Maiempfang des Senats: Ein Blick auf die Arbeit heute und morgen

Es gab wieder ein großes „Hallo“ im Rathaus. Rund 700 aktive Gewerkschafter/innen, Betriebs- und Personalräte tummelten sich beim traditionellen Maiempfang des Senats. Alle drei Redner/innen bekamen viel Applaus: der Erste Bürgermeister Olaf Scholz („Am Samstag habe ich Spargel geschält“), Katja Karger („Wir müssen die Arbeit der Zukunft mitgestalten“) und Betriebsrätin Bedra Duric („mal was anderes hier zu reden, sonst kommen wir nur zum Putzen“).

Im folgenden dokumentieren wir die Redebeiträge von Hamburgs DGB-Chefin Katja Karger und Betriebsrtin Bedra Duric:

Katja Karger
Die Arbeit der Zukunft gestalten wir

Sehr geehrter Herr Erster Bürgermeister, sehr geehrte Mitglieder der Hamburgischen Bürgerschaft und des Senats, sehr geehrte Abgeordnete;
vor allem aber: Liebe Betriebs- und Personalräte, Kolleginnen und Kollegen,

Die „Arbeit der Zukunft gestalten wir“. So unser Motto zum 1. Mai 2015.
Die Arbeit der Zukunft gestalten wir – Was bedeutet das und was hat das mit uns zu tun?
In den 70er und 80er Jahren fragten wir nach der Zukunft der Arbeit. Die Befürchtungen waren groß, dass uns aufgrund der technischen Entwicklung die Arbeit ausgehen würde. Aber das Gegenteil ist eingetreten: Wir arbeiten mehr denn je. Und wir werden auch weiterhin tätig sein. Wir werden arbeiten und Geld verdienen – müssen.

Die entscheidende Frage ist daher: Wie werden wir es tun? Deswegen fragen wir heute nach der Arbeit der Zukunft.
Die Arbeit der Zukunft ist nichts, was uns schicksalhaft vor die Füße fällt – die Arbeit der Zukunft entwickelt sich jetzt, vor unseren Augen. Wir sind Teil dieser Entwicklung. Damit liegt es aber auch in unseren Händen, wie Arbeit künftig aussehen wird. Diese Chance – so meine ich – sollten wir in unser aller Interesse mitgestalten und nutzen. Ich bin davon überzeugt: In unserer Gesellschaft geschieht nichts zwangsläufig; wir können als handelnde Personen immer eingreifen und verändern.

Für dieses Eingreifen brauchen wir gewerkschaftlich gebündelte Initiativen, um die Veränderungen in Wirtschaft und Arbeitswelt wirkungsvoll zum Positiven zu beeinflussen. Wir brauchen Euch Betriebs- und Personalräte. Ihr begleitet die Veränderungen im Betrieb, Ihr organisiert die Weiterbildung der Kolleginnen und Kollegen und Ihr sorgt dafür, dass niemand auf der Strecke bleibt.

Industrie 4.0, Internet der Dinge, Cloudworking – das sind Schlagworte einer Entwicklung, die uns oft noch irritiert – während ihre Umsetzung in vielen Betrieben bereits Wirklichkeit wird. Die Wirtschaft steht an der Schwelle zur vierten industriellen Revolution. Reale und virtuelle Welt wachsen zu einem Internet der Dinge zusammen. Vernetzte Geräte verändern das Verhältnis zwischen Mensch und Maschine. Unsere Kundenwünsche haben direkte Auswirkung auf Produktion und Dienstleistung. Mein individuell hergestelltes Auto wird nun realisierbar und finanzierbar.

Übertrieben? Wohl kaum: Industrie und Handel setzen auf das Internet der Dinge. In der Logistik werden schon bald Geräte, Pakete und Waren selbstständig miteinander kommunizieren und sich gegenseitig steuern. Ziel ist, dass alle technischen Geräte unabhängig vom Menschen miteinander verbunden sind. Die tragbare Datenverarbeitung – wir kennen das von den Fitnessuhren – wird nun „Wearable“ genannt und in Kleidung und Accessoires eingearbeitet – Mr. Spock und die Enterprise lassen grüßen.

Mit der Digitalisierung in dieser neuen Dimension sind weitreichende Veränderungen verbunden. Wesentliche Anforderungen und Eigenschaften dieser neuen Wirtschaft sind dezentral und mobil. Das wird sich auf Beschäftigte, Arbeitsgestaltung und Arbeitsanforderungen auswirken. Auch wenn „alte“ und „neue“ Wirtschaft noch eine Weile gleichzeitig existieren, erwarten wir Gewerkschaften einen umfassenden Wandel bei Berufen, Arbeitsformen und Arbeitsbedingungen.
Bereits heute arbeitet eine stetig wachsende Zahl von Freien und Solo-Selbstständigen in Projekten; Menschen, die ihre Arbeitskraft im Internet anbieten und mit dem Arbeitgeber Auftrag und Leistung ausschließlich über eine Cloud austauschen. Vielleicht werden künftig LKW-Fahrer überflüssig, weil der Verkehr digital geregelt wird. Oder der Unterricht an Schulen und Universitäten findet mittels virtueller Klassenzimmer statt.
Zukunftsmusik? Ja, schon. Aber ein Blick auf unser eigenes Smartphone-Verhalten zeigt, wie weit die digitale Vernetzung bereits Teil unseres Alltags geworden ist. Und wir müssen gestehen: Es ist durchaus praktisch und macht manchmal sogar Spaß. Vielleicht ist es aber wie damals bei der Einführung der Bankautomaten: wir fanden es toll, weil Geld holen nun praktisch, schnell und unkompliziert ging – und stellten hinterher fest: Oh, jetzt werden ja die Kassenbeschäftigten in den Banken entlassen…

Da, liebe Kolleginnen und Kollegen, da haben wir Gewerkschaften unsere Aufgabe: Die Chancen, die sich aus den digitalen Veränderungen ergeben, sollten wir nutzen, zugleich aber deren Risiken minimieren. Wir wollen diesen tiefgreifenden Strukturwandel demokratisch und sozial prägen.
Der Weg, wie das gelingen kann, führt nur über bessere Bildung und Qualifikation, mehr Aus- und Weiterbildung, alternsgerechte Arbeit und gleitende Übergänge in den Ruhestand.

Gerade in Zeiten steigender Produktivität durch immer neue Innovationen müssen wir unsere Arbeitsstandards sichern und verteidigen. Die digitalisierte Wirtschaft darf die bestehenden betrieblichen Zusammenhänge nicht atomisieren; Mitbestimmungsstrukturen müssen erhalten bleiben und ausbeuterische Arbeitsverhältnisse haben keinen Platz in unserer Gesellschaft.

Wir werden sehr aufpassen müssen: Unsere Arbeitswelt darf nicht in geförderte Intelligenz und vernachlässigte Handlanger gespalten werden. Wettbewerbsfähigkeit sollte sich über innovative und qualitativ hochwertige Produkte und Dienstleistungen definieren, nicht aber über niedrige Löhne. Wir brauchen qualifizierte Fachkräfte, die dank fairer Bezahlung und umfassender Mitbestimmungsmöglichkeiten ihre Talente voll entfalten können. Das ist gute Arbeit.

Die Arbeit der Zukunft wird nur dann eine gute Arbeit, wenn wir sie intensiv mitgestalten. Unser Mittel der Wahl dafür sind Tarifverträge. Die Flucht aus dem Flächentarif muss nicht nur gestoppt werden, sie gehört umgekehrt. – Ich weiß nicht, wie häufig ich in den vergangenen Wochen bei Diskussionen zum Mindestlohn von Arbeitgebervertretern hörte, dass wir das doch alles über Tarifverträge lösen könnten. Ja – dann sollen sie das doch auch mal tun! Das verlangt übrigens auch von Arbeitgebern junger, innovativer Unternehmen die Bereitschaft, Betriebsräte, Mitbestimmungsstrukturen und Tarifverträge zuzulassen.

Die Arbeit der Zukunft wird nur dann eine gute Arbeit, wenn wir hinsehen, eingreifen, uns einmischen und uns mit unseren Werten und Vorstellungen behaupten. Das ist Euer und unser tägliches Geschäft. Ich danke Euch, liebe Kolleginnen und Kollegen, an dieser Stelle ausdrücklich für Euren Einsatz und Euer Engagement. Die Arbeit der Zukunft gestaltet Ihr: Ihr Betriebs- und Personalräte, Jugendvertreter/innen und ehrenamtlich Aktive.
Euch rufe ich zu: Wir lassen uns von der Arbeit der Zukunft nicht überrollen – wir nehmen ihre Gestaltung in die eigenen Hände.

Bedra Duric

… mal etwas anderes, heute hier zu reden, sonst kommen wir nur zum Putzen …

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,
liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mein Name ist Bedra Duric, ich bin Gebäudereinigerin und Betriebsratsvorsitzende der BOGDOL Gebäudemanagement GmbH, eines der größten Hamburger Reinigungsunternehmen.

Ich bin aktives Mitglied in der IG BAU – der Fachgewerkschaft für das Gebäudereiniger-Handwerk.

Schön, dass wir uns heute hier alle mal sehen. Sonst gibt es ja auch nur selten Gelegenheit dazu.

Gebäudereinigerinnen und Gebäudereiniger arbeiten in der Regel dann, wenn die meisten von euch noch schlafen oder aber schon wieder zu Hause sind.
Deshalb werden wir auch „die Unsichtbaren“ genannt.
Wer von euch kennt eigentlich „seine Putze“, wie wir oftmals abfällig bezeichnet werden, noch persönlich?

Wir, die Reinigungskräfte, sind eine bunte Mischung von Menschen – meistens Frauen –, deren Wurzeln auf dem gesamten Erdball verteilt sind. In unserer Heimat hatten wir vielfach Berufe, deren Abschluss hier keine Anerkennung mehr findet. Techniker, Ingenieure, Mediziner in unseren Reihen sind nicht gerade selten.

Wir kamen nach Deutschland, weil uns durch Krieg und Verfolgung die Lebensgrundlage genommen wurde.

Wenn wir jetzt hier durch unsere Arbeit für saubere Rahmenbedingungen sorgen, dann erwarten wir nicht viel – nur faire Arbeitsbedingungen und respektvollen Umgang. Das kann doch nicht so schwer sein!

Die Realität aber sieht oft anders aus.

Das Ergebnis unserer Arbeit von heute ist morgen schon Geschichte. Wahrgenommen wird sie vielfach nur dann, wenn einmal etwas nicht geklappt hat. Dann folgt die Beschwerde. Lob und Anerkennung haben in unserer Branche Seltenheitswert.

Seit dem Beginn der Ausgliederung branchenfremder Dienstleistungen aus den Betrieben werden die damit betrauten Menschen vielfach nur noch als Kostenfaktoren gesehen, die Wertschätzung ihrer Arbeit hält sich in Grenzen.
Sie gehören einfach nicht mehr dazu.

Das Leben einer Reinigungskraft ist von Angst geprägt.
Angst davor, dass der Auftrag neu ausgeschrieben wird.

Die Neuausschreibung eines Reinigungsauftrages erfolgt nur selten wegen qualitativer Mängel, sondern regelmäßig unter dem Aspekt der Kostenoptimierung.

Das Resultat für uns Reinigungskräfte nach der Neuvergabe ist verheerend: Die gleiche Arbeit in weniger Zeit, oder aber mehr Arbeit in derselben Zeit.
Diese permanente Leistungsverdichtung führt zum systematischen Verschleiß der Gesundheit unserer Kolleginnen und Kollegen.

So kann und darf es nicht weitergehen – wir sind Menschen, keine Maschinen!

Glück im Unglück ist es dann, wenn der bisherige Anbieter den nunmehr „optimierten“ Reinigungsauftrag behält. Wechselt der Anbieter, wird es eng. Alternativen sind Kündigung, ein anderes Objekt am Rande der Stadt oder aber ein neuer, befristeter Arbeitsvertrag.

Dann folgen 4 sachgrundlose Befristungen in den ersten zwei Jahren, ohne Sicherheit, immer in Angst!
20 Jahre am selben Arbeitsplatz und immer noch befristet – das ist moderne Sklaverei!

Sehr geehrter Herr Bürgermeister,

im Deutschen Bundestag wurde im vergangenen Jahr ein Antrag zur Abschaffung der sachgrundlosen Befristung mit den Stimmen der SPD-Fraktion abgelehnt, obwohl das seinerzeit fast wortgleich so im Wahlprogramm stand. Das haben Sie persönlich nicht zu verantworten.

Die Freie und Hansestadt Hamburg aber ist nicht Berlin.

Bitte sorgen Sie dafür, dass in allen Bereichen, in denen der Senat Einfluss auf die Personalpolitik ausüben kann, diese Art der Befristung keine Zukunft mehr hat!

Insbesondere in den Krankenhäusern ist der Leistungsdruck enorm, die Hygiene kann schon vielfach nicht mehr gewährleistet werden!

Es ist schon bezeichnend, wenn Reinigungskräfte dort sagen: „Wenn ich mein Kind einmal in ein Krankenhaus bringen müsste, dann auf keinen Fall in dieses hier!“
Und sie wissen genau, wovon sie reden.

Ist es euch schon mal passiert, dass im Vorfeld einer Tarifrunde die Bitte geäußert wurde, nicht mehr Lohn zu fordern? Uns schon.

Wenn als Folge einer Lohnerhöhung die Arbeitszeit gekürzt wird, das Arbeitspensum jedoch gleich bleibt, steigt lediglich die Belastung, nicht aber das Geld.

Diese Praxis für die Zukunft per Tarifvertrag auszuschließen, ist die Kernforderung unserer IG BAU in der diesjährigen Tarifrunde.

Wir gehen selbstbewusst und zuversichtlich in diese Auseinandersetzung. In unserer IG BAU haben wir uns schon durchgesetzt. Dort sind wir jetzt die zweitgrößte Branche, die einstige „Männergewerkschaft“ hat aktuell 40% Frauenanteil. Und das ist gut so!

Kolleginnen und Kollegen, lasst uns gemeinsam die Vergabepraxis für Reinigungsaufträge in euren Unternehmen und Einrichtungen unter die Lupe nehmen. Betriebs- und Personalräte haben ein Recht darauf. Schließlich geht es auch um eure Arbeitsbedingungen!

Sauberkeit hat ihren Preis!

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit!

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