Immer weniger Hamburger Jugendliche finden einen Ausbildungsplatz, obwohl die Zahl der in Hamburg angebotenen Lehrstellen steigt. Das ist das alarmierende Ergebnis einer Großen Anfrage der GAL-Bürgerschaftsfraktion zur Lage auf dem Ausbildungsmarkt (Drucksache 18/6917 vom 02. 10. 2007).
„Die Wirtschaft brummt und die Betriebe klagen über den Mangel an Fachkräften. Gleichzeitig bleiben immer mehr Hamburger Jugendliche ohne Chance auf Ausbildung. Das ist ein Skandal“, sagt die Vorsitzende der GAL-Bürgerschaftsfraktion Christa Goetsch.
Die GAL-Fraktion fordert deshalb eine Ausbildungsgarantie. Nötig dafür sei Ausbildungsumlage für Betriebe mit mehr als 50 Beschäftigten, die nicht ausbilden, „Die Hamburger Unternehmen könnten mehr ausbilden“, stellt die arbeitsmarktpolitische Sprecherin der GAL-Bürgerschaftsfraktion Gudrun Köncke fest. „Appelle allein reichen nicht, die Politik muss die Firmen motivieren und die rechtlichen Rahmen für eine Ausbildungsumlage schaffen.“ Zusätzlich ist mehr qualifizierte außerbetriebliche Ausbildung nach dem Produktionsschulprinzip notwendig. Produktionsschulen bieten individuelle Förderung mit hohem Praxisbezug in eigenen Werkstätten und in geeigneten Unternehmen.
Doch auch die allgemeinbildenden Schulen müssen ihren Beitrag leisten. „Statt die Kinder nach ihrem sozialen Status zu sortieren müssen wir in alle Talente und Persönlichkeiten investieren und dafür sorgen, dass die Jugendlichen ausbildungsreif werden“, so Goetsch. Um Jugendlichen eine optimale Förderung und damit bessere Schulabschlüsse zu ermöglichen, fordert die GAL mit ihrem Konzept „9 macht klug“ bereits seit langem eine Schule, in der alle Schülerinnen und Schüler individuell gefördert werden.
Für den Übergang der Jugendlichen aus der Schule in den Beruf muss gelten: Kein Abschluss ohne Anschluss. Dafür fordert die GAL eine Übergabeverpflichtung, also eine Verpflichtung für die Schulen, sich darum zu kümmern, wohin ihre Schülerinnen und Schüler gehen. Dasselbe gilt auch für alle übrigen Institutionen, die Jugendliche beim Übergang von der Schule in den Beruf begleiten.
Die Situation:
Mehr Lehrstellen, aber immer mehr Hamburger Jugendliche ohne Ausbildung
Obwohl der konjunkturelle Aufschwung zu einem Zuwachs an Ausbildungsstellen geführt hat, sinken die Chancen für Hamburger Jugendliche auf einen Ausbildungsplatz. Von den 9.601 im Ausbildungsjahr 2007 bei der Agentur für Arbeit in Hamburg registrierten Lehrstellenbewerberinnen und -bewerbern, haben nur 3.122 (ca. 32,5 Prozent) den Sprung in die duale Ausbildung geschafft. 6.479 Hamburger Jugendliche scheiterten bei der Lehrstellensuche. Im Vorjahr wurden 8.577 Bewerberinnen in Hamburg registriert, davon erhielten nur 3.413 oder 39,8 Prozent einen Ausbildungsplatz.
Im Jahr 2007 haben damit 291 Hamburger Jugendliche weniger einen Ausbildungsplatz gefunden. Der Anteil der Hamburger Jugendlichen, die im Übergangssystem landen ist in den letzten vier Jahren um 21 Prozent angestiegen. Aus dem Jahrgang 2006/2007 landeten 6923 Jugendliche in diesen Maßnahmen. Damit wurde der traurige Rekord von 44,1% erreicht – noch nie mussten derart viele Schulabsolventinnen und -absolventen eines Jahrgangs in Übergangmaßnahmen bzw. Wartenschleifen wechseln (vgl. Drs.18/6917 Anlage 7).
30 Prozent Risikoschülerinnen und -schüler
11,5 Prozent der Schulabgänger des Jahres 2006 blieben in Hamburg ohne Schulabschluss, damit liegt Hamburg in der Spitzengruppe der Bundesländer und der deutschen Metropolen. 22,6 Prozent der Jugendlichen verließen 2006 die Schule mit einem Hauptschulabschluss. Auch diese Schülerinnen und Schüler haben geringe Chancen auf eine Lehrstelle. Diese Zahlen bestätigen, was schon durch die PISA-Studien deutlich wurde: Knapp ein Drittel der Hamburger Jungendlichen eines Jahrgangs zählt zur Gruppe der sogenannten Risikoschülerinnen und -schüler, die wenig Chancen auf Ausbildung und Arbeit haben.
Besonders betroffen: Jugendliche mit Migrationshintergrund
Obwohl immer mehr Jugendlichen mit Migrationshintergrund auf den Ausbildungsmarkt drängen, ist ihr Anteil an den Berufsschülerinnen und –schülern in Hamburg von 8 Prozent (2001) auf 6,3 Prozent (2006) gesunken. Jugendliche mit Migrationshintergrund erreichen überdurchschnittlich oft nur niedrige oder keine Abschlüsse, besonders deutlich ist dies bei männlichen Jugendlichen.
Doppelter Verdrängungsprozess
In einem doppelten Verdrängungsprozess werden einerseits Jugendliche mit Hauptschulabschluss und Jugendliche mit Migrationshintergrund von Jugendlichen mit höheren Abschlüssen verdrängt. Andererseits bekommen immer mehr Bewerber aus dem Hamburger Umland Ausbildungsplätze in Hamburg. So ist die Quote der aus Hamburg stammenden Berufsschülerinnen und –schüler an Hamburgs Berufsschulen seit dem Schuljahr 2000/2001 von 62,8 Prozent auf 58,3 Prozent gesunken.
Hamburger Betriebe bilden nicht genug aus
Obwohl Unternehmen Interesse daran haben müssten selbst auszubilden, verlassen sie sich zu oft auf die Ausbildungsaktivitäten anderer Betreibe. In einigen Branchen wächst deshalb der Facharbeitermangel stetig.
Zum einen hat der sehr heterogene Dienstleistungsbereich viele neue Sektoren ohne Ausbildungstradition. Zu anderen sinkt im gewerblich-technischen Bereich die Zahl der Ausbildungsplätze. Der Grund: Viele neu gegründete Firmen und viele kleine Betriebe schaffen es nicht, Ausbildung anzubieten. Gleichzeitig lagern die Großbetriebe personalintensive Bereiche aus, die damit als Ausbildungsorte wegfallen. Von 130.000 Mitgliedsbetrieben der Handelskammer sind ca. 60.000 im Handelsregister eingetragen. Nur 5.000 davon bilden aus. Selbst nach Einschätzung der Handelskammer hätten aber 9.000 – 10.000 Betriebe das Potential dazu.
Die Forderungen der GAL-Bürgerschaftsfraktion:
Ausbildungsanreize und Ausbildungsumlage
Nur mit einer Ausbildungsumlage kann eine politische Ausbildungsgarantie des Senats für alle Hamburger Schulabgängerinnen und –schulabgänger die berufliche Bildung der Hamburger Jugendlichen sichern. Denn eine gesetzliche Ausbildungsumlage sorgt für die notwendigen Mittel und schafft mehr Transparenz und Gerechtigkeit unter den ausbildenden und nicht ausbildenden Betrieben. Beteiligt werden sollten alle Betriebe ab 50 Beschäftigten, die sich nicht an Ausbildung beteiligen. Das wären in Hamburg ca. 2000 Betriebe.
Gleichzeitig müssen bürokratische Ausbildungshemmnisse abgebaut und positive Anreize gesetzt werden:
l Durch modularisierte Ausbildungsgänge können sich Betriebe an Ausbildung beteiligen, ohne für einen kompletten Ausbildungsgang die Verantwortung übernehmen zu müssen.
l Die flexiblere Anpassung von Berufsbildern und Ausbildungsinhalten an die Anforderungen der Wirtschaft und Verschlankung der Ausbildungs- und Prüfungsordnungen
l Neue Ausbildungsschwerpunkte fördern; insbesondere im Bereich Erneuerbare Energien
l Verbesserte Unterstützung und Beratung von Betrieben, die weniger Erfahrung mit Ausbildung haben, so z.B. von Migranten gegründete Firmen.
l Besondere Ausbildungskosten wie Prüfungsgebühren könnten in den Kammern auf alle Mitgliedsbetriebe umgelegt werden.
l Der öffentliche Dienst muss mehr ausbilden und Jugendliche mit Migrationshintergrund entsprechend ihrem Anteil an der Bevölkerung einstellen.
Herzstück Produktionsschule
Die GAL ist sich mit vielen Berufsbildungsforschern darin einig, dass das bislang unverbundene Nebeneinander der Maßnahmen zur Ausbildungsvorbereitung mit einer anschließenden Berufsausbildung durch mehr Flexibilisierung, Verzahnung und regionale Koordinierung aller Akteure und Berufsbildungseinrichtungen in Kooperation mit den Betrieben überwunden werden kann. Es kommt darauf an, die im Übergangssystem erworbenen Qualifikationen anerkennungsfähig zu machen und die Förderung nach dem dänischen Produktionsschulprinzip mit der Perspektive auf berufliche Abschlüsse und Beschäftigungsfähigkeit am Arbeitsmarkt auszurichten.
Die GAL fordert daher, dass Schulen nach dem Produktionsschulprinzip die Berufsvorbereitungsschule und teilqualifizierende Berufsfachschulen ersetzen. Die weiter entwickelte Produktionsschule bietet dann neben der Berufsausbildungsvorbereitung auch vollzeitschulische Bildungsgänge (nach Landesrecht) sowie kammerabschlussfähige Bildungsgänge an. Neue Formen zweijähriger Berufsfachschulen, die Teil der Bildungsgänge in der Produktionsschule sind, ermöglichen Zugänge auch ohne oder nur mit einem schwachen Hauptschulabschluss. Die in der Ausbildungsvorbereitung erworbenen Qualifikationen werden angerechnet und führen in der Berufsfachschule zu einer Ausbildung in kammerabschlussfähigen Berufen. Zielgruppenspezifisch werden auch praxisorientierte, zweijährige Berufe und Ausbildungsmodule mit am Arbeitsmarkt verwertbaren Ausbildungsabschlüssen angeboten, die entsprechend der individuellen Entwicklung zu vollwertigen Berufsabschlüssen in anerkannten Ausbildungsberufen aufgestockt werden können.