Sollte ein Mensch Hilfe zum Sterben bekommen, wenn er todkrank ist und Heilung und Verbesserungen des Gesundheitszustandes ausgeschlossen sind, wenn er unter Schmerzen leidet, verzweifelt ist und ohne Lebenskraft?
Wie muss die Gesellschaft damit umgehen? Es geht um Sterbehilfe, darum, ob Ärzten eine Beihilfe zur Selbsttötung ausdrücklich erlaubt werden sollte. Und es geht um ein mögliches Verbot organisierter Suizidbeihilfe, beispielsweise durch Sterbehilfevereine.
Die Debatte ist nicht neu. Bereits seit Jahren diskutieren Gesellschaft, Wissenschaft und Politik darüber. Nun nimmt das Parlament einen neuen Anlauf, eine breite gesellschaftliche Debatte über den Umgang mit Mitmenschen am Lebensende und den Grundwerten unserer Gesellschaft auszulösen und zu einem Gesetzesbeschluss zu kommen.
Debatte im Livestream
Für eine erste Orientierungsdebatte über das sensible Thema nimmt sich der Bundestag am Donnerstag viel Zeit. Vier Stunden lang debattieren die Abgeordneten über menschliche Grenzsituationen. Die Debatte kann von 9 bis 13 Uhr im Livestream auf bundestag.de oder auf phoenix.de verfolgt werden.
Ethische und rechtliche Fragen
In der Diskussion geht es um die Fragen zu Sterbehilfe und zur Beihilfe zum Suizid. Fragen, die die Achtung des Lebens und das Selbstbestimmungsrecht betreffen. Thematisiert werden sollen auch die palliativ-medizinische Versorgung, die Verbindlichkeit von Patientenverfügungen und die Rolle von Sterbehilfevereinen, von medizinischem Personal, Verwandten und Betroffenen.
Rechtliche Lage in Deutschland
Entgegen dem Eindruck in vielen Diskussionsbeiträgen ist assistierter Suizid in Deutschland nicht verboten. Verboten ist die Tötung auf Verlangen, also zum Beispiel die Giftspritze auf Wunsch eines Betroffenen (§ 216 StGB). Straffrei ist die Beihilfe zu einem frei verantwortlichen Suizid. Einig ist man sich, dass diese auch künftig nicht grundsätzlich unter Strafe gestellt werden soll.
Alle Debattenbeteiligten fordern einen effektiven Ausbau von Palliativmedizin und Hospizarbeit.
Positionen im Parlament
In der Debatte bilden sich Gruppen von Abgeordneten über Parteigrenzen hinweg. Ein Überblick über aktuelle Positionen innerhalb des Parlaments:
Haftstrafen für gewerbsmäßige Suizidassistenz
Eine Gruppe von Abgeordneten der Union um Michael Brand möchte das Verbot der gewerbsmäßigen Suizidassistenz im Strafrecht verankern. Der Schwerpunkt wird im Papier [PDF, 156 KB] auf der Ermöglichung eines Sterbens in Würde gelegt und dem massiven Ausbau palliativer und hospizlicher Angebote.
Einzelfallentscheidungen und Verbot organisierter Sterbehilfe
Die SPD-Politikerinnen Eva Högl und Kerstin Griese verfolgen einen „Weg der Mitte“: Sie halten die bisherigen Regelungen in Deutschland für gut und wollen nur einen Punkt gesetzlich neu regeln: Sie wollen Sterbehilfe durch Vereine verbieten. Damit soll die Arbeit von Dienstleistern wie Sterbehilfe Deutschland oder Dignitas unterbunden werden. Zugleich wollen sie aber den Ärzten den Freiraum in „ethischen Grenzsituationen“ bewahren, wie sie in ihrem Papier [PDF, 83 KB] schreiben.
Die Grünen-Abgeordneten Elisabeth Scharfenberg und Harald Terpe wollen ebenfalls die geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid und öffentliche Werbung dafür verbieten. Die Beihilfe soll indessen nicht nur für Angehörige, sondern auch für nahestehende Menschen straflos bleiben. Dazu zählen auch Ärzte, falls nach langjähriger Behandlung „deren Handeln Ausdruck eines engen Vertrauens- und Fürsorgeverhältnisses“ ist, heißt es in ihrem Papier [PDF, 55 KB].
Ausdrückliche Erlaubnis für Ärzte
Eine Gruppe von Koalitionsabgeordneten um die SPD-Fraktionsvize Carola Reimann und Karl Lauterbach sowie Bundestagsvizepräsident Peter Hintze (CDU) will Todkranken unter bestimmten Bedingungen die Möglichkeit zur ärztlich assistierten Selbsttötung geben. Dabei müsse die Handlung durch den Patienten selbst erfolgen (Tatherrschaft). In ihrem Papier [PDF, 42 KB] fordern eine zivilrechtliche Regelung im Umfeld der Patientenverfügung, keine strafrechtliche.
Neue Regeln für Sterbevereine im Vereinsrecht
Die Grünen-Abgeordnete Renate Künast sieht grundsätzlich keinen rechtlichen Änderungsbedarf. In ihrem Papier wendet sie sich ausdrücklich gegen ein Verbot von Sterbehilfevereinen, will diese aber streng regulieren.
Impuls für breite öffentliche Debatte
Am Donnerstag wollen die Bundestagsabgeordneten erneut eine breite gesellschaftliche Debatte darüber anstoßen, in welcher Form Sterbehilfe geleistet werden darf. Ziel ist, in der zweiten Jahreshälfte 2015 zu entscheiden, ob und wenn ja wie die Sterbehilfe rechtlich neu geregelt werden muss. Klar ist, dass die Antwort darauf jede Abgeordnete und jeder Abgeordnete für sich selbst finden muss, weil es eine reine Gewissens- und Werteentscheidung ist.
Jeder Mensch ist gefordert, sich mit dieser höchst schwierigen und individuellen sehr unterschiedlich zu behandelnden Frage zu beschäftigen, denn die Auseinandersetzung mit Sterben und Tod sind für Menschen, Familien und soziale Umgebung unvermeidlich. Ab 9 Uhr können Sie die Parlamentsdebatte im Livestream auf bundestag.de anschauen.