Ziemlich daneben lagen Arbeitgeber, Ökonomen und die Union mit ihrer Warnung vor dem „Job-Killer“ Mindestlohn. Tatsächlich ist ein Jobboom zu verzeichnen. Allein von Januar bis Mai 2015 sind 216.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden – am kräftigsten in typischen Mindestlohn-Branchen.
„Der Arbeitsmarkt befindet sich in einer glänzenden Verfassung. Doch nun kommt der Mindestlohn – und kaum ein Experte hat Zweifel, dass er das Job-Wunder in Gefahr bringt“, orakelte „Die Welt“ im November 2013. „Die große Koalition lässt sich damit auf ein ‚Feldexperiment’ ein, dass Arbeitsplätze kosten wird“, zitierte die Zeitung einen Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW).
Im Gegensatz zur internationalen Forschung war sich die Wirtschaftswissenschaft hierzulande weitgehend einig: Der gesetzliche Mindestlohn werde auf jeden Fall Beschäftigung kosten. Bis zu 1,5 Millionen Arbeitsplätze seien in Gefahr.
Positive Zwischenbilanz
Nun zeigt eine erste Zwischenbilanz der WSI-Forscher Thorsten Schulten und Claudia Weinkopf vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ): Die Unkenrufe haben sich nicht bewahrheitet.
Im Gegenteil. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen Stellen hat seit Einführung des Mindestlohns am 1. Januar 2015 weiter zugenommen. Und: Die kräftigsten Zuwächse verzeichnen Branchen, die besonders stark vom Mindestlohn betroffen sind. Ausgewertet wurden Daten der Bundesagentur für Arbeit (BA) und des Statistischen Bundesamts.
Konkret ist die Zahl der Arbeitslosen zwischen Dezember 2014 und Juni 2015 saisonbereinigt um 55.000 oder 2 Prozent gesunken. In Ostdeutschland – wo anteilig mehr Beschäftigte vom Mindestlohn profitiert haben dürften – sei der Rückgang mit 3,4 Prozent mehr als doppelt so hoch wie im Westen. Deutschlandweit seien in den ersten vier Monaten des Jahres 216.000 neue sozialversicherungspflichtige Jobs entstanden.
Gastgewerbe profitiert am meisten
Interessant: Die Experten haben festgestellt, dass mit dem Gastgewerbe eine „klassische Niedriglohnbranche“ den prozentual größten Zuwachs aufweist. Auch bei der Leiharbeit, den „sonstigen wirtschaftlichen Dienstleistungen“, zu denen beispielweise Wachdienste, Gebäudereinigung und Callcenter gehören, im Sozialwesen und im Bereich Verkehr und Lagerei habe die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung überdurchschnittlich zugelegt. Zugleich, so die Forscher, dürfte der Mindestlohn vielen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in diesen Branchen Gehaltssteigerungen beschert haben. Kaum eine Rolle würden Niedriglöhne dagegen in den einzigen Wirtschaftszweigen mit Arbeitsplatzverlusten spielen – Finanzdienstleistungen, öffentliche Verwaltung und Energiewirtschaft.
Das Fazit der Arbeitsmarktexperten: „Bei der Entwicklung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse lassen sich bislang keine negativen Effekte des Mindestlohns nachweisen.“