Es mussten noch reichlich Stühle herangeschafft werden, so viele Menschen drängten hinein. Es war voll im historischen Musiksaal des Gewerkschaftshauses zum traditionellen Neujahrsempfang der DGB-Senioren. Unter der Fragestellung „Wird die Altersarmut endlich gestoppt?“ hatten die Kolleginnen und Kollegen den Start in das Wahljahr 2017 ausgerufen. Katja Karger und Klaus Wicher vom SOVD Hamburg sprachen auch über die bevorstehende Bundestagswahl.
Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger hat auf dem traditionellen Neujahrsemfang der Senioren einen Kurswechsel in der Rentenpolitik gefordert. „Das Rentenniveau muss jetzt bei 48 Prozent stabilisiert werden und in einem weiteren Schritt wieder deutlich auf etwa 50 Prozent angehoben werden.“ Karger ging speziell auf die Situation von Frauen ein: „Der große Lohnunterschied von Frauen und Männern setzt sich im Alter fort. Ihr Einkommen ist, sofern überhaupt vorhanden, so gering, dass sie wenig bis gar nicht in die gesetzliche Rente einzahlen und sich noch viel weniger eine private Vorsorge leisten können. Das führt zu Renten, die nicht zum Leben reichen.“
Beispielhaft nannte sie die Betriebsrenten. So würden gerademal acht Prozent der heute über 65-jährigen Frauen im Westen überhaupt eine Betriebsrente bekommen. Die durchschnittliche Höhe würde 246,- Euro betragen. Im Vergleich die Männer: Von ihnen bekommen 31 Prozent eine Betriebsrente in einer Höhe von durchschnittlich 606,- Euro.
Als Gastredner sprach Klaus Wicher, Vorsitzender des SOVD Hamburg beim Neujahrsempfang. Unter der Fragestellung „Wird die Altersarmut endlich gestoppt“ sagte er zum Thema Rente: „Die Niedriglohnsituation muss sich dringend ändern. Außerdem muss der Bund intensiv daran arbeiten, dass das Rentenniveau nicht weiter absinkt“.
Der Neujahrsempfang mit rund 250 Besucherinnen fand erstmals nach vielen Jahren wieder im Gewerkschaftshaus statt, im historischen Musiksaal.
Hier die Rede von DGB-Chefin Katka Karger im Wortlaut:
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sehr geehrte Abgeordnete, lieber Klaus Wicher,
herzlich Willkommen zum Neujahrsempfang der DGB Senioren in unserem wunderschönen, neu eröffneten Musiksaal. Ich freue mich wirklich sehr, Euch heute hier begrüßen zu können.
Was für ein Paukenschlag zum Auftakt ins Wahljahr:
nach der Krönung der grünen Doppelspitze vor einigen Tagen legte die SPD gestern nach: nicht
Sigmar Gabriel, sondern Martin Schulz wird der Kandidat der SPD. Dabei haben wir Hamburger uns doch die ganze Zeit über nur gefragt: wird es denn nun unser Bürgermeister oder nicht.
Zumindest das wissen wir jetzt: Olaf Scholz bleibt vorerst in Hamburg.
Darüber hinaus hat es das Jahr 2017 in sich:
Es wird enorm wichtig für die politische Zukunft Europas. Denn nicht nur die Deutschen wählen, sondern auch die Franzosen und Niederländer.
Es gibt einen besorgniserregenden Trend zu radikalen Positionen und Rechtspopulismus, dem wir entschieden entgegen treten müssen.
Dafür brauchen wir eine Politik, die mehr für die Menschen tut.
Die für mehr Gerechtigkeit sorgt und unser berufliches wie privates Leben absichert. In Zeiten zunehmender Verunsicherung muss Politik verlässliche und sichere Perspektiven bieten.
Wir brauchen zukunftsfähige sichere Arbeitsplätze sowie eine anständige Rente nach langer, harter Arbeit.
Mehr soziale Gerechtigkeit bedeutet auch bessere Tarifbindung und mehr Mitbestimmung. Das ist unser gewerkschaftlicher Beitrag zur Umverteilung des Reichtums in diesem Land.
Denn die ungleiche Verteilung der Einkommen und Vermögen ist eine große Gefahr für den gesellschaftlichen Zusammenhalt.
Immer mehr Menschen fühlen sich von der wirtschaftlichen Entwicklung abgekoppelt, viele davon sind es faktisch – das können wir in Hamburg gut beurteilen, wo die familiäre Herkunft maßgeblich über die Bildung und den weiteren Lebensweg entscheidet. Wo Geld ist, folgt gute Bildung und eine Karriere.
Deshalb steht für uns fest: Eine wirksame und verteilungsgerechte Besteuerung der großen Vermögen ist überfällig. Durch eine stärkere Besteuerung von Superreichen und Vermögenden wird die Finanzierung von staatlichen Investitionen und sozialer Gerechtigkeit gesichert.
Ein wichtiger Bestandteil sozialer Gerechtigkeit ist die Situation im Alter.
Mit der Kampagne ‚Rente muss reichen‘ ist es uns 2016 gelungen, die Rente in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung zu stellen.
Jetzt ist die Zeit, in der die Politik umsteuern und die gesetzliche Rente stärken muss. Kurswechsel heißt für uns, das Rentenniveau jetzt bei 48 Prozent zu stabilisieren und in einem weiteren Schritt wieder deutlich auf etwa 50 Prozent anzuheben.
Es ist Euch, liebe Kollegen und Kolleginnen, zu verdanken, dass das Thema so groß geworden ist. Das ist eine super Leistung, dafür habt Ihr euch die Anerkennung verdient. Aber gewonnen haben wir noch nicht. Also: macht unbedingt weiter so!
Ich möchte an dieser Stelle ein kurzes Schlaglicht auf die Situation von Frauen werfen, wenn sie alt werden. Ein Aspekt, der leider zu häufig unter den Tisch fällt, aber wesentlich für die Debatte ist.
Die seit Jahren gleichbleibenden 22 Prozent (in Hamburg sogar 25%) Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen haben enorme Auswirkungen auf die Lebenssituation von Frauen.
Denn die Erwerbstätigkeit ist Ausgangspunkt für die Alterssicherung. Anwartschaften werden in der Regel über die bezahlte Arbeit erreicht.
Die ist aber bei Frauen häufig sehr anders als bei Männern.
Frauen sind heute so gut ausgebildet wie nie: Sie machen höhere und bessere schulische Abschlüsse, besuchen öfter das Gymnasium, erlangen häufiger das Abitur und beginnen genauso oft wie Männer ein Studium.
Der schulische Erfolg spiegelt sich allerdings nicht in der beruflichen Karriere wider. Frauen arbeiten häufiger in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen und in atypischer Beschäftigung.
Hinzu kommen die tradierten Rollenmuster, wo Frauen sich unentgeltlich um Kind und Haushalt kümmern.
Das hat weitreichende Auswirkungen auf die soziale Absicherung im Alter, denn der große Lohnunterschied von Frauen und Männern setzt sich im Alter fort.
Die Rentenlücke, der sogenannte Gender Pension Gap, beträgt in Westdeutschland 43 Prozent.
In Zahlen bedeutet das: Die durchschnittliche gesetzliche Rente einer Frau im Westen beträgt 635,- Euro, ein Mann bekommt 1014,-.
Das drei Säulen Modell der Rentenreform benachteiligt die Frauen.
Ihr Einkommen ist, sofern überhaupt vorhanden, so gering, dass sie wenig bis gar nicht in die gesetzliche Rente einzahlen und noch viel weniger eine private Vorsorge leisten können.
Der überwiegende Teil der Frauen arbeitet in Betrieben ohne Tarifbindung, die haben meistens auch keine betriebliche Altersvorsorge.
Nur 8 Prozent der heute über 65-jährigen Frauen im Westen bekommt überhaupt eine Betriebsrente. Und die beträgt grade mal durchschnittlich 246,- Euro.
Im Vergleich: 31 Prozent der Männern haben eine Betriebsrente, mit durchschnittlich 606,- Euro.
Niedriglohn, Teilzeit, Erwerbsunterbrechungen und mangelnde Vereinbarkeit von Beruf und Familie:
diskriminierende Rahmenbedingungen für Frauen in der Ausbildung und im Erwerbsleben verursachen prekäre Beschäftigung mit geringem Einkommen.
Darauf folgen Renten, die nicht zum Leben reichen. Deswegen muss die anhaltende Ungleichheit im Rentensystem aufgefangen werden.
Der Niedriglohn muss durch Mindestentgeltpunkte aufgewertet werden, die zumindest 75 Prozent des Durchschnitts erreichen.
Die betriebliche Altersvorsorge muss durch gute und allgemeinverbindliche Tarifverträge abgesichert werden, damit alle etwas davon haben.
Und wir müssen ran an die atypischen und prekären Jobs – die Flexibilisierung darf nicht länger zu Lasten der Beschäftigten gehen.
Aber ohne die Stabilisierung des Rentenniveaus wird all das nicht reichen, sie ist elementar zur grundsätzlichen Absicherung des Lebens im Alter.
Und viele Männer würden davon auch profitieren.
Am 2. März veranstalten wir hier an diesem Ort unsere Rentendiskussion mit Annelie Buntenbach vom DGB Bundesvorstand sowie Professor Dr. Bäcker von der Ruhr Uni Duisburg-Essen, unter Beteiligung mehrere Abgeordneter.
Ihr seid alle herzlich eingeladen.
Mit mehr als sechs Millionen Mitgliedern sind die Gewerkschaften das größte politische Netzwerk dieser Republik. Das werden wir nutzen, um unseren Forderungen im Wahlkampf Nachdruck zu verleihen.
Für den 24. September ist daher meine Aufforderung an euch alle: geht wählen!
Ich kenne die Stimmen, die sagen: wenn Wahlen etwas ändern würden, wären sie verboten.
Ich kenne auch die endlosen Debatten, dass man eigentlich gar nicht mehr weiß, was man wählen soll.
Eines kann ich euch aber sagen: keinesfalls die AfD. Diese Partei ist keine Alternative – egal wozu.
Und es ist unsere Aufgabe als Gewerkschafter/innen, hier für Aufklärung zu sorgen. Die Kolleginnen und Kollegen der Mitgliedsgewerkschaften und wir vom DGB haben deren Botschaften überprüft und mit den Fakten abgeglichen.
Da wird eine Menge Schaum geschlagen, Sahne ist da nicht drin.
Ich habe die AfD bereits mehrfach in der Bürgerschaft erlebt und es ist schrecklich, mit welchem Geifer sie polemisieren können und gleichzeitig bösartig und berechnend Kampagnen anzetteln, um Wählerstimmen zu fangen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, schaut euch für September genau an,
wer in den vergangenen Jahren welche Politik für wen gemacht hat.
Wer etwas für die Beschäftigten und gegen miese Arbeitsbedingungen tut und wer nicht.
Welche Partei für eine lebenswerte Zukunft steht, mit der Chance auf mehr Gerechtigkeit.
Und dann geht wählen. Schenkt Eure Stimme nicht der AfD.
Demokratie ist anstrengend, ermüdend und frustrierend – aber sie ist das beste System, was wir haben, um einen gerechten Ausgleich aller Interessen hinzubekommen.
Ich wünsche mir von Herzen, dass nicht auch noch wir auf die Hysterie, das Geschrei und die Polemik reinfallen, die uns immer häufiger umgeben.
Wir sind Gewerkschafter. Wir sind Vorbilder. Wir nehmen und wir haben Einfluss. Den werden wir nutzen.