Mit einem (weit verteilten) Brief an die Parteien werben die Präsides der beiden großen Kammern, Becker (Handwerk) und Dr. Dreyer (Handel) dafür, Hamburg mit Methoden von gestern zu einer fortschrittsorientierten Metropole von morgen zu machen. In einem Offenen Brief antworten die GAL-Spitzenkandidatin Christa Goetsch und die Landesvorsitzende Anja Hajduk.
Sehr geehrter Herr Dr. Dreyer,
sehr geehrter Herr Becker,
sehr geehrter Herr Dr. Schmidt-Trenz,
sehr geehrter Herr Glücklich,
mit Interesse haben wir die Forderungen zur Kenntnis genommen, die Sie den Parteien und Kandidaten, also auch uns, im Hinblick auf die bevorstehende Bürgerschaftswahl an die Hand geben wollen.
Zunächst: Wir freuen uns, dass Sie in einem wichtigen Punkt mit uns übereinstimmen. Denn Ihre Analyse, dass Hamburg im Bereich Forschung und Entwicklung erhebliche Schwächen hat, die dringend abgestellt werden müssen, teilen wir. Die Stärkung von Hochschulen, Forschung und Entwicklung und die Verbesserung des Technologietransfers in Hamburg sind Teil unserer grünen Programmatik, wie wir sie mit unserem Leitbild „Kreative Stadt“ Hamburg schon lange vertreten.
Hinter der „Kreativen Stadt“ steht die Einsicht, dass es in Zukunft immer stärker die wissensbasierten und kreativen Industrien und Dienstleistungen sein werden, von denen der wirtschaftliche Erfolg unserer Stadt abhängt. Viel stärker als bisher müssen wir in die Köpfe investieren, in die Talente und Fähigkeiten der Menschen – und zwar aller Menschen – in unserer Stadt. Wir werden es uns in Zukunft nicht mehr leisten können, das kreative Potenzial großer Teile der Bevölkerung ungenutzt brachliegen zu lassen.
Hinter Ihrer Forderung nach einer besseren Forschungs- und Technologie-Politik scheint dieselbe Einsicht zu stehen. Daher befremdet uns, wie wenig sich die übrigen Punkte ihres Katalogs mit dieser Einsicht decken. Darauf möchten wir gerne näher eingehen.
Betrachten wir Ihre Aussagen zur Schulpolitik: Was veranlasst Sie zu der Annahme, dass die Debatte um die Strukturreform die Bemühungen um eine Qualitätssteigerung in den Schulen behindert? In der Hamburger Enquête-Kommission „Konsequenzen aus PISA“ bestand Einigkeit darüber, dass die Reform der Schulstruktur eine wichtige Voraussetzung und Grundlage für die Qualitätssteigerung in den Schulen ist. Gehen Handelskammer und Handwerkskammer nun hinter diese Erkenntnis zurück?
Sie legen nahe, dass längeres gemeinsames Lernen aller Kinder zu sinkender Qualität führen würde. Die Vereinigung der Unternehmensverbände Hamburg und Schleswig-Holstein e. V. fordert gerade wegen der mangelnden Qualität der schulischen Bildung, dass Kinder „mindestens sechs statt bisher vier Jahre“ gemeinsam lernen sollen. Und der Baden-Württembergische Handwerkstag hält aufgrund der verheerenden Folgen der sozialen Auslese und der fehlenden (Spitzen-) Leistungen sogar eine 9-jährige gemeinsame Schule für alle Kinder für erforderlich. Das gegliederte System in Hamburg produziert viel zu viele Abbrecher und viel zu wenige Abiturienten. Unsere Schulabgänger haben seit Jahren immer geringere Chancen, eine Lehrstelle zu bekommen – wer von der Hauptschule kommt, hat so gut wie gar keine! Warum sollte das mit einem Zwei-Säulen-Modell besser werden?
Das Argument, neue Schulstrukturen könnten bei den Betrieben zu Verunsicherung führen, richtet sich nicht nur gegen die Schule für alle. Werden die Betriebe nicht auch nach dem Wert eines Abschlusses an den so genannten Stadtteilschulen fragen? Es geht doch vielmehr darum, dass die Schulen sich an Qualitätsstandards halten, ihre Arbeit evaluieren lassen und, wie sie richtig fordern, von einer Schulinspektion begleitet werden. Die Schulen für alle der PISA-Sieger Finnland oder Kanada arbeiten mit solchen Standards; sie haben 60 Prozent mehr Abiturienten als wir und nur eine verschwindend geringe Zahl von RisikoschülerInnen.
In der Umweltpolitik, beim Klimaschutz und bei der Flächeninanspruchnahme muss es unserer Ansicht nach das Ziel sein, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten und Ressourcen möglichst schonend zu nutzen. Dabei geht es nicht zuletzt darum, die Attraktivität Hamburgs für die Menschen, die hier leben und arbeiten, zu erhalten und nach Möglichkeit zu verbessern. Vor diesem Hintergrund halten wir ihre Forderungen für wenig zukunftsorientiert.
Hamburgs Flächenverbrauch ist in den letzten Jahren dramatisch angewachsen. Damit einher gehen die Zerstörung natürlicher Lebensräume, Zerschneidung der Landschaft und der Verlust von Erholungsmöglichkeiten für die Bevölkerung. Wir fühlen uns den nationalen Nachhaltigkeitszielen verpflichtet, die eine Reduzierung des Flächenverbrauchs auf 30 Hektar pro Tag für 2020 anstreben und wir meinen, dass auch Hamburg dieses Ziel ernst nehmen muss. Daher unterstützen wir den Fokus auf Nachverdichtung und Flächenrecycling. Auch großflächige Logistikprojekte müssen sich an Nachhaltigkeitszielen messen lassen.
Nach unserer Kenntnis gibt es gegenwärtig auf ganz Hamburg bezogen keine Engpässe bei Wohnbau- und Gewerbeflächen. Speziell der Wohnungsbau krankt im Gegenteil eher an einer Nachfrageschwäche als am mangelnden Flächenangebot. Nach wie vor stehen mehr als 100 Hektar sofort verfügbarer Gewerbe- und Industrieflächen in Hamburg bereit. Um dies auch zukünftig gewährleisten zu können muss das Flächenrecycling intensiviert und auch gewerbliche Nutzungen müssen verdichtet werden.
Auf mittlere Sicht ist eine Überarbeitung des Flächennutzungsplans sinnvoll, dabei muss es jedoch darum gehen, ein weiteres Anwachsen der Siedlungs- und Verkehrsfläche zu vermeiden. Um die Flächenentwicklung in die richtige Richtung zu lenken kann ein finanzielles Anreizsystem ein sinnvolles Instrument sein. Zu den von Ihnen angesprochenen Beurteilungskriterien muss daher wesentlich das Kriterium der Nachhaltigkeit gehören. In einem Anreizsystem müssen Energieeffizienz und Flächeneffizienz von Projekten bestimmende Faktoren der Bonifizierung sein.
Ihr Plädoyer für freiwilliges Engagement und Selbstverpflichtungen von Unternehmen für den Umweltschutz können wir nur unterstützen. Wir meinen jedoch, dass Selbstverpflichtungen und ordnungsrechtliche Regelungen sich nicht ausschließen, sondern sinnvoll ergänzen.
Die Hamburger Industrie hat sich verpflichtet, bis 2012 500.000 Tonnen CO2 einzusparen, und Sie verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass im Rahmen der vom Senat seit 2001 betriebenen Kampagne „Unternehmen für Ressourcenschutz“ bisher Einsparungen von jährlich rund 60.000 Tonnen erreicht worden sind, wobei durchschnittlich mit jeder vermiedenen Tonne CO2 Betriebskosteneinsparungen von über 100 Euro verbunden sind. Es sind also Unternehmen motiviert worden, in einem gemessenen an den notwendigen Einsparungszielen sehr bescheidenen Umfang Maßnahmen zu ergreifen, die sich schon rein betriebswirtschaftlich empfehlen. Aus unserer Sicht zeigt das, wie hoch der Beratungsbedarf bei den Unternehmen ist und dass die Stadt ihre Anstrengungen, die Unternehmen zu erreichen, noch deutlich intensivieren muss. Es geht daraus aber keineswegs unzweifelhaft hervor, dass es gelingen wird, die erzielten Einsparungen innerhalb der nächsten vier Jahre zu verachtfachen. Umso weniger lässt sich daraus das Argument ableiten, der Staat solle auf Instrumente des Ordnungsrechts verzichten, wenn es darum geht, wichtige, im Falle des Klimaschutzes sogar existenzielle, Ziele zu erreichen.
Kooperative Modelle sind dort geeignet, Lösungen zu produzieren, wo positive Umwelteffekte sich mit betriebswirtschaftlichen Vorteilen verbinden. In vielen Fällen wird es jedoch nötig sein, dass der Gesetzgeber mit verbindlichen Standards gleiche Voraussetzungen für alle Marktteilnehmer schafft, damit Unternehmen, die in Umweltschutzmaßnahmen investieren wollen, dadurch keine wirtschaftlichen Nachteile erleiden.
Wir finden es richtig, dass sich die Interessenvertretung der Hamburger Wirtschaft zu den wichtigen Fragen unserer Stadt zu Wort meldet. Wir würden uns freuen, den Dialog mit Ihnen in Zukunft fortzusetzen.
Mit freundlichen Grüßen
Christa Goetsch
GAL-Spitzenkandidatin
Anja Hajduk, MdB
GAL-Landesvorsitzende