Die Jugendsenatorin kann es nicht lassen: Schon wieder hat sie sich mit fremden Federn geschmückt. Sie lobt sich und das Hamburger Gutscheinsystem, obwohl sie bis heute die Härten nicht in den Griff bekam, die Betreuungsfrequenzen und die Elternbeiträge erhöht hat und erstmals Vorschulgebühren eingeführt hat. Und dass Hamburgs Eltern die heute gute Versorgung erst mit einer Volksinitiative erzwingen mussten, verschweigt die Senatorin. Trotzdem wird man morgen ihre Sicht der Dinge groß in den auflagenstarken Hamburger Zeitungen lesen können.
Aus Sicht der SPD gibt die derzeitige Situation der Kinderbetreuung in Hamburg keinen Anlass zur Selbstzufriedenheit. Die Kita-Expertin der Bürgerschaftsfraktion, Andrea Hilgers kritisierte die Politik der Sozialsenatorin.
„Die Senatorin hat den Kardinalfehler ihrer Politik immer noch nicht erkannt: Sie verfolgt zwar das mit dem Kinderbetreuungsgesetz vorgegebene richtige Ziel, die Kindertagesbetreuung in Hamburg auszubauen und die Hamburger Garantien umzusetzen. Dafür kassiert sie aber die Eltern ab, senkt die Standards in der Betreuung aller Kinder und grenzt die Kinder aus, die besondere Förderung brauchen. Schnieber-Jastram hat die qualitativen und sozialpolitischen Anforderungen an frühkindliche Bildung nicht begriffen und verhindert eine gute Politik für Kinder, Eltern und Kita-Beschäftigte“, sagte Hilgers.
Es gebe in den Hamburger Kitas in 2005 rund 2300 Kinder mehr zu betreuen als in 2004 – mit elf Prozent weniger Personal nach Standardabsenkung. „Wie die Kita-Beschäftigten vor diesem Hintergrund die notwendige Aufgabe der frühkindlichen Bildung gewährleisten sollen, ist ein Geheimnis der Senatorin.“
Die heute von Senatorin Birgit Schnieber-Jastram vorgestellte Zwischenbilanz zur Kindertagesbetreuung ist unvollständig und verschweigt, dass Kinder aus armen Familien die Verlierer in diesem Betreuungssystem sind, resümiert auch die GAL.
Christiane Blömeke, Sprecherin der GAL-Fraktion für Kinder- und Jugendpolitik, fordert deshalb von der Senatorin ein Konzept zur Kindertagesbetreuung sozial benachteiligter Kinder. „Kein Kind darf zurückgelassen werden, deshalb muss die Senatorin endlich handeln. Erst, wenn die Senatorin diese Hausaufgaben erledigt hat, kann sie sich hinstellen und von einer positiven Bilanz der Kindertagesbetreuung sprechen.“, so Christiane Blömeke. Zu einem solchen Handlungskonzept müssten die folgenden Punkte gehören:
+ Die Vergabe eines Gutscheines darf nicht mehr ausschließlich an den Lebenslagen der Eltern gemessen werden, sondern muss sich am Kind orientieren. Ganztagesplätze soll es deshalb auch für die Kinder geben, bei denen Eltern zum Beispiel wegen Arbeitslosigkeit zuhause sind. Den Kita- Leiterinnen soll dabei ein verstärktes Mitspracherecht eingeräumt werden.
+ Für Kinder aus armen Familien muss das Mittagessen in der Kita kostenlos sein.
Bei der fünfstündigen Kita-Betreuung soll für Kinder aus armen Familien eine Härtefallregelung eingeführt werden analog der Regelung bei der Vorschulbetreuung. In der Vorschule kann auf Antrag der Elternbeitrag von 27 auf 15 Euro ermäßigt werden.
+ Das Elternbeitragssystem soll mit dem Ziel einer Entlastung für geringe und mittlere Einkommen und einer stärkeren Spreizung der Beitragssätze überarbeitet werden.
In sozialen Brennpunkten sollte der Personalschlüssel erhöht werden, da dort der Betreuungsaufwand größer ist.
Ties Rabe, SPD-Landesgeschäftsführer und Mitinitiator der Volksinitiative „Mehr Zeit für Kinder“, kritisiert: „Senatorin Schnieber-Jastram feiert jetzt Verbesserungen, die sie selbst nicht wollte. Die Senatorin und die CDU haben bis zuletzt alle Hebel in Bewegung gesetzt, um das neue Kinderbetreuungsgesetz zu verhindern. Das Kinderbetreuungsgesetz ist ein Erfolg unserer Volksinitiative. Sie hat den Senat schließlich zum Kurswechsel gezwungen. Dieser Erfolg ist nicht wegen, sondern trotz der Arbeit der Sozialsenatorin zustande gekommen“, sagte Rabe.
In der Ausgestaltung habe die Sozialsenatorin „elementare Fehler“ gemacht. Der Anspruch auf Kinderbetreuung in den sozialen Brennpunkten sei erheblich eingeschränkt worden. In Wilhelmsburg, Dulsberg oder Mümmelmannsberg würden Kinder arbeitsloser Eltern jetzt weniger und schlechter betreut als vorher.
Andrea Hilgers warf der Sozialsenatorin vor, die Realität in den Kitas unverantwortlich eschönt wiederzugeben. Die Abgeordnete verwies in diesem Zusammenhang auf eine Befragung der Hamburger Kitas aus dem vergangenen Jahr. Bereits ein gutes Jahr nach Inkrafttreten des Gesetzes hatten die Kita-Leitungen über Personalabbau und damit verbunden über Qualitätseinbußen in der Kinderbetreuung geklagt.
Die Ergebnisse einer zweiten Kita-Befragung, die die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) und Professorin Petra Strehmel von der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) gemeinsam mit der SPD-Bürgerschaftsfraktion derzeit durchführen, sollen spätestens im September vorgestellt werden.
Die zweite Befragung hat das Ziel, eine qualifizierte Bewertung der aktuellen Situation drei Jahre nach Einführung des Kita-Gutscheinsystems vornehmen zu können. In der Befragung geht es auch um die Situation der Kinder in den benachteiligten Quartieren und die Auswirkungen der Standardabsenkung auf die Qualität der Betreuung. Auch nach der Personalentwicklung in den Kitas wird gefragt.
Die Grünen streben bei der Kinderbetreuung die Ausweitung des Rechtsanspruches für alle Kinder ab dem vollendeten ersten Lebensjahr an, unabhängig von der Berufstätigkeit der Eltern. Ein Konzept der grünen Bundestagsfraktion sieht eine Beteiligung des Bundes an den Kosten vor. „Wir erwarten, dass die Senatorin den Vorschlag der Grünen Bundestagsfraktion ernst nimmt und unterstützt, da er ein wesentlicher Beitrag zur Chancengleichheit von Kindern aus armen Familien ist“, so Blömeke.