Berufskrankheiten sind seit langem bekannt – von der Staublunge bei Bergleuten bis zur Kniegelenksarthrose in Bauberufen.
Elena Cottini und Claudio Lucifora gehen davon aus, dass in der modernen Dienstleistungswirtschaft vor allem die Gefahr psychischer Leiden zunimmt – aufgrund von immer mehr Unsicherheit, Wettbewerb und Leistungsdruck. Die Ökonomen von der Katholischen Universität Mailand haben untersucht, inwieweit entsprechende Effekte empirisch nachweisbar sind. Dafür haben sie Daten des European Working Conditions Survey aus den Jahren 1995, 2000 und 2005 ausgewertet. Pro Erhebung wurden etwa 13.000 Beschäftigte in den EU-15-Staaten befragt. Die Berechnungen der Forscher zeigen, dass tatsächlich ein Zusammenhang zwischen ungünstigen Arbeitsbedingungen und psychischen Problemen besteht.
Werden persönliche und betriebliche Merkmale wie das Alter, die Qualifikation, die Branche und die Betriebsgröße herausgerechnet, lässt eine hohe Arbeitsgeschwindigkeit das Risiko seelischer Leiden um 12,5 Prozent steigen. Komplexe Aufgaben erhöhen das Risiko um 6,8 Prozent, lange Arbeitszeiten um 9,6 Prozent. Vor allem Stress und Reizbarkeit nehmen zu. Auch Umweltfaktoren wie Lärm oder extreme Temperaturen wirken sich auf die seelische Gesundheit aus, allerdings weniger gravierend als die Arbeitsanforderungen.
Da die Stärke des gemessenen Effekts zwischen den Ländern variiert, vermuten die Autoren, dass nationale Arbeitsmarktinstitutionen und Gesundheitssysteme eine wichtige Rolle spielen. Um diese Annahme zu überprüfen, haben sie für jedes Land zwei Kennzahlen konstruiert: Ein Arbeitsmarktregulierungs-Index fasst Informationen über Kündigungsschutz, gewerkschaftlichen Organisationsgrad und Arbeitslosenunterstützung zusammen. Ein weiterer Index misst die Qualität der medizinischen Versorgung über Faktoren wie die Gesundheitsausgaben und die Arztdichte. Beide Kennzahlen hängen mit der Effektstärke zusammen: Je strenger der Arbeitsmarkt reguliert und je besser die Gesundheitsversorgung ist, desto weniger wirken sich Arbeitbedingungen auf die Psyche aus.