Urteil zu Leukämie-Therapie bei 72jähriger Frau

Klares Urteil: Eine Krankenkasse ist zur Kostenübernahme einer lebenserhaltenden Stammzelltransplantation für eine 72jährige Frau verpflichtet – ein Hamburger Krankenhaus hatte das vor dem Sozialgericht eingeklagt.

Das Sozialgericht Hamburg hat am 17.1.2013 über die Klage eines Hamburger Krankenhauses gegen eine Krankenkasse zu entscheiden gehabt, bei der die Kostenübernahme einer stationären Behandlung in Höhe von ca. 110.000.– € für eine allogene Stammzelltransplantation einer 72jährigen Versicherten streitig war. (Sozialgericht Hamburg AZ: S 35 KR 118/10)

Die Versicherte litt an einer Reifungsstörung der Blutzellenreihen im Knochenmark (sog. myelodysplastisches Syndrom). Nachdem die Erkrankung in eine akute Leukämie überging, stellte das Krankenhaus die Indikation für eine Stammzelltransplantation. Die beklagte Krankenkasse lehnte die Kostenübernahme unter Berufung auf die „Clearingstelle Knochenmarkspenderegister“ der Spitzenverbände der Krankenkassen mit der Begründung ab, das Verfahren sei für eine 72jährige nicht ausreichend erprobt und nur im Rahmen einer klinischen Studie durchführbar, ohne eine solche verstoße die Behandlung gegen das Wirtschaftlichkeitsgebot. Der vom Gericht bestellte medizinische Sachverständige führte aus, dass die allogene Stammzelltransplantation auch bei einer 72jährigen kein experimentelles Verfahren darstelle. Im Jahr 2011 seien bereits 16% aller transplantierten Patienten über 65 Jahre alt gewesen, denn nicht das absolute Alter, sondern der Allgemeinzustand sei für die Risikoabwägung der Behandlung ausschlaggebend. Bei der Versicherten hätten keine Begleiterkrankungen vorgelegen, vielmehr sei – bei erfolgreicher Behandlung der Bluterkrankung – mit einer normalen Lebenserwartung zu rechnen gewesen; ohne die erfolgte Stammzellentransplantation wäre die Patientin innerhalb eines Jahres verstorben. Da evidenzbasierte Studien über den Erfolg der Stammzellentherapie nicht vorlägen, sei für die Risiko- Nutzenanalyse der streitigen Behandlung auf die veröffentlichten Zahlen des europäischen Krebsregisters abzustellen, wonach ein Erfolg der Therapie in der Altersgruppe der Patientin zu 50% zu erwarten gewesen sei. Die Patientin sei seither rezidivfrei.

Das Gericht hat der Klage stattgegeben. Die Zahlungspflicht der Krankenkasse besteht unabhängig von einer vorherigen Kostenzusage der Krankenkasse. Der Zahlungsanspruch des Krankenhauses korrespondiert mit dem Anspruch des Versicherten auf Krankenhausbehandlung. Dabei ist allein entscheidend, ob die Krankenbehandlung im Einzelfall medizinisch erforderlich ist. Das Gericht ist dem Gutachten des medizinischen Sachverständigen gefolgt, wonach für die Patientin keine therapeutische Alternative mit vergleichbaren Erfolgsaussichten vorlag. Eine zwingende Einbindung der streitigen Behandlung in eine klinische Studie gibt das Gesetz nicht her, da es sich bei der allogenen Stammzelltransplantation auch bei einer 72jährigen jedenfalls nicht um eine neue Behandlungsmethode handelt.

Auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes, wonach sich aus dem Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ergibt, dass bei Vorliegen einer lebensbedrohlichen Erkrankung auch neue Behandlungsmethoden von den Krankenkassen zu bezahlen sind, wenn eine allgemein anerkannte Behandlung nicht zur Verfügung steht und durch die neue Behandlungsmethode eine nicht ganz fernliegende Aussicht auf Heilung oder wenigstens auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht, kommt es deshalb nicht an, obwohl diese Voraussetzungen im streitigen Fall zweifelsohne gleichfalls vorlagen. Die klagende Klinik ist gemäß ihrem Versorgungsauftrag zur lebenserhaltenden Behandlung verpflichtet gewesen.

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