Warteschleifen nach dem Turbo-Abi

Mit dem Turbo-Abitur schneller in den Beruf? Daraus wird für viele Abiturienten nichts werden. Nach stressigen Jahren auf dem Gymnasium, wo in acht Jahren der Stoff von vorher neun Jahren gelernt werden musste, werden viele nach dem Abschluss zunächst weder Studien- noch Ausbildungsplatz finden.

Nach der Wende behielten Sachsen und Thüringen die DDR-Regelung bei: Das Abitur erreichte man dort in zwölf statt 13 Schuljahren. Um die Jahrtausendwende herum übernahmen Stück für Stück auch alle anderen Bundesländer diese Verkürzung – angeblich, damit die Schülerinnen und Schüler schneller „ins Leben“ kommen, tatsächlich wohl meist aus schnöden finanziellen Gründen: Zwölf Schuljahre sind nun einmal billiger als 13.

Das verursachte zunächst einmal jede Menge Stress bei den betroffenen Lehrern, Schülern, Eltern. Jetzt zeigt sich, dass der neue Weg für einen Teil der Schülerinnen und Schüler nicht ins sprudelnde Leben, sondern auf einen langweiligen Warteplatz führt.

Die Verkürzung produziert nämlich in allen Bundesländern sogenannte Doppeljahrgänge: Überall gibt es ein Jahr, in dem der erste achtjährige (zwölfjährige) und der letzte neunjährige (13) Abiturientenjahrgang gleichzeitig die Schule beenden. Dann gibt es im jeweiligen Bundesland rund doppelt so viele Abiturienten wie in „normalen“ Jahren. Die Folge: Studien- und Ausbildungsplätze fehlen. Und auch die oft gehörte Empfehlung, man möge sich doch flexibel zeigen und in einem anderen Bundesland studieren, greift meistens nicht – die Dopplung trifft stets mehrere Länder, auf die wenigen freien Plätze auswärtiger Universitäten strömen Abiturienten von allen Seiten.

Hamburg hat das Problem im kommenden Jahr: 2010 wird „unser“ Doppeljahrgang die Schulen verlassen. Vorsorge wurde dafür bisher nicht getroffen – darauf haben SPD und LINKE sowie (vor der letzten Senatsbildung) die GAL immer wieder hingewiesen. Jetzt hat eine erneute Anfrage des SPD-Schulexperten Ties Rabe ergeben, dass die Verhältnisse voraussichtlich noch schlimmer sind, als bisher angenommen.

So erklärt sich die SPD zum Thema:

Turbo-Abitur: Zahlen dramatischer als erwartet
Rabe: 6500 Absolventen mehr – Senat hat Entwicklung verschlafen

Mit dem doppelten Abiturjahrgang im Sommer 2010 werden vermutlich weit mehr Schülerinnen und Schüler Hamburgs Schulen verlassen, als bislang vom Senat angenommen. Darauf hat SPD-Bildungsexperte Ties Rabe am Dienstag hingewiesen. Er verwies dabei auf die Antwort des Senats auf eine Kleine Anfrage (hier als PDF).

„Laut Auskunft der Schulbehörde haben im Jahr 2008 insgesamt 7464 Schülerinnen und Schüler in Hamburg Abitur gemacht Vor den Sommerferien 2009 steuerten 15.125 Hamburger Schülerinnen und Schüler auf das Abitur zu. Wenn man die zu erwartenden Schulabbrecher und Wiederholer von dieser Zahl abzieht, werden über 14.000 Schülerinnen und Schüler im Sommer 2010 das Abitur ablegen. Das sind über 6000 mehr als im letzten Jahr und knapp 2000 mehr als vom Senat geschätzt“, sagte Rabe. Er warf dem Senat vor, die Entwicklung monatelang verschlafen zu haben. „Der Boom durch den doppelten Abitur-Jahrgang wird viele junge Leute in Warteschleifen zwingen. Denn der Senat weigert sich, zusätzliche Studien- und Ausbildungsplätze für Hamburgs Abiturienten zu schaffen.“

Grund für die deutlich höheren Zahlen seien die allgemeine Zunahme der Oberstufenschüler sowie die Tatsache, dass in der neusten Rechung des Senats erstmals alle Hamburger Schulformen erfasst wurden. Rabe: „Vor diesem Hintergrund ist es unverantwortlich, dass CDU und GAL in der Bürgerschaft alle Vorstöße der SPD blockiert haben, für diese Schülerinnen und Schüler zusätzliche Studien- und Ausbildungsplätze zu schaffen. CDU und GAL haben mit dem Turbo-Abitur Schulstress und Mehrarbeit produziert. Jetzt lässt Schwarz-Grün diese Schüler sowie ihre Mitschüler mit Real- und Hauptschulabschluss nach der Schulzeit im Regen stehen.“ In dieser Ausnahmesituation müssten mehr Studienplätze, mehr Ausbildungsplätze und Ausbildungsmöglichkeiten geschaffen werden. Die SPD hatte in einem Bürgerschaftsantrag entsprechende Vorschläge gemacht.

Nach Angaben der Schulbehörde haben im vergangenen Jahr insgesamt 7464 Abiturientinnen und Abiturienten die Schule verlassen. Die Zahlen für 2009 wird der Senat erst in der Herbststatistik vorlegen. Vor den Sommerferien besuchten 15.125 Schülerinnen und Schüler die vorletzte Klasse vor dem Abitur. Die Schulstatistiken weisen pro Jahr in der Oberstufe zwischen 3,5 und 4,0 Prozent Wiederholer und Schulabgänger aus. Auf der Grundlage dieser Quoten würden vermutlich rund 14.000 Schüler den direkten Weg zum Abitur im Sommer 2010 schaffen, erheblich mehr als in normalen Jahren. Die Zahl der Schulabgänger in Hamburg insgesamt steigt von bislang rund 16.500 auf deutlich über 23.000 Schüler.

Leidtragende sind nicht nur die Studienplatzbewerber. So spricht die Handelskammer Hamburg mit Blick auf den Doppel-Jahrgang und die Lage auf dem Ausbildungsmarkt von „der größten Herausforderung der vergangenen Jahre“ und warnt: „Wenn sich die bisherigen Quoten früherer Jahrgänge nicht wesentlich ändern, ist mit 1000 bis 1500 zusätzlichen Bewerbern um Ausbildungsplätze zu rechnen.“ (Hamburger Wirtschaft 09/2009; S. 11). Der Verdrängungswettbewerb werde vor allem Jugendliche mit schwachem Realschulabschluss treffen, fürchtet SPD-Bildungsfachmann Rabe. „Wir wollen, dass der Senat gemeinsam mit dem „Aktionsbündnis für Bildung und Beschäftigung Hamburg“ eine Kampagne für mehr Ausbildungsplätze startet“, forderte der Abgeordnete.

Auch die Situation für angehende Studierende ist angespannt, weil sich die Zahl der Studienplätze in Hamburg in den letzten Jahren kaum verändert hat. 2004 gab es in Hamburg für Studienanfänger 10.928 Studienplätze, 2009 sollen es 11.247 sein – gerade einmal 319 mehr. Dabei stieg die Zahl der Hamburger Abiturienten im selben Zeitraum bereits um rund 1400 Abiturienten.

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