Das Bündnis „Entschlossen OFFEN!“ für Offene Arbeit mit Kindern, Jugendlichen und Familien rät, die Verschiebung der flächendeckenden Einführung von Horten an Primarschulen zu nutzen, um das ganze Konzept zu überdenken. Das Bündnis plädiert dafür, eine Mischung aus offenen Angeboten (wie zum Beispiel Pädagogischen Mittagstischen) und Hortangeboten an Schulen zu schaffen.
Mit einem Aufruf für die PäMis wendet sich das Bündnis an die Öffentlichkeit – hier der Text:
Pädagogische Mittagstische – unverzichtbar für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen
„Pädagogische Mittagstische“ als außerschulische Betreuungseinrichtungen wurden in Hamburg Anfang der 90er Jahre – jeweils etwa zu gleichen Teilen – in Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und in Schulen eingerichtet. Hintergrund dieser Entwicklung waren einerseits fehlende Betreuungsplätze im Nachmittagsbereich, andererseits die Erwartung, dass ein kleinräumiges, lebensweltliches und auf die Bedürfnisse der Altersgruppen zugeschnittenes Konzept von älteren Kindern besser angenommen würde als das klassische Hortangebot. Der Hamburger Senat sah diese Erwartung zwei Jahre nach Einführung bestätigt: „Das Angebot der ‚Pädagogischen Mittagstische’ hat sich (…) als wichtiges, bedarfsgerechtes und attraktives Segment im Rahmen der Kindertagesbetreuung erwiesen. Die anhaltende Nachfrage bestätigt diese Einschätzung“ (Drucksache 14/2857).
Zwanzig Jahre später gibt es neue Konzepte: mit der Hamburger Schulstrukturreform soll in jeder der neuen Primarschulen eine allgemeine, einheitliche, kostenlose und flächendeckende Hortbetreuung angeboten werden. Im Grundsatz ist das keine schlechte Idee. Nur droht der Pädagogische Mittagstisch dieser angeordneten Vereinheitlichung künftiger Schulkinderbetreuung zum Opfer zu fallen.
Wir – VertreterInnen der Pädagogischen Mittagstische und der kooperierenden Jugendhilfeträger – warnen dringend vor dem Ende eines seit 20 Jahren erfolgreichen dezentralen pädagogischen Angebots. Wir plädieren für ein offenes Bildungs- und Betreuungskonzept, das auf der Auswertung bestehender und bewährter sozialräumlicher Strukturen, auf Angebotsvielfalt und auf den Wünschen und Vorstellungen der Kinder und ihrer Eltern basiert.
Pädagogische Mittagstische in enger Zusammenarbeit mit Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind etwas Besonderes
Viele der Pädagogischen Mittagstische liegen in sozialen Brennpunkten. Zusammen mit den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit integrieren und unterstützen unsere Pädagogischen Mittagstische gerade auch die Kinder, die anderweitig nur schwer erreichbar sind. Sie bieten ihnen vertrauensvolle und verlässliche Beziehungen und ermöglichen es den Kindern so, sich freiwillig auf ein zu ihnen passendes verbindliches Bildungs- und Betreuungsangebot einzulassen.
Die Kinder haben zu den MitarbeiterInnen der Einrichtungen eine oft über Jahre gewachsene Bindung. Es besteht ein Vertrauensverhältnis, das es den Kindern erlaubt, Anliegen, Unsicherheiten, Fragen einzubringen und es ermöglicht, gemeinsam nach Lösungen zu suchen. Das betrifft oft auch Schwierigkeiten in der Schule. Auf diesen besonderen Beziehungen und auf den Traditionen der Kinder- und Jugendarbeit baut die Arbeit unserer Pädagogischen Mittagstische auf und es können konkret auf die Belange der Kinder abgestimmte und ganzheitlich wirksame Betreuungs- und Interventionsformen umgesetzt werden.
Gezielte Förderung
In den Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit werden Angebote gemacht, die die kindliche Neugier herausfordern und die an den Interessen der Kinder ansetzen. Das ermöglicht ihnen vielfältige und lebenspraktische Zugänge zu Bildung. Viele Kinder erfahren hier, unter selbstbestimmten und leistungsdruckfreien Bedingungen, erst die Möglichkeit, ihre (Lern-)Stärken herauszufinden und diese zu entfalten. Die pädagogischen MitarbeiterInnen greifen die natürliche Lernmotivation auf und fördern sie den Interessen und Möglichkeiten des Kindes entsprechend.
Angebote für Eltern
Die Verzahnung von Offener Kinder- und Jugendarbeit und Pädagogischen Mittagstischen fördert den Zugang zu den Familien der Kinder. Die Angebote für Familien in der Offenen Kinder- und Jugendarbeit sind niedrigschwellig zugänglich und vielfältig (z.B. Treffpunkte für Eltern, Elternsprechstunden, niedrigschwellige Beratungsangebote, Hilfe bei Behördenangelegenheiten, Freizeitangebote für Geschwisterkinder etc.). In diesem Rahmen können auch die Eltern ermutigt werden, sich konkret mit der Bildung ihrer Kinder und mit dem schulischen System auseinander zu setzen.
Sozialräumliche Bildungslandschaften brauchen Ideen, Fantasie und Vielfalt
Ziel muss es sein, unter Beteiligung aller, eine freundliche und vielseitige „Landschaft“ zu gestalten, die Bildung für alle dort lebenden Menschen und Gruppen verfügbar und annehmbar macht. Eine offene und anregende „Bildungs-Landschaft“ ist mehr als nur ein einziges, ge- und verordnetes zentrales Lern-Haus, in dem sich die Kinder zukünftig von morgens bis abends aufhalten sollen. Das Schaffen einer „Bildungslandschaft“ ist keine bürokratische Haus-, sondern vielmehr eine von verschiedenen Akteuren gemeinsam getragene offene Feld-Aufgabe. Dazu sind die Pädagogischen Mittagstische wie auch die Einrichtungen der Kinder- und Jugendarbeit ein erprobter und bewährter Baustein von großem Wert.
Horizonte erweitern
In Einrichtungen der Offenen Kinder- und Jugendarbeit und in deren Pädagogischen Mittagstischen treffen sich täglich Kinder aus verschiedenen Milieus, Schulen und Schulformen. Hier kommen Haupt- und Förderschüler auch mit Kindern aus klassischen Bildungsschichten zusammen. Als gleichwertige Mitglieder einer starken Gemeinschaft, die sich gegenseitig akzeptieren, helfen und jeweils ihre besonderen Stärken einbringen. So werden schulübergreifende und schulunabhängige Freundschaften möglich. Das hilft Vorurteile, Stigmatisierung und soziale Ausgrenzung abzubauen.
Pädagogische Mittagstische und Offene Kinder- und Jugendarbeit planen und realisieren gemeinsam Freizeitangebote und Reisen. So werden Zusammenhörigkeit und gesellschaftliche Teilhabe gefördert. Kinder erhalten Zugänge zu neuen Lebens- und Erfahrungsräumen.
Übergänge begleiten und Brüche vermeiden
Der künftige Schulhort der Primarschule endet genau zu einem Zeitpunkt, an dem Jugendliche in besonderem Maße Unterstützung brauchen und danach suchen: mit dem Ende der Primarschule und dem Übergang in weiterführende Schulen. Zu diesem Zeitpunkt werden für die persönliche Zukunft entscheidende Weichen gestellt; wenn dieser Übergang misslingt, sind die Folgen später auch mit großem Aufwand kaum mehr auszugleichen.
Die Pädagogischen Mittagstische wenden sich traditionell an SchülerInnen bis zum vierzehnten Lebensjahr, begleiten sie beim Übergang in die weiterführende Schule und beziehen die verschiedenen Themen zur beruflichen Bildung mit ein. In der Verbindung der pädagogischen Mittagstische mit Angeboten der Offenen Kinder- und Jugendarbeit kann die Arbeit mit Jugendlichen ohne Brüche über das 14. Lebensjahr hinaus weitergeführt werden, dort, wo sie sich zu Hause fühlen und aufgewachsen sind.
Eine Abschaffung der Pädagogischen Mittagstische zugunsten des neuen Hortmodells würde für Kinder zwischen elf und vierzehn Jahren nach der Primarschule eine Versorgungs- und Angebotslücke schaffen, für die es keinerlei Ersatz gäbe. Die jetzt angemeldeten Kinder aus dieser Altersgruppe müssten im Fall einer Schließung der Pädagogischen Mittagstische direkt auf die Straße entlassen werden. Das kann nicht ernsthaft Plan und Ziel der neuen Hamburger Jugend- und Bildungspolitik sein.
Statt einer Auflösung der Pädagogischen Mittagstische plädieren wir für:
* den Erhalt der finanziellen Ressourcen der Pädagogischen Mittagstische für die Offene Kinder- und Jugendarbeit, um weiterhin für die genannten Zielgruppen eine verbindliche Unterstützung, Versorgung und Betreuung gewährleisen zu können
* den Erhalt der Vielfalt und der Wahlmöglichkeit in den Betreuungsformen
* die Berücksichtigung der gewachsenen und bewährten Strukturen und Erfahrungen im Sozialraum und in der pädagogischen Einrichtung.
Hamburg, den 01. Dezember 2009
ErstunterzeichnerInnen:
Initiative Aktivspielplatz Tegelsbarg e.V.; Streetlife e.V., Straßensozialarbeit Rahlstedt; Streetlife e.V., Schlupfloch-Gästewohnungen für obdachlose Jugendliche in Rahlstedt; Aktive Nachbarschaft Jenfeld e.V. („Jenfelder Kaffeekanne“); DRK-Zentrum Osdorfer Born; Jugendtreff des ASP Altona Nord e.V.; Prof. Dr. Timm Kunstreich;, Aktivspielpaltz Altona Nord e.V.; Verband Kinder- und Jugendarbeit Hamburg e.V.; ASP Wegenkamp e.V.; Siggi Friess, ver.di Hamburg; Kinderglück e.V.; ISUF Initiative Spielplätze u. Freizeit e.V.; Abenteuerspielplatz Eidelstedt-Nord e.V.; Elternkreis für Schul- Freizeit- und Berufsförderung e.V., c/o SPH Außenmühle; Kinder- und Jugendtagesstätte Silbersack; Servicestelle der BAG-Streetwork/Mobile Jugendarbeit; Kids-Team Hamburg, Träger: basis & woge e.V.; Verein Nöldekestraße e.V.; Kinder- und Jugendtagesstätte Silbersack; Jugendclub Weissenhof, Aktivspielplatz Farmsen e.V.; Peter Birke vom Department für Wirtschaft und Politik, Universität Hamburg; Die Flottneser e.V.; Elbe-Aktiv- Spielplatz; Förderverein Haus der Jugend Bramfeld e.V.;Bauspielplatz Berne e.V.; Andrea Töbken; Jene Halabi, MoBiLe; SCHORSCH, Integrative offene Kinder-, Jugend- u. Familienarbeit St. Georg; Jugendclub Berner Au e.V.; Jugendhaus St. Pauli;Spielhaus Langenfort; Spielhaus Bornheide; Jugendverein Dringsheide; SpielTiger e.V.; MOBILE Spielaktion; KiFaZ Schnelsen; HdJ Neuwiedenthal; Verein Jugendarbeit in Rahlstedt e.V.; Bauspielplatz Bonnepark; GWA St. Pauli/Kölibri; Startloch e.V;. Karin Frenzel, Verein für Kinder, -Jugend- und Elternarbeit auf dem Dulsberg; Jörg Fischlin, PäMi Lenzsiedlung; A. Kubasik, AG §78 Harburg-Kerngebiet; Jugendarbeit Horn e.V.; LAG Mädchenpolitik Hamburg e.V.