Ein paar schwierige und konfliktreiche, aber insgesamt 118 erfolgreiche und solidarische gemeinsame Jahre liegen hinter den deutschen Gewerkschaften und der SPD, fasste SPD-Bürgermeisterkandidat Michael Naumann bei der Mai-Kundgebung in Harburg zusammen. Jetzt gehe es darum, die unter der Beust-Regierung auseinanderwachsende Stadt wieder zusammen zu führen und insbesondere auch die Schwächeren bei der Entwicklung Hamburgs mitzunehmen. Naumanns Rede können Sie hier weiterlesen.
Mai-Rede von Dr. Michael Naumann
Liebe Harburgerinnen und Harburger!
Hinter den deutschen Gewerkschaften und der SPD liegen schwierige, konfliktreiche Jahre. Da gibt es nichts schön zu reden. Das will ich auch nicht. Und dennoch – hinter uns liegt auch eine große, gemeinsame Geschichte. Und sie soll unsere Zukunft bestimmen.
Es waren sozialistische Demokraten aus aller Welt, die vor 118 Jahren den 1. Mai als „Kampftag der Arbeiterbewegung“ ausgerufen haben.
Zusammen mit den Sozialdemokraten haben die Gewerkschaften seitdem die Rechte der Arbeiternehmerinnen und Arbeiter ausgebaut und verstärkt. Sie waren es, die über ein Jahrhundert hinweg die größten Opfer gebracht haben im Kampf gegen die Zumutungen eines rücksichtslosen Kapitalismus.
Zehntausende Gewerkschafter und Sozialdemokraten waren es, die in der Vergangenheit in Gefängnissen und Konzentrationslagern mit ihrem Leben bürgten und zahlten für das Ideal einer Gerechtigkeit für alle, für Freiheit und Demokratie, für ein menschenwürdiges Leben und Arbeiten.
Und wir sollten gerade heute eines nicht vergessen: Viele Gewerkschafter und Sozialdemokraten haben auch nach 1945 in Ostdeutschland bitter bezahlen müssen für ihre Standhaftigkeit gegen den Einparteienstaat mitsamt seiner zentral gelenkten Staatsgewerkschaft.
Dieses Band unserer Geschichte verbindet uns. Es ist fester, als manche glauben. Und es wird auch in Zukunft halten. Es muss aber immer wieder neu geknüpft werden. Denn den Herausforderungen, die auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zukommen, können wir gemeinsam entgegentreten.
Die Gewerkschaften gehören nicht der SPD. Das stimmt.
Und umgekehrt stimmt es auch.
Aber eines eint uns: Wir kämpfen gemeinsam für gerechte Löhne. Wir kämpfen gemeinsam für menschliche Arbeitszeiten und menschenwürdige Arbeitsplätze. Wir kämpfen gemeinsam gegen Arbeitslosigkeit.
Und heute heißt es: Wir kämpfen gemeinsam für Mindestlöhne. Die gibt es schon längst in 20 Ländern der Europäischen Union. Wer sich gegen Mindestlöhne im Zeitalter der Globalisierung sträubt, will das Wort „sozial“ aus unserem Wirtschaftsleben streichen. Das werden wir verhindern können, Sozialdemokraten und Gewerkschaften.
Die SPD ist und bleibt eine Volkspartei. Die letzte Bundestagswahl hat bewiesen: Die Hamburger und Harburger stehen mehrheitlich hinter den Sozialdemokraten. Darauf sind wir stolz, und dabei muss es bleiben.
Uns geht es nicht nur um die Sicherung von Arbeitsplätzen. Es geht uns auch um die Zukunft unserer Kinder. Jedes fünfte deutsche Kind lebt in Armut. Und von diesen hunderttausenden Kindern stammt jedes zweite Kind aus Familien, in denen gearbeitet, aber nicht genug zum Leben verdient wird. Mindestlöhne sind die Voraussetzung für diese Kinder, um aus der Armutsfalle zu entkommen.
So lange dies so bleibt, interessieren mich die Hinweise nicht, dass unsere „Wirtschaft brummt“ und dass wir wieder einmal Exportweltmeister geworden sind.
Es ist doch unerträglich, dass 60 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger, die im Niedriglohnsektor arbeiten, eine abgeschlossene Berufsausbildung haben, aber mit Jammerlöhnen abgespeist werden.
Es ist beschämend, dass der Hamburger Senat die fast 40.000 Langzeitarbeitslosen dieser Stadt fallen gelassen hat, als lebten sie auf einem anderen Stern. Ich sage ganz klar: Mit Ein-Euro-Jobs lässt sich ihr Schicksal nicht verbessern. Wir werden nach der Wahl ein neues
Arbeitsmarktprogramm auflegen.
Wir weigern uns, tatenlos zuzuschauen, wie ganze Gesellschaftsschichten abgehängt werden vom Erwerbsleben. Wir weigern uns, den rücksichtslosen Verlagerungen von deutschen Arbeitsplätzen in Billiglohnländer zuzuschauen, als wären das unabänderbare Entscheidungen, die im Himmel getroffen werden.
Wir akzeptieren nicht, dass Managementfehler von groteskem Ausmaß auf Kosten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer korrigiert werden. Wir glauben nicht, dass die Profitgesetze der Globalisierung die Gesetze von Anstand, Moral und Loyalität gegenüber denjenigen aufheben, die mit ihrer Arbeit Tag für Tag die Grundlagen für Wirtschaftswachstum und Wohlstand in unserem Land legen.
Wir leben im Rechtstaat. Aber wir bestehen auch darauf, dass Gerechtigkeit in unserer Demokratie unteilbar ist. Verteilungsgerechtigkeit ist der wichtigste Baustein für sozialen Frieden. Wer ihn entfernen will aus dem gemeinsamen Haus unserer Bundesrepublik, droht mit seinem Einsturz. Das dürfen wir nicht zulassen.
Im Augenblick sträubt sich die Union gegen die Reform der Erbschaftssteuer.
Schauen wir auf den Armut- oder besser, auf den Reichtumsbericht der Bundesregierung. Wir lesen: Zehn Prozent der Haushalte im Land besitzen 50 Prozent des deutschen Geldvermögens. Die unteren 50 Prozent aller Haushalte teilen sich nur vier Prozent aller Geldvermögen. Da lohnt sich doch der Hinweis, dass im Mutterland des Kapitalismus, in den USA, die Erbschaftssteuer in vielen Bundesstaaten über 40 Prozent liegt. Wovor hat
die Union eigentlich Angst? Vor dem Liebesentzug ihrer Spender aus Wirtschaft und Verbänden?
Jahrelang haben wir uns, Sozialdemokraten und Gewerkschafter, anhören müssen, dass Kündigungsschutz und Mitbestimmung die wahren Bremsen für mehr Wachstum seien. Das konservative Wehklagen über Tarifautonomie, Kündigungsschutz und Mitbestimmung klingt uns allen noch in den Ohren.
Jetzt, wo die deutsche Wirtschaftslokomotive wieder unter Dampf steht, frage ich die kapitalstarken Freunde der CDU, wer denn eigentlich die Lokomotive geheizt hat und wer sie weiter heizt? Die Stimmungsmacher der konservativen Wirtschaftspresse sind es jedenfalls nicht. Sind es die Topmanager mit ihren supermillionenschweren Gehaltsabrechnungen? Oder sind es gewisse Konzernchefs, die von einem Untreue- und Korruptionsprozess zum anderen
fahren, genauer, gefahren werden?
Nein, liebe Freundinnen und Freunde aus Hamburgs Gewerkschaften: Es waren und sind die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer unseres Landes, die mit ihren gut begründeten Argumenten für einen fairen Interessenausgleich sorgen – und die in den vergangenen schwierigen Jahren Verzicht geübt haben. Wenn aber die Erträge der Firmen steigen, dann müssen auch die Löhne steigen. So einfach ist das. Ja, das DGB-Motto ist richtig gewählt: „Du hast mehr verdient.“ Da mögen die Arbeitgeber noch so laut seufzen. Sie verdienen ja auch mehr.
Ich möchte nicht in einem Land leben, in dem soziale Gerechtigkeit und Sicherheit des Arbeitsplatzes zum Spielball der Arbeitgeberverbände werden. Mir reichen die Auftritte ihrer Vertreter in den Talkshows. Immer wieder erklärten sie tief besorgt, dass jetzt Lohnzurückhaltung angesagt seien. Und trotzdem weigerten sie sich, selbst ein Vorbild zu geben.
Sie wissen, dass ich für das Bürgermeisteramt Hamburgs kandidiere. Wir Sozialdemokraten treten gegen einen Senat an, der unter dem Motto „Wachsende Stadt“ dafür gesorgt hat, dass Hamburg in Wirklichkeit auseinander wächst.
Wir wollten mehr Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. Aber der CDU-Senat hat das Vergabegesetz zum Nachteil der arbeitenden Hamburger verändert. Und ganz nebenbei hat er das Korruptionsregister gekippt. Ich frage mich – warum eigentlich?
Wir von der SPD haben den von ver.di organisierten Volksentscheid gegen den Verkauf der städtischen Krankenhäuser Hamburgs mitgetragen. Die Gesundheit unserer Bürgerinnen und Bürger ist keine Ware. 600.000 Wählerinnen und Wähler haben den Verkauf der LBK abgelehnt. Der CDU-Senat hat sie alle, alle ignoriert. Jetzt stehen dort die ersten Kündigungen an – 320 Arbeitsplätze werden abgebaut. Vor dem Verkauf hörte man das anders. Wir werden untersuchen, warum alle Risiken bei dem Verkauf der Krankenhäuser verschoben wurden auf die Stadt und damit auf uns, auf die Steuerzahler.
Derselbe Senat ist dank der Arbeitnehmerinnen und Arbeiternehmer mit dem Versuch gescheitert, die HHLA zu verkaufen. Sie kennen den Wert ihrer Arbeit und sie kennen den Wert des Hafens für die Zukunft der Stadt besser als die Ausverkäufer und Privatisierer im Rathaus. Hamburgs Hafen mit seinen 165.000 Arbeitsplätzen steht nicht zum Verkauf. Sie sind das Kraftzentrum unserer Stadt und sein Herz. Wer an ihm herumexperimentiert, ist herzlos und wirtschaftspolitisch kurzsichtig wie ein Maulwurf.
Wir Hamburger Sozialdemokraten wollen, dass sich der Hafen weiterentwickelt. Wir treten ein für die Elbevertiefung. Und wir werden gleichzeitig die Deichsicherheit verstärken. Wenn der CDU-Ministerpräsident aus Hannover sich gegen die Elbvertiefung ausspricht, dann spielt er mit unseren Arbeitsplätzen, aber auch mit 220.000 Arbeitsplätzen außerhalb unserer
Stadtgrenzen. Es ist schon so, bei der Union darf man immer auf Überraschungen gefasst sein. Erst Kirchhof, dann Oettinger, jetzt Wulff – und übermorgen vielleicht ein CDU-Senat, der das Rathaus verkaufen will.
Vielleicht wäre es ganz gut, wollten sich die Berufspolitiker der Union einmal für ein paar Monate als Arbeiter oder Angestellte bei Phoenix umschauen. Und dann erfahren, was es heißt, jeden Morgen ohne Jobsicherheit in den Betrieb zu gehen. 2800 Beschäftigte hatte das Unternehmen noch im Jahr 2005. Heute sind es nur noch 1100. Die Auftragsbücher sind voll. Aber die Angst um die Arbeitsplätze steigt mit den Erträgen der Firma.
Nicht anders sieht es bei Airbus aus. Wer dieser Entwicklung auf dem Hamburger Arbeitsmarkt kaltblütig zuschaut und auf die Gesetze der Marktwirtschaft verweist, wie es die Union derzeit tut, der hat nichts verstanden: Gute Arbeit ohne Verlässlichkeit am Arbeitsplatz, ohne
Sicherheit und ohne gerechten Lohn gibt es nicht. Deutschlands Wirtschaft ist groß geworden, weil beide Tarifpartner das verstanden haben. Wenn die Arbeitgeber das heute vergessen wollen, dann liegt es an uns, sie an diese Wahrheit zu erinnern.
Ohne Arbeit kein Wachstum, ohne vernünftige Sozialpolitik keine richtige Wirtschaftspolitik, ohne Chancengleichheit für alle in den Schulen und Hochschulen keine Gerechtigkeit, ohne Gerechtigkeit kein Wohlstand und auch kein sozialer Frieden. Das sind die Wahrheiten, für die Hamburgs Sozialdemokraten und für die Hamburgs Gewerkschaften einstehen. Dafür
streiten wir, manchmal untereinander, aber doch in der Hauptsache gegen die Kräfte der Beharrung.
Wer fünf Minuten vor Toresschluss die Umweltprobleme der Stadt entdeckt, wer in letzter Minute mit der Gießkanne in der Hand ein paar Millionen in die zurückgebliebenen Stadtviertel der Stadt träufelt, weil Wahlen ins Haus stehen, wer den Bürgerinnen und Bürgern zuruft, „es geht uns doch gut“, der spielt mit der Zukunft Hamburgs. Klar, es geht uns gut. Aber doch nicht allen. Im Gegenteil. Die Reichen werden reicher, und die Armen werden ärmer.
Und die Zukunftssorgen aller Arbeitnehmer wachsen von Jahr zu Jahr.
Die Stadt wächst, aber sie wächst auseinander. Hamburg muss aber zusammen wachsen und zusammenwachsen. Wachstum und soziale Gerechtigkeit müssen einander ergänzen.
Sozialdemokratische Politik hat Hamburg groß gemacht. Ohne die Solidarität und die Kreativität der Gewerkschaften wäre das nicht gelungen. Was uns eint, ist die Gewissheit, dass Solidarität noch längst kein hohles Wort ist, sondern eine Verpflichtung, die uns aus der Geschichte zugewachsen ist und die wir auch in der Zukunft ernst nehmen müssen.
Solidarität und Vertrauen muss Deutschlands Gewerkschaften und Deutschlands
Sozialdemokraten verbinden – weil uns Hamburgs Zukunft, weil uns die Sicherheit von Hamburgs Arbeitsplätzen wichtiger sind als Dividendenausschüttungen und Spitzengehälter.
Hamburg war immer dann stark, wenn die Stärkeren die Schwächeren nicht aus den Augen verloren. Solidarität war hier über Jahrzehnte hinweg kein Fremdwort. Wir wollen, dass Solidarität nicht nur am 1. Mai besungen wird, sondern dass Solidarität wieder die Richtung unserer Politik und unseres Handelns bestimmt. Wer die Sorgen der Menschen nicht ernst nimmt, hat auch kein Recht, sie zu regieren. Wer die Sorgen der Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer auf die leichten Schultern nimmt, wird unter ihnen in die Knie gehen!
Hamburg braucht die verantwortungsvolle Arbeit der Gewerkschaften. Wir Sozialdemokraten werden an ihrer Seite stehen, wenn es darauf ankommt!
Ich danke Ihnen!