Die Herren Kruse und Freytag – beide CDU – durften sich Montag im Focus über angeblich unseriöse Finanzplanungen der Hamburger SPD auslassen. Hubert Schulte, im Naumann-Kompetenzteam für Finanzen zuständig, schlägt jetzt zurücl: Mit einer weltweiten Botschaft auf hh-heute.de.
Hubert Schulte:
Über die Wahrhaftigkeit in den Zeiten des Wahlkampfs
Zu Berechnungen von CDU und Finanzsenator über die Kosten des SPD-Regierungsprogramms erklärt Hubert Schulte, Mitglied des Kompetenzteams von Michael Naumann für den Bereich Finanzen:
„Der finanzpolitische Sprecher der CDU, Herr Kruse, sowie der Finanzsenator und CDU-Landesvorsitzende Freytag (verlautbart über die Montagsausgabe des Focus) haben sich in diesen Tagen zu den finanziellen Auswirkungen des SPD-Wahlprogramms geäußert. Sie behaupten, die „richtigen“ Zahlen zu kennen und warnen vor unsolider Haushaltspolitik. Vieles an diesen Darstellungen ist erstaunlich, zumal richtige Zahlen und solide Haushaltspolitik nun wirklich nicht gerade die Markenzeichen der aktuellen Senatspolitik sind:
• CDU und Senat behaupten wahrheitswidrig, einen ausgeglichenen Haushalt zu haben, obwohl das nachgewiesenermaßen nicht stimmt und im Haushalt 2008 eine Lücke von fast 700 Mio. klafft. Gibt das die Glaubwürdigkeit und Kompetenz, die finanzpolitischen Aussagen des SPD-Wahlprogramms realistisch zu bewerten?
• Im vergangenen Jahr haben CDU und Senat im Wahlkampffieber neue Ausgaben von 450 Mio. € für 2007 und 2008 beschlossen. Und zu den Kosten ihres eigenen Wahlprogramms hat die CDU bis heute keine Zahl genannt. Da beweist es schon eine gewisse Unverfrorenheit, ausgerechnet der SPD vor-zuwerfen, sie wolle zu viel Geld ausgeben.
Die Qualität der Berechnungen wird schon daran deutlich, dass Herr Kruse die Kosten des Wahlprogramms mit 4 Mrd. € beziffert, während Herr Freytag über den Focus von 2,5 Mrd. € sprechen lässt. Schon diese Differenzen lassen ahnen, dass die vorgelegten Berechnungen der CDU in ihrer Qualität nahtlos an die Statistik der Lehrerzahlen von Herrn Lange und Frau Dinges-Dierig sowie die Justizstatistik von Herrn Lüdemann anknüpfen.
Doch wie kommt man zu solchen Zahlen? Herr Kruse spricht von 4 Mrd. Gesamtkosten. Darin enthalten sind
• die „Kosten einer Tunnellösung für die Hafenquerspange“ mit 1,5 Mrd. €, obwohl es ein Problem jedes künftigen Hamburger Senats sein wird, eine Lösung und eine Finanzierung für dieses drängende Problem zu finden und obwohl gerade erst dieser Senat eine Verdoppelung der geschätzten Kosten ein-räumen musste. Wie will ein CDU-Senat die Querspange eigentlich finanzieren?
• die angeblichen Kosten der Gründung von Stadtwerken mit „mind. 2 Mrd. €“. Einmal ganz abgesehen von der Größenordnung dieser Phantasiezahl: Stadtwerke können, müssen und werden sich aus sich selbst heraus finanzieren und bekommen keine Haushaltszuschüsse. Dass die Versorgung mit Strom und Gas kein Verlustgeschäft ist wird ja vielerorts täglich unter Beweis gestellt. Im übrigen hat Michael Naumann gerade nicht vom Rückkauf der Netze gesprochen.
Und so haben sich von den angeblich 4 Mrd. € Mehrkosten aus dem SPD-Regierungsprogramm schon beim ersten kritischen Blick 3 1/2 Mrd. in Luft aufgelöst.
Bei ihren Berechnungen schließen Herr Kruse und Herr Freytag von sich selbst auf andere: CDU und Senat haben reihenweise teure Prestigeprojekte von der U4 bis zum Jungfernstieg auf den Weg gebracht und mussten bei vielen Maßnahmen nachträglich erhebliche Kostensteigerungen zugeben. Mit diesem „Erfahrungswissen“ wird jetzt jeder Halbsatz des Regierungsprogramms der SPD mit hohen Millionenbeträgen berechnet.
Ein besonders pfiffiger Rechentrick ist der Focus-Freytag-Multiplikator. Das ist eine Kombination von bewusstem Missverstehen mit schein-plausiblen Rechenkunststücken:
• Da wird z. B. festgestellt, dass die Abschaffung aller Gebühren für Kindertagesbetreuung 85 Mio. pro Jahr koste; dann wird die Zahl mit 4 multipliziert und als Kosten für die Legislaturperiode fließen damit 340 Mio. € in die Gesamtsumme ein. Tatsächlich hat die SPD aber gar nicht die sofortige Abschaffung aller Kita-Gebühren beschlossen, sondern kündigt diese stufenweise bis zum Jahr 2012 an, so dass die Kosten über 5 Jahre hinweg erst allmählich anwachsen. Berücksichtigt man dies, betragen die Gebührenausfälle in den 4 Jahren der Legislaturperiode unter 150 Mio. €, also weniger als die Hälfte dessen, was der Focus in seine Berechnungen einfließen lässt.
• Beispiel: Ganztagsschulen: Focus/Freytag rechnet für den Betrieb von 100 Ganztagsschulen mit 45 Mio. jährlich, multipliziert dies mit dem Faktor 4 und kommt zu angeblichen Kosten für die Legislaturperiode von 180 Mio. €; tatsächlich fordert die SPD im Wahlprogramm aber auch hier den stufenweise Ausbau über 6 Jahre. Eine gleichmäßige Entwicklung unterstellt, sind das in der Legislaturperiode etwa 80 Mio., also ebenfalls weniger die Hälfte dessen, was der Focus berechnet.
Wir bleiben dabei: Wir werden die im Regierungsprogramm angekündigten Maßnahmen umsetzen und solide finanzieren – nicht alles sofort, sondern stufenweise und mit strikter Sparsamkeit. Bei den laufenden Ausgaben ist ein Betrag von 50 Mio. € im ersten, aufwachsend über 120 Mio. und 190 Mio. im 2. und 3. Jahr auf rd. 250 Mio. € im vierten Jahr erforderlich (s. Anlage). Wir können und werden diesen Betrag finanzieren – und zwar durch Umschichtung.
Das ist eine realistische Größenordnung; ein derartiges Umschichtungsvolumen ist leistbar:
• Bei den Konsolidierungsprogrammen der SPD-geführten Senate 1994 – 2001 wurden jährliche Beträge von rd. 150 Mio. € eingespart. Das sind in 4 Jahren 600 Mio. €/Jahr, mehr als das Doppelte dessen, was für die Finanzierung unseres Wahlprogramms benötigt wird.
• Der Senat hat in seiner mittelfristigen Finanzplanung eine Steigerung der Betriebsausgaben von jährlich durchschnittlich rd. 150 Mio. € vorgesehen. Wir werden diese Mittel neben den zwangsläufigen Ausgabeverpflichtungen vor allem für eine Finanzierung unserer politischen Prioritäten einsetzen.
• Die SPD-Fraktion hat zudem bereits in den Haushaltsberatungen der Bürgerschaft mit konkreten Anträgen die Finanzierbarkeit ihrer Forderungen belegt.
Mein Ratschlag an Herrn Kruse und Herrn Freytag: Erst mal vor der eigenen finanzpolitischen Haustür kehren und die Tugenden der Wahrhaftigkeit und Seriosität im Umgang mit Haushaltszahlen (neu) entdecken. Auf der Basis sollten wir dann eine sicher kontroverse, aber wenigstens seriöse Diskussion führen über die Frage, wo Hamburg finanzpolitisch steht und wo die politischen Prioritäten in der neuen Legislaturperiode gesetzt werden müssen.“