Hamburgs SPD-Spitzenkandidat Michael Naumann hat sich in einer sechs Punkte umfassenden Erklärung zur Diskussion über die Arbeitsmarktreformen in der SPD geäußert. Darin erklärt er, warum aus seiner Sicht die Reformen notwendig waren, warum sie bei der damaligen Haushaltslage finanziell nicht besser ausgestattet werden konnten und dass jetzt die Zeit für Nachbesserungen gekommen ist. Dass der finanzielle Spielraum jetzt größer ist und die Konjunktur kräftig angezogen hat ist, so Naumann, vor allem eine Folge dieser Reformen.
Nachfolgend der volle Wortlaut der Erklärung von Michael Naumann:
„Reformen sind für die Menschen da“
1. Der gegenwärtige Konjunkturaufschwung und der erfreuliche Abbau von Arbeitslosigkeit in den letzten Monaten stehen im unbestreitbaren Zusammenhang mit der Agenda 2010 und der Politik Gerhard Schröders. Es gibt für uns Sozialdemokraten keinen Grund, dies zu verleugnen. Die Politik der SPD zielt auf den Erhalt und Modernisierung des Sozialstaates, nicht auf seine Abschaffung. Eine Bundesregierung aus CDU und FDP hätte uns einen ganz anderen Staat beschert. Die Koordinaten der Finanz- und Sozialpolitik werden im Berliner Kabinett nicht von Paul Kirchhof und Guido Westerwelle bestimmt, sondern – zum Wohle der Menschen – von Franz Müntefering und Peer Steinbrück.
2. Als die Arbeitsmarktreformen verabschiedet wurden, war der soziale Leistungsapparat der Bundesrepublik an seine finanziellen Grenzen gestoßen. Diese Grenzen existieren weiterhin. Das traf und trifft auf die Renten- und Krankenkassen zu, aber auch auf die Kosten der Arbeitslosenversicherung. Der Staat konnte und wird sich aus seiner sozialen Verpflichtung der Daseinsfürsorge nicht selbst entlassen. Er muss den finanziellen Kollaps eines vorsorgenden Sozialstaats verhindern. Das, und nichts anderes, war das Ziel der Hartz-Gesetzgebung. Sie hat Hunderttausende Sozialhilfeempfänger aus der Anonymität gezogen und ihre Lebensumstände verbessert.
3. Dem CDU-Senat fehlt der Blick für die sozialen Realitäten in der Stadt. Er hat den massenhaften Missbrauch der 1-Euro-Jobs durch die Arbeitgeber befördert und die Arbeitsmarktpolitik auf etwa 12.000 Arbeitsgelegenheiten sowie ein Minimum kurzfristiger Trainingskurse reduziert. Langzeitarbeitslosen wird so nicht geholfen. Wir werden die Ausgaben für berufsbildende Maßnahmen deutlich erhöhen und die entsprechenden Mittel in Zusammenarbeit mit der Bundesagentur für Arbeit zur Verfügung stellen. Vorrang hat für uns weiterhin die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Die Angebote der Hartz-Gesetzgebung müssen in Hamburg besser ausgeschöpft werden. Und es darf nicht hingenommen werden, dass reguläre Stammbelegschaften immer mehr durch Leiharbeiter ersetzt werden.
4. Reformen sind für die Menschen da, nicht gegen sie. Jede große Reformmaßnahme muss fortwährend mit den Realitäten abgeglichen werden. Das gilt auch für den Arbeitsmarkt. Wo es zu Härten auf Kosten von Kindern kommt, müssen Reparaturen erfolgen. Der CDU-Senat liegt falsch mit seiner Behauptung, 2,56 Euro am Tag reichten aus, um Kinder von Arbeitslosen gesund zu ernähren. Wenn jedes fünfte Kind in Hamburg in Armut lebt, muss der Gesetzgeber eine Neubemessung vorbereiten. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für ältere Beschäftigte im Alter von über 45, 50 und 55 Jahren sollte moderat bis zu einem Höchstanspruch von bis zu 24 Monaten verlängert werden. Schon die Regierung Schröder hat 2005 versucht, die Bezugsdauer zu verlängern, war damit aber am Bundesrat gescheitert. Zu einer zielgenauen Weiterentwicklung gehört es aber auch, die negativen arbeitsmarktpolitischen Folgen zu vermeiden: Einem Missbrauch durch die Arbeitgeber sollte ein strenges Prüfsystem begegnen, damit es nicht wie früher zu einer massenhaften Frühverrentung von älteren Beschäftigten auf Kosten der Allgemeinheit kommt.
5. Wir Sozialdemokraten sind für einen einheitlichen gesetzlichen Mindestlohn von 7,50 Euro. Dass eine halbe Million Menschen in unserem Land Vollzeit arbeitet und trotzdem zusätzlich Arbeitslosengeld II beantragen muss, ist nicht mehr hinzunehmen. Armutslöhne und Kinderarmut sind zwei Seiten derselben Medaille. Das trifft in Hamburg genau so zu wie in allen Bundesländern. Wir werden nach der Wahl den Druck im Bundesrat für Mindestlöhne erhöhen.
6. Der Bundesparteitag der SPD in Hamburg wird grundlegende und auch neue Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung und Ökonomisierung der Gesellschaft geben müssen. Sozialpartnerschaft und Solidarität sind dabei nötiger denn je. Die SPD hat von den Volksparteien die größere Last der Vermittlung der Reformen zu tragen. Schon die Veränderungsprozesse der vergangenen Jahrzehnte haben gezeigt, dass in der Sozialdemokratie viele Konflikte stellvertretend für die ganze Gesellschaft ausgetragen und schließlich auch gelöst werden. Unsere Fähigkeit zu politischem Kompromiss und Konsens wird auch künftig Wohlstand und Telhabe der großen Mehrheit der Bürger ermöglichen. Die Weiterentwicklung der Arbeitsmarktreformen bedeutet keine Abkehr von der Agenda 2010. Die SPD wird darauf achten, dass alle Menschen vom Aufschwung etwas haben.