38 Prozent der Auszubildenden in den Hotels und Gastronomiebetrieben des Nordens erhalten keinen Ausgleich für geleistete Mehrarbeit: Bei 435.782 unbezahlten Überstunden pro Jahr steckten sich die Arbeitgeber 3,7 Millionen Euro in die Tasche, rechnet der DGB vor. Und es gibt weitere Ausbildungsmängel:
Der „Ausbildungsreport 2012“ für Schleswig-Holstein dokumentiert erneut gravierende Qualitätsmängel in den Hotels, Gaststätten und Restaurants des Landes. Seit 2010 hat sich in der Problembranche des Nordens zu wenig getan, so der DGB:
„Im Vergleich zu anderen Wirtschaftszweigen werden die Auszubildenden schlechter bezahlt, obwohl die Arbeitshetze im Hotel- und Gastgewerbe besonders groß ist. So erhalten 38 Prozent der Azubis gar keinen Ausgleich für geleistete Überstunden (Bundesschnitt für alle anderen Branchen: 16 %) – das sind 435.782 unbezahlte Überstunden pro Jahr. Bei einem Lohn von 8,50 Euro würden dafür 3,7 Millionen Euro auf der Rechnung stehen!
„Die Auszubildenden sind nicht die Fußabstreifer von Wirten und Hotel-Managern – sie verdienen deutlich mehr Wertschätzung, auch in Euro. Das Qualitätsproblem im Hotelgewerbe und in der Gastronomie wird den Fachkräftemangel verschärfen, und es erschwert auch die Tourismusoffensive im Norden. Die Kontrollen der Kammer und des Landes müssen deshalb ausgeweitet werden – Betriebe, die ihre Auszubildenden als billige Arbeitskräfte missbrauchen, sollte die Ausbildereignung automatisch entzogen werden. Schleswig-Holstein muss auch in der beruflichen Bildung ein Vorzeigeland werden und flächendeckend Gute Arbeit bieten“, sagte Uwe Polkaehn, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes Nord (DGB Nord).
Nach einer ersten Studie aus 2010, für die 2600 Auszubildende branchenübergreifend befragt worden waren, hat die DGB-Jugend Nord diesmal das Urteil von 674 Auszubildenden des Hotel- und Gastgewerbes für die empirische Untersuchung ausgewertet. Dabei wurde geprüft, ob die freiwillige Selbstverpflichtung von DeHoGa und IHK gewirkt hat und die versprochene Qualitätsverbesserung in der Ausbildung tatsächlich erfolgt ist.
Diese Qualitätsmessung ist auch im Interesse der Arbeitgeber: In den letzten Jahren war die Branche immerhin mit gleich drei Ausbildungsberufen – Koch, Restaurantfachmann/-fachfrau und Hotelfachmann/-fachfrau – regelmäßig unter den TOP 6 der unbesetzten Berufsausbildungsstellen gelandet. Und: Fast die Hälfte aller Ausbildungsverträge wird vorzeitig gelöst!
Einige Ergebnisse im Einzelnen für den Bereich Hotel- und Gaststättenberufe (HoGa) in Schleswig-Holstein
14,1 Prozent der befragten Auszubildenden gibt an, ihre Ausbilder/-innen seien „selten“ bis „nie“ präsent (Bundesschnitt für alle anderen Branchen: 9,9 %).Nur 57 Prozent bewerten die fachliche Ausbildung im Betrieb als „gut“ und „sehr gut“, 18 Prozent vergeben die Noten 4 oder 5.
Bei jedem vierten Azubi liegt kein betrieblicher Ausbildungsplan vor; 13 Prozent müssen häufig bzw. immer ausbildungsfremde Tätigkeiten machen.
63,4 Prozent der Azubis gaben an, mehr als 40 Stunden pro Woche zu arbeiten. Zwei Drittel leisten regelmäßig Überstunden, in anderen Branchen ist es nur ein Drittel. Die Überstunden-Quote verringerte sich gegenüber 2010 um knapp 4 Prozent.
Fast 60 Prozent der Azubis mit Überstunden leisten mehr als 5 Stunden Mehrarbeit pro Woche – 12 Prozent der mehrarbeitleistenden Auszubildenden sogar mehr als 15 Überstunden wöchentlich. Im Vergleich zu 2010 sind aber die schlimmsten Auswüchse beseitigt worden.
38 Prozent bekommen keinen Ausgleich für ihre Überstunden (2010: 48 Prozent). 44 Prozent der Azubis erhalten Freizeitausgleich, 9 Prozent Bezahlung.
Rechtswidrig: 52 Prozent der minderjährigen Azubis leisten regelmäßig mehr als 40 Wochenstunden – das Jugendarbeitsschutzgesetz erlaubt nur maximal 40 Stunden pro Woche. 55 Prozent der Minderjährigen leisten regelmäßig Überstunden.
30 Prozent der Azubis wurde die Teilnahme am Berufsschulunterricht schon mal verweigert.
Fast jeder Vierte (23 Prozent) befragte Azubi musste schon Zeiten des Berufsschulunterrichts im Betrieb nacharbeiten. Bei den übrigen Berufen im Bund war dies nur rund jeder Siebte (15 Prozent).
Im Vergleich zu den anderen Branchen wird unterdurchschnittlich bezahlt. In Schleswig-Holstein zahlen die Arbeitgeber ihren Azubis die zweitschlechtesten Vergütungen in den westlichen Bundesländern. Nur 2 Prozent erhalten mehr als 750 Euro – in anderen Branchen sind es 10mal so viele Azubis mit dieser Vergütung.
Arbeitsdruck: Zwei Drittel der Azubis haben manchmal, häufig oder immer Schwierigkeiten sich in ihrer Freizeit zu erholen (Bundesschnitt für die anderen Branchen: 50 Prozent).
Zu wenige werden trotz angeblichen Fachkräftemangel übernommen: Im 3. Ausbildungsjahr wissen nur 34 Prozent der Azubis, dass sie übernommen werden.
Die Chance, 6 Jahre nach Berufsabschluss vollwertig im HoGa-Gewerbe beschäftigt zu sein, liegt nur bei ca. 45 Prozent. Rund 20 Prozent sind arbeitslos, 34 Prozent prekär beschäftigt!
Datenbasis: 674 landesweit befragte Auszubildende aus allen drei Ausbildungsjahren aus den Berufen Hotelfachmann/-frau, Koch/Köchin, Restaurantfachmann/-frau, Institut für Sozialpädagogische Forschung Mainz e.V., isoplan-Marktforschung GbR Saarbrücken / Berlin
Forderungen
Die Tarifvertragsparteien sind zudem gefordert, die Auszubildendenvergütung und die Urlaubsansprüche deutlich zu erhöhen und an die Bedingungen in anderen Branchen anzugleichen. Letztendlich konkurrieren die Hotel- und Gaststättenbetriebe auf dem Ausbildungsmarkt um dieselben Jugendlichen.
Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband DEHOGA e. V. ist dringend gefordert, zusammen mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) Lösungen zu entwickeln, die eine gute Ausbildung junger Menschen in der Branche sicherstellt und damit Auszubildende nicht länger in gesetzeswidrigen Zuständen belässt. Sollten hier keine Lösungswege erarbeitet werden, so ist auch das Land verstärkt gefordert.
Die Industrie- und Handelskammern müssen die Qualität der Ausbildung viel stärker überwachen und ggf. die Ausbildereignung entziehen. Ausbildungsbetrieben mit Lösungsquoten über 30 Prozent im Dreijahresmittel, welche gefährdete Auszubildende nicht für die ausbildungsbegleitenden Hilfen (abH) der Arbeitsagentur anmelden und in der Arbeitszeit freistellen, muss die Ausbildereignung automatisch entzogen werden.
Eine „Soko Jugendarbeitschutz“ muss für die Auszubildenden in Schleswig-Holstein den Arbeitsschutz sowie die Einhaltung der gesetzlichen Mindestvorschriften, insbesondere zu den Arbeitszeiten und dem Ausgleich der Mehrarbeit kontrollieren.
Minderjährige Auszubildende unterliegen zu Recht besonderen Schutzvorschriften nach dem Jugendarbeitsschutzgesetz. Das Hotel- und Gastgewerbe muss unter Risiko- und Prioritätsaspekten in einer höheren Gefahrenklasse als bisher eingestuft werden.
Der Takt der Besichtigungen und Kontrollen im Hotel- und Gastgewerbe muss dichter werden. Darüber hinaus hat das Land den Landesausschuss für Jugendarbeitsschutz baldmöglichst einzuberufen, um weitere Schritte mit allen Beteiligten zu beraten.“
Uwe Polkaehn, Vorsitzender des DGB Nord: „Die Ergebnisse des Reports sind alarmierend. Offenbar ist der Ausbeuterei in Hotels und Gaststätten mit Appellen und freiwilligen Selbstverpflichtungen nicht beizukommen. Es bedarf einer neuen Ordnung am Arbeitsmarkt, welche die Einkommens- und Lebensperspektiven junger Menschen wirklich sicherstellt. Deshalb ist neben den Verbänden und Kammern auch die Landesregierung gefordert, für Gute Arbeit und Ausbildung in Schleswig-Holstein zu sorgen.“
Heiko Gröpler, DGB-Jugend Nord: „Die Studie macht klar: Für die insgesamt desaströsen Ausbildungsbedingungen sind nicht nur einzelne Ausbildungsbetriebe in der Branche verantwortlich, sondern hier geht es um eine ganze Herde schwarzer Schafe. Leider sind die Chancen für eine bessere Ausbildung durch konsequentes „Wegsehen“ von DEHOGA, Kammern und Politik verschenkt worden. Jugendliche, welche sich für eine Ausbildung in diesem Bereich interessieren, sollten sich sehr genau informieren, ob der gewählte Ausbildungsbetrieb eine gute Ausbildung garantiert und wie die Perspektiven nach der Ausbildung in diesem Betrieb sind.“