So lernen wir „Gewaltenteilung“ in der Schule: Legislative, Exekutive, Judikative, und alle schön unabhängig voneinander. Die Realität ist jedoch meistens anders: Die Exekutive entscheidet vieles, ohne die Legislative überhaupt damit zu befassen, und sie setzt auch die Bedingungen, unter denen die Justiz arbeiten kann. Justizsenator Till Steffen will dies ändern.
Deutschlands Erfahrungen mit der Unabhängigkeit der Justiz sind dabei durchaus zwiespältig: Man lese zum Thema die Berichte Kurt Tucholskys aus der Weimarer Republik oder auch die von Zeitzeugen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die zu berichten wussten, dass unter der einen oder anderen Robe mangels neutraleren Schuhwerks noch die Stiefel der Reiter-SS hervorgeschaut hätten. Umgekehrte Formen zu starker Abhängigkeit ha´t Deutschland im vergangenen Jahrhundert auch zweimal bitter kennengelernt.
Freilich: All das ist lange her. Was Steffen plant, klingt erst einmal spannend. Hier der Originaltext:
Justizsenator Dr. Steffen hat heute sein Modell für eine Autonomie der Justiz vorgestellt. Das Papier wird in Hamburg auf einer Tagung am 6. Juni 2009 zur Diskussion gestellt.
Justizsenator Dr. Till Steffen: „Wir stellen jetzt ein Konzept zur Diskussion, mit dem zum ersten Mal in einem Bundesland eine Autonomie für die Dritte Gewalt erreicht werden kann. Die Justiz soll im Gefüge der Gewalten eine eigene Stimme bekommen. Aus der Hand der Justizministerinnen und Justizminister befreit soll sie im Herz der Gesellschaft wirken und dort auch eigenständig wahrgenommen werden.“
Die Einzelheiten des Modells sowie Informationen zur Veranstaltung am 6. Juni 2009 sind im Internet abrufbar unter:
http://www.hamburg.de/themen-und-aktuelles/1390350/autonomie-der-justiz.html
Die Tagung am 6. Juni 2009 ist öffentlich. Um Anmeldung wird gebeten.
Das sind die wesentlichen Elemente des Diskussionsvorschlags:
Autonomie von der Exekutive
Alle Verwaltungs- und Personalentscheidungen soll die Justiz selbständig treffen. Die heute vom Justizsenator für die Gerichte wahrgenommenen Aufgaben gehen auf neue Organe der Justiz über. Ein auf fünf Jahre gewählter Justizpräsident soll die Verwaltung der Justiz leiten und die Justiz in der Öffentlichkeit sowie in politischen Gremien vertreten. Ihm zur Seite wird ein Justizverwaltungsrat für die Entscheidung in Grundsatzangelegenheiten stehen. Dieser wird sich aus Richterinnen und Richtern, nichtrichterlichen Justizbediensteten, bürgerlichen Mitgliedern und Anwältinnen und Anwälten zusammensetzen.
Gewählt werden Justizpräsident und Justizverwaltungsrat vom Justizwahlausschuss, der auch die Rolle des Richterwahlausschusses übernehmen würde. Der Justizwahlausschuss ist damit für die Einstellung und Beförderung von Richterinnen und Richtern und die Besetzung von Leitungsfunktionen in der Gerichtsverwaltung (z. B. Präsidentinnen und Präsidenten) zuständig.
Die demokratische Legitimation der Justiz wird nicht mehr über den Justizsenator hergestellt, sondern über die Bürgerschaft, welche die Mitglieder des Justizwahlausschusses wählt.
Mitwirkung aller Justizangehörigen in den Gremien der Justiz
Die Verwaltung der Justiz wird in die Hände aller Angehörigen der Justiz gelegt. Im Justizwahlausschuss wird im Vergleich zum Richterwahlausschuss heute der Anteil der richterlichen Mitglieder erhöht. Auch das nichtrichterliche Personal der Justiz soll maßgeblich an den Entscheidungsprozessen in der Verwaltung der Gerichte beteiligt werden. Dies geschieht durch die Einbindung in den Justizverwaltungsrat und die Wahl von Angehörigen dieser Berufsgruppen in den Justizwahlausschuss für die Vergabe von Leitungspositionen innerhalb der Justiz.
Richterinnen und Richter als selbstbewusste Akteure in der autonomen Justizverwaltung
Leitidee des Modells sind das Interesse der gesamten Richterschaft für die Belange der Justiz und die Mitwirkung an den Organen der autonomen Justizverwaltung. Stellen in diesem Bereich sollen stets gerichtsöffentlich ausgeschrieben werden. Leitungsfunktionen (z. B. Präsidentinnen und Präsidenten) werden nur noch befristet vergeben. Nach Ablauf der Tätigkeit in der Leitungsebene soll der jeweilige Richter wieder in den Bereich der Rechtsprechung zurückkehren.
Mehr Autonomie für Staatsanwaltschaft
Die Staatsanwaltschaft soll eine stärkere Autonomie erhalten als heute, allerdings aus verfassungsrechtlichen und systematischen Gründen unter dem Dach der Exekutive verbleiben. Die Autonomie der Staatsanwaltschaft könnte etwa durch die Übertragung weiterer Aufgaben und die Abschaffung des einzelfallbezogenen Weisungsrechts des Justizsenators gestärkt werden.