollen.

„Bereits jetzt ist klar, dass die Informationen der beteiligten Stellen nicht verlässlich und regelhaft zu einer Gefährdungseinschätzung zusammengeführt werden. Die vorhandenen Möglichkeiten zum Schutz Morsals wurden nicht konsequent genutzt. Es ist schwer zu ertragen, dass Vertreter des Senats und der ihn tragenden Parteien so tun, als sei alles richtig gelaufen“, sagte Veit. Sie verwies auf widersprüchliche Äußerungen von Behördenvertretern einerseits und Aussagen aus CDU und GAL andererseits (siehe Anhang).

Während einzelne Behördenvertreter Schwachstellen im Hilfesystem eingeräumt hätten, hätte etwa die stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende Viviane Spethmann öffentlich erklärt, Schule, Polizei, Jugendhilfe und Justiz hätten in außergewöhnlicher Weise zusammengewirkt. Schulsenatorin Goetsch habe unmittelbar nach Morsals Tod gesagt, die „Papierlage“ sei „sehr gut“, es gebe „hervorragende Richtlinien“ und einwandfreie Checklisten. Der Vertreter ihrer Behörde habe zwei Wochen später im Jugendausschuss aber eingeräumt, man werde „jetzt“ – zwei Wochen nach der Aussage der Schulsenatorin – eine Dienstanweisung für die Abmeldung von Schulen ins Ausland erarbeiten. „Erst heute – wie bestellt zu dieser Debatte – scheint diese Anweisung tatsächlich zu kommen. Das alles wirft kein gutes Licht auf das Senatshandeln“, sagte Veit.

Auch die GAL-Fraktion habe sich fragwürdig geäußert. So habe Fraktionschef Jens Kerstan öffentlich erklärt: „Die erste Bewährungsprobe, den tragischen Mord an Morsal, haben wir bestanden. Da haben wir schnell Konsequenzen gezogen.“ Der Vertreter der Sozialbehörde hingegen räumt drei Tage später ein, man sei erst dabei, die Akte auszuwerten.“ – „Es ist nicht allein der Mord an Morsal und die schlimme Vorgeschichte – es ist ein Stück weit auch der Umgang von Senat, CDU und GAL, der betroffen macht“, sagte Veit.

Sie bedauerte, CDU und GAL hätten als Konsequenz aus dem Mordfall lediglich beantragt, dass der schwarz-grüne Koalitionsvertrag umgesetzt wird. Darüber hinaus werde gefordert, was der Senat bereits als beschlossene Maßnahmen verkauft habe. Die SPD-Fraktion werde in der folgenden Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses weiter an der Aufarbeitung des Falles Morsal arbeiten – und sehe dass als Voraussetzung notwendiger Verbesserungen innerhalb und zwischen den Behörden. Hier würden auch die falsche Gefährdungseinschätzung im Fall Morsal sowie unklare oder fehlende Grundlagen für das Handeln der Sozialbehörde stehen, kündigte Veit an. Wenn man die letzten Tage im Leben Morsals betrachte, werde klar, dass es bei der Aufklärung der Hintergründe nicht allein um Jugendhilfe geht, sondern insbesondere auch um Gefahrenabwehr. „Und hier liegt ein ganz klares Versagen“, sagte die Abgeordnete.

Sie forderte den Senat auf, über das Handeln der Behörden im Mordfall Morsal zu informieren. „Die Hamburgerinnen und Hamburger haben einen Anspruch darauf, zu erfahren, was der Senat zum Schutz ihrer Kinder tut. Eltern brauchen keine schönen Worte, die sich dann schon wenige Tage später als Halbwahrheiten entpuppen.

Mordfall Morsal – Debatte in der Hamburgischen Bürgerschaft
am 18. Juni 2008 – Antrag der SPD-Fraktion (Drs. 18/494)

Zitate:

„Papierlage sehr gut“

Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) in der Landespressekonferenz am 27. Mai 2008:

„Wir haben nach dem Fall Jessica eine hohe Sensibilität bei Schulabsentismus erreicht. Die Papierlage ist sehr gut.“

Der Vertreter der Schulbehörde am 10. Juni 2008 im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss:

„Die Führung der Schülerakte entspricht wie bei vielen Schulen in Hamburg nicht den Ansprüchen der Behörde.“

„Insofern ist auch die hier vorliegende Schülerakte eine, die alle Zeugnisse enthält, alle Wege sauber enthält, alle Fehlzeiten, aber keinen Aufschluss gibt über Beratungsgespräche und Ähnliches.“

„Er [der mittlerweile pensionierte Klassenlehrer Morsals, der auch Beratungslehrer war] hat keine Aufzeichnungen, weiß keine genauen Daten.“

„In außergewöhnlicher Weise zusammengewirkt“

Viviane Spethmann, stellvertretende CDU-Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft in der Debatte am 29. Mai 2008:

Sie könne feststellen, „dass in außergewöhnlicher Weise Schule, Polizei, Jugendhilfe, Justiz zusammengewirkt haben.“

Der Vertreter der Justizbehörde am 10. Juni 2008 im Familien-, Kinder- und Jugendausschuss zu zwei Anklagen aus dem Februar und April 2007, bei denen Morsal Opfer war: „Dieses Verfahren ist vom Gericht sodann, nachdem die Mitteilung das Gericht ereilt hatte, im Juni terminiert worden, Juni 2008. Das war natürlich zu spät. Das ist durchaus ein Schwachpunkt, das muss man aus Sicht der Justiz einräumen.“

Der Vertreter der Schulbehörde: „Die Schule hat sich auf die Erstzuständigkeit des Jugendamtes verlassen (..).“

„Richtlinien und Check-Listen hervorragend“

Schulsenatorin Christa Goetsch hat auf der Landespressekonferenz zu Tod Morsals am 27. Mai 2008 ausgeführt, ihre Behörde habe – „hervorragende Richtlinien“ und „Check-Listen“.

Der Vertreter der Schulbehörde: „Wir werden eine Dienstanweisung ‚Abmeldung von Schulen ins Ausland‘ herausgeben.“ (…) „Zum Zweiten werden wir eine Dienstanweisung zur Absicherung der Interventionskette in so einem Fall nehmen (..).“ „Das Nächste ist: Wir wollen Checklisten herausgeben aus unseren bisherigen Materialien, aufgearbeitet mit dem, was jetzt bei uns im Hause entsteht (..).“

„Bewährungsprobe bestanden“

GAL-Fraktionschef Jens Kerstan im Interview mit der BILD-Zeitung am 7. Juni 2008: „Die erste Bewährungsprobe, den tragischen Mord an Morsal, haben wir bestanden. Da haben wir schnell Konsequenzen gezogen.“

Der Vertreter der Sozialbehörde am 10. Juni 2008 – also Tage nach dem BILD-Interview: „(..) wir haben inzwischen die Akte und sind noch dabei, sie auszuwerten (..).“

(Zitate aus der Sitzung des Familien-, Kinder- und Jugendausschusses ausweislich des Wortprotokolls)

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