Noch immer ist nicht klar, ob es parallel zur Bundestagswahl auch einen Volksentscheid über das Hamburger Wahlrecht geben wird. Nachdem die Verhandlungen zwischen den Rathaus-Politikern und „Mehr Demokratie“ auf der Basis des CDU-Vorschlags gescheitert sind, legt die SPD nun einen eigenen Vorschlag vor. Ziel sei es, ein Wahlrecht zu erreichen, das von allen Seiten akzeptiert werde und gleichzeitig die verfassungsrechtliche Stellung der Parteien berücksichtige.
Der SPD-Landesvorsitzende Ingo Egloff erklärte dazu: „Wir wollen die letzte Chance für einen Wahlrechtskonsens nutzen. Das Bremer Modell ist dort auf Vorschlag von „Mehr Demokratie“ von der Bremischen Bürgerschaft mit breiter Mehrheit beschlossen worden. Das kann für Hamburg Vorbild sein – damit beim Thema Wahlrecht endlich Frieden einkehrt.“
Der Text im Wortlaut:
Diskussionsvorschlag: „Bremer Modell“ für die Landesliste
1. Der Vorschlag der Parteien aus der ersten Verhandlungsrunde für die Änderung der Verfassung (Zwei-Drittel-Mehrheit für künftige Wahlrechtsänderungen und fakultativer Volksentscheid analog zur Volksgesetzgebung) wird übernommen.
2. Alle anderen Regelungspunkte der Volksinitiative (Wegfall der 5%-Hürde bei den Bezirksversammlungen, Entkoppelung Bezirks- und Bürgerschaftswahl, Wegfall der Parteistimmen im Wahlkreis) werden übernommen.
3. Die Übernahme des sog. „Bremer Modells“ für die Landesliste macht im Wesentlichen Änderungen in § 3 und § 5 des Bürgerschaftswahlrechts erforderlich. Weitere technische Verweisungskorrekturen in anderen Normen des Wahlgesetzes werden vorgeschlagen, sobald die Bereitschaft bei allen Verhandlungspartnern erkennbar wird, sich auf dieses Modell einzulassen. Ferner wäre eine Übernahme dieses Modells auf die Bezirkslisten zu diskutieren.
Kernpunkt der bremischen Regelung ist die Gewichtung der Persönlichkeits- und Listenstimmen. Anders als in der niedersächsischen Regelung, die bislang in Hamburg auf Wahlkreisebene Anwendung fand und wenige mandatsrelevante Veränderungen bewirkt hat, werden zunächst die Sitze zugeteilt, die in der Reihenfolge des Listenplatzes zu vergeben sind.
Erst anschließend werden die übrigen Bewerber entsprechend ihrer Stimmenzahl bedient. Kandidaten, die sowohl aufgrund ihres Listenplatzes als auch aufgrund ihrer Stimmenzahl gewählt wären – nach allen bisherigen Erfahrungen der absolute Regelfall – erhalten ihren Sitz also vorrangig aus dem Kontingent der Listensitze. Dadurch bleiben mehr Sitze übrig für die Zuteilung aufgrund des Wählervotums.
Mit dieser hier vorgeschlagenen zentralen Akzentverschiebung kann dem Anliegen der Hamburger Wahlrechts-Volksinitiative – das Element der Personenwahl zu stärken – wesentlich stärker Rechnung getragen werden als mit dem von der CDU vorgeschlagenen Modell. Die in Bremen aktuell diskutierten verfassungsrechtlichen Bedenken im Hinblick auf die Normenklarheit vermögen demgegenüber nicht zu überzeugen. Das „Bremer Modell“ bietet überhaupt erst die Chance, in größerem Umfang mandatsrelevante Veränderungen der Liste „durch Wählerhand“ vornehmen zu können. Insofern kann der Wähler sehr wohl sein Wahlverhalten an der neuen Regelung ausrichten.
Zentrale Änderungen:
§ 3 neu
(1) Die Wahlberechtigten haben fünf Wahlkreisstimmen für die Wahl nach Wahlkreislisten und fünf Parteistimmen für die Wahl nach Landeslisten. Die Stimmen können beliebig auf die Wahlvorschlage und die in ihnen genannten Personen verteilt werden.
1. Im Rahmen der zur Verfügung stehenden Stimmenzahl können einer Person bis zu fünf Stimmen gegeben werden (kumulieren).
2. Die Stimmen können an Personen aus unterschiedlichen Wahlvorschlägen verteilt werden (panaschieren).
3. Statt oder neben der Kennzeichnung einzelner Personen können Stimmen auch an Landeslisten in ihrer Gesamtheit
gegeben werden; auch hierbei ist es möglich zu kumulieren und zu panaschieren.
(2) Die Verteilung der 121 Sitze auf die Parteien und Wählervereinigungen richtet sich nach dem Verhältnis der Parteistimmen.
§ 5 neu
(1) Bei der Verteilung der nach Landeslisten zu vergebenden Sitze werden nur Landeslisten berücksichtigt, die mindestens fünf vom Hundert der insgesamt abgegebenen gültigen Parteistimmen erhalten haben.
(2) Von den 121 Abgeordnetensitzen wird die Zahl der in den Wahlkreisen gewählten Personen abgezogen, die als Einzelbewerbung oder von einer Partei oder Wählervereinigung vorgeschlagen sind, für die keine Landesliste zugelassen ist oder deren Landesliste nach Abs. 1 nicht zu berücksichtigen ist.
(3) Die Parteistimmen, die auf die Personen einer Landesliste oder auf die Landesliste in ihrer Gesamtheit entfallen sind, werden zusammengezählt.
(4) Die nach Absatz 2 zu vergebenden Sitze werden nach dem Divisorverfahren mit Standardrundung auf die Landeslisten auf Grundlage ihrer Parteistimmen verteilt. Kommt es zu gleichwertigen Rundungsmöglichkeiten, entscheidet das von der Landeswahlleitung zu ziehende Los.
(5) Hat eine Partei oder Wählervereinigung in den Wahlkreisen mehr Sitze errungen, als ihr nach Absatz 4 insgesamt zustehen (Überhangmandate), erhöht sich die Gesamtzahl der nach Absatz 4 zu vergebenden Sitze um so viele, wie erforderlich sind, um unter Einbeziehung der Überhangmandate die Sitzverteilung im Lande nach dem Verhältnis der Parteistimmenzahlen zu gewährleisten (Ausgleichsmandate).
(6) Von der für jede Landesliste so ermittelten Abgeordnetenzahl wird die Zahl der von der Partei oder Wählervereinigung in den Wahlkreisen errungenen Sitze abgerechnet.
(7) Für jeden Wahlvorschlag wird im Verhältnis der Stimmen, die auf den Wahlvorschlag in seiner Gesamtheit (Landeslistenstimmen) einerseits und auf seine Bewerber (Persönlichkeitsstimmen) andererseits entfallen, festgestellt, wie viele Sitze nach Listenwahl und wie viele Sitze nach Personenwahl zu vergeben sind. Zur Ermittlung der Sitzverteilung werden die Zahl der Landeslistenstimmen sowie die Zahl der Persönlichkeitsstimmen jeweils durch die Zahl dividiert, die sich durch Teilung der auf den Wahlvorschlag entfallenen Parteistimmen durch die Zahl der dem Wahlvorschlag zugefallenen Sitze ergibt.
(8) Die auf einen Wahlvorschlag nach Listenwahl zu vergebenden Sitze werden den Bewerbern in der Reihenfolge zugeteilt, in der sie im Wahlvorschlag benannt sind. Die übrigen Sitze werden den noch nicht nach Satz 1 berücksichtigten Bewerbern mit den höchsten Stimmenzahlen zugeteilt; bei Stimmengleichheit entscheidet die Reihenfolge der Benennung im Wahlvorschlag. Hat eine im Wahlvorschlag benannte Person nach Ablauf der Frist für die Einreichung der Wahlvorschläge ihre Bewerbung zurückgezogen, ist eine Wählbarkeitsvoraussetzung weggefallen oder ist die Person nach Fristablauf verstorben, so wird der auf sie entfallene Sitz der Person mit derselben oder nächst niedrigeren Stimmenzahl zugeteilt.
(9) Entfallen auf eine Landesliste mehr Sitze, als Personen benannt und zu berücksichtigen sind, so werden diese Sitze an die noch nicht gewählten Personen auf den Wahlkreislisten der jeweiligen Partei oder Wählervereinigung vergeben. Hierbei entscheidet die Reihenfolge des Anteils der von einer Person erreichten Stimmenzahl an den insgesamt im jeweiligen Wahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen. Bei gleichem Stimmenanteil erhält den Sitz die Person mit der höheren Stimmenzahl. Ist auch die Stimmenzahl gleich, entscheidet das von der Landeswahlleitung zu ziehende Los. Sind alle Wahlkreislisten der Partei oder Wählervereinigung erschöpft, so bleiben die restlichen Sitze unbesetzt.