Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat in einem Antrag für die anstehenden Haushaltsberatungen ihre Linie in der Schulpolitik dem CDU-GAL-Senat gegenüber dargelegt. Für einen Aufbau von „Zwei Säulen“ mit Stadtteilschule, aber gegen die Primarschule, ist die Devise.
SPD-Schulexperte Ties Rabe sprach bei der Vorstellung des Antrages von drei Krisen, die es im Hamburger Schulsystem zu bewältigen gelte: „Erstens: Es gibt zu viele Bildungsverlierer in den Hamburger Schulen. Zwischen 25 und 30 Prozent der 15-Jährigen können kaum besser lesen und schreiben als die meisten Viertklässler. Zweitens: Die Leistungsspitze muss besser werden. Und drittens: Das staatliche Schulsystem ist in einer Vertrauenskrise.“
Die SPD spreche sich deshalb für eine handwerklich sorgfältige Schulreformen mit drei Schwerpunkten aus. So müsse die Stadtteilschule entwickelt werden, um Hamburgs zersplitterte Schullandschaft Schritt für Schritt zusammenzuführen. Weiter müsse es eine spürbare Verbesserung der Unterrichtsqualität geben. Und schließlich wolle die SPD ein Programm für mehr Chancengleichheit benachteiligter Schüler starten.
„Unter Schwarz-Grün ist das staatliche Schulsystem noch tiefer in die Vertrauenskrise gerutscht. Ursache für den Vertrauensverlust sind zu viele schlecht geplante Schulreformen“, behauptete Rabe. In ihrem Papier spricht sich die SPD deshalb gegen die Primarschulreform aus. Es komme darauf an, Schulreformen organisch aus dem bestehenden Schulsystem zu entwickeln und nicht alle vier Jahre mit jeder neuen Wahl das gesamte Schulsystem auf den Kopf zu stellen. (Zumindest nach der gestern veröffentlichten aktuellen Umfrage ist dies aber auch nicht zu befürchten. die Red.)
Nach jahrelangem Stillstand würden die Schulen in den letzten Jahren mit zahllosen schlecht gemachten Reformen überzogen. Rabe: „Mehr als 60 Prozent der Eltern denken mittlerweile ernsthaft über den Wechsel zur Privatschule nach. Wir sehen die Abwanderung engagierter Familien aus dem staatlichen- in das private Schulsystem mit Sorge. 25 Prozent der westeuropäischen Schüler gehen auf Privatschulen – das ist für Hamburg die falsche Perspektive. Wir brauchen deshalb eine Schulpolitik, die berechenbar, handwerklich sauber und verlässlich ist.“
Die SPD will dazu den von der Enquete-Kommission gemeinsam entwickelten Weg für Hamburger Schulreformen weiterentwickeln. Ziel sei es, die „zersplitterte Schullandschaft zusammenzuführen und die Kultur des Förderns und der Verantwortung der Schule für ihre Schüler auszubauen“. Die Stadtteilschule sei auf diesem Weg der erste Meilenstein. Sie soll – so wollen es die Sozialdemokraten – mit dem Beginn des Schuljahrs 2010/2011 eingeführt werden. „Wir wollen sie zu der neuen Schule für Hamburg entwickeln. Und wir wollen die Gymnasien in den Prozess innerer Schulentwicklung mit einbinden, dort das Abschulen durch eine bessere Förderung ersetzen und eine Zusammenarbeit von Gymnasien und Stadtteilschulen auf den Weg bringen.“
Für bessere Lernerfolge setzt die SPD auf individualisiertes Lernen, eine neue Kultur des Förderns und kleinere Klassen. Schüler mit schwierigen Startbedingungen sollen durch ein „Programm für Chancengleichheit“ energisch gefördert werden. In diesem Rahmen will die SPD dem Ausbau der Ganztagsschulen neuen Schwung geben. Die Hälfte der Grundschulen soll zu IR-Schulen entwickelt und die Lernmittelfreiheit wieder hergestellt werden. Zahlreiche Maßnahmen sollen weitere direkte Verbesserungen bringen, beispielsweise ein energischer Ausbau der Sprachförderung, das Ersetzen des Sitzenbleibens durch passgenauen Förderunterricht oder unterstützende Elternarbeit.
Zwar sehe der Koalitionsvertrag den Ausbau von 50 Ganztagsschulen vor. Aufgrund der Einführung der Primarschulen sei der Ausbau aber für zwei Jahre auf Eis gelegt worden. „Wir fordern vom Senat, alle Voraussetzungen zu schaffen, damit der Ausbau der Ganztagsschulen zügig fortgesetzt wird und keine Verzögerung eintritt“, sagte Rabe. In sechs Jahren sollten – so der Wunsch der SPD – rund 100 Ganztagsschulen eingerichtet und jährlich dabei zehn Grundschulen in Ganztagsschulen umgewandelt werden.
Rabe zog bei der Vorstellung des SPD-Papiers eine ernüchternde Bilanz der Schulpolitik: Regelmäßig belege Hamburg bei Bildungsvergleichen Plätze in hinteren Bereich. Grund dafür sei eine weit überdurchschnittlich hohe Zahl von so genannten Bildungsverlierern und eine zu geringe Zahl von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern. „Das Hamburger Schulsystem schafft es zu wenig, Kindern unabhängig von ihrer Herkunft und ihrem Elternhaus Chancengleichheit zu verschaffen.“
Kritisch setzte sich der SPD-Bildungsexperte mit dem Kernstück der schwarz-grünen Bildungspolitik auseinander. „Die Primarschule bietet durch längeres gemeinsames Lernen zwar Chancen. Die Risiken aufgrund organisatorischer Probleme sowie aufgrund der Umstrukturierung sämtlicher Schulen im laufenden Betrieb überwiegen aber“, sagte Rabe. „Wir befürchten, dass der gute Gedanke des längeren gemeinsamen Lernens durch die erheblichen Organisationsprobleme der Primarschul-Reform Schaden nimmt.“ Das Primarschul-Experiment binde zudem Geld und Personal, das dann für die Verbesserung der Unterrichtsqualität und die Förderung schwächerer Schüler fehlt. Er vermute, dass es bei der kurzfristig geplanten Einführung der Primarschule in erster Linie darum gehe, der GAL einen politischen Erfolg gegenüber der CDU zu sichern. Nur so sei zu verstehen, dass Schulsenatorin Goetsch das Angebot für einen parteiübergreifenden Konsens in der Schulpolitik ohne jede Denkpause abgelehnt hat.
Rabe mahnte, die Schulen müssten mit ausreichenden Ressourcen ausgestattet werden. Von 2001 bis 2007 seien 848 Lehrerstellen abgebaut worden. 2007 habe mit 13.328 Lehrerstellen ein Tiefststand markiert. Zwar gehe die Kurve jetzt wieder sanft nach oben. Der schwarz-grüne Koalitionsvertrag habe die von der CDU zu verantwortenden Einsparungen aber nicht zurückgenommen.
Rabe bezifferte die Gesamtkosten für alle Vorschläge der SPD-Bürgerschaftsfraktion in der Schulpolitik auf rund 80 Millionen Euro. Sie sollen mit rund 40 Millionen Euro Rückstellungen für die Jahre 2009 und 2010 gedeckt werden. Rabe verwies gleichzeitig auf zusätzliche Mittel durch einen Stellenüberhang von rund 278 Stellen, die ab Sommer 2010 aufgrund der verkürzten Gymnasialschulzeit anfielen. Ferner würden durch die Abschaffung des Sitzenbleibens jährlich 25 Millionen Euro gespart. Schließlich seien Mittel aus dem Konjunkturprogramm der Bundesregierung auch für Investitionen im Schulbereich einzusetzen.