Nach ihren Besuchen bei Hamburger Gymnasien fordert die Vorsitzende der GAL-Bürgerschaftsfraktion Christa Goetsch, die Gymnasien nicht von der Schulentwicklung auszuschließen. „In vielen Gymnasien hat das Umdenken bereits begonnen: Weg von Auslese und Einheitsunterricht, hin zur individuellen Förderung. Nur werden sie von der Schulbehörde dabei allein gelassen“, sagt Goetsch.
Hier das Fazit ihrer Besichtigungstour:
Sie kritisiert, dass die CDU-Politik, die Gymnasien stark belastet, sie aber durch die Entscheidung, eine zusätzliche neue Stadtteilschule einzuführen, vom Reformprozess weitgehend ausschließt. „Große Klassen, schlechte Ausstattung, stümperhaft gemachte Vergleichsarbeiten und die überhastet eingeführte Schulzeitverkürzung: Der Senat lässt die Gymnasien links liegen“, sagt Goetsch.
In den vergangenen zwei Monaten hat Christa Goetsch insgesamt sieben Hamburger Gymnasien besucht – in jedem Bezirk eines. Sie hat im Unterricht hospitiert, mit Schülerinnen und Schülern, Pädagogen, Eltern und Personalräten diskutiert. Parallel dazu hat sie mit einer Reihe weiterer Schulleiterinnen und Schulleiter gesprochen, um ihre Eindrücke zu vertiefen.
Danach steht für Christa Goetsch fest: “In den Köpfen ist vieles in Bewegung geraten. In den Gymnasien findet vieles statt – nicht wegen der CDU-Politik, sondern trotz dieser!“.
Bestandsaufnahme: Die größten Baustellen der Gymnasien
„Experimentierfeld G 8“
Was die Leiterinnen und Leiter der Gymnasien an die Senatorin geschrieben haben, lässt sich in jedem Gymnasium besichtigen: „… Die Einführung des achtjährigen Gymnasiums und der Ganztagesschule mit Experimentalcharakter … zum Teil mit fehlenden Räumlichkeiten und Betriebsmitteln.“ Für viele Schulleitungen ist die Umsetzung des G 8 dabei symptomatisch für die vielen Veränderungen der letzten Jahre, die immer zu schnell, zu schlecht konzipiert und ohne Ressourcen in die Schulen gedrückt wurden und dort nicht mehr bewältigt werden.
Große Klassen
Besonders auffällig sind die großen Klassen in der Beobachtungsstufe. Im Jahr 2006 waren in 50 Prozent der Gymnasien mit einer Beobachtungsstufe 29 oder mehr Kinder in den 5. Klassen.
Sprachförderung
Einige Gymnasien haben inzwischen eigene Diagnoseinstrumente entwickelt, um überhaupt den Sprachförderbedarf in den 5. Klassen genauer feststellen zu können und eine entsprechende Förderung zu organisieren. Die Ressourcen hierfür sind zu knapp bemessen – zum Teil wurde sogar von aktuellen Kürzungen an einzelnen Schulen berichtet.
Vergleichsarbeiten
Damit der CDU-Senat Erfolgsmeldungen verbreiten kann, wurde das Instrument Vergleichsarbeiten viel zu schnell und ohne ausreichende Konzeption an die Schulen gebracht. Das zeigt nicht nur der Pfusch bei der Ausgestaltung der Arbeiten selbst. Was nützt es, wenn man die Schulen zwingt, solche Arbeiten zu schreiben, das Instrument dort aber gar nicht verankert ist und das Lehrpersonal es für die praktische Arbeit gar nicht nutzen kann?
Lehrerarbeitszeitverordnung
Es ist heute ganz und gar unmöglich, eine Hamburger Schule zu besuchen, ohne dort eine harsche Kritik zu den Auswirkungen des Lehrerarbeitszeitmodells zu hören – und zwar vom Schulpersonalrat bis hin zu den Schulleitungen. Das gilt auch für die Gymnasien. Durch die Verdichtung der Arbeit für die Lehrerinnen und Lehrern ist die Belastung gestiegen, gleichzeitig sind die Spielräume für Veränderungen gesunken: Die Schulbehörde hat zudem vier Jahre nach Einführung des Arbeitszeitmodells keine brauchbare Bilanz gezogen.
Schulstress
Wegen der Verdichtung des Stoffs und des Anstiegs der Wochenstunden ohne eine entsprechende Rhythmisierung des Schultages (Lernzeiten – Bewegungszeiten – Entspannungszeiten) oder ein Ganztagskonzept machen sich viele Eltern, Lehrerinnen und Lehrer große Sorgen über den erhöhten Schulstress, dem ihre Kinder ausgesetzt sind.
Neue Wege der Gymnasien
Viele Gymnasien sind dabei, ein neues pädagogisches Ethos zu entwickeln. Sie verstehen sich als Bildungsinstitution, die ihre Schülerschaft fördern will und vollziehen damit eine Abkehr von der reinen Vermittlung von Fachwissen. Dies geht mit einem ganzheitlichen Ansatz einher, der sich an der Persönlichkeit der Kinder und Jugendlichen orientiert.
Viele Gymnasien haben sich auf die Realität einer sehr gemischten Schülerschaft eingestellt. Sie sind dabei stolz auf ihre heterogene Schülerschaft und wollen nicht länger die Schule sein, die sortiert und abschult. Die Vorstellung der CDU, dass im Gymnasium, der zweiten Säule im geplanten Schulsystem, nur die Starken und Schnellen durchkommen, findet wenig Zustimmung.
Ein wichtiges Beispiel dafür ist die engagierte Entwicklung von Diagnoseinstrumenten zur Sprachförderung. So sah das Sprachförderkonzept des Senats ursprünglich keinerlei Fördernotwendigkeit ab Klasse 5 – schon gar nicht in den Gymnasien. Doch die Realität ist eine andere und die Schulen sind dabei, diese Herausforderungen anzunehmen.
Die zweite interessante Erfahrung waren neue Wege im Unterricht. Im Mittelpunkt stehen dabei die Entwicklung von Methodencurricula und die systematische Fortbildung des Kollegiums. In der Beobachtungsstufe werden Klassenlehrer-Teams gebildet. Viele gehen weg vom 45-Minuten-Takt und arbeiten stattdessen in Doppelstunden. Einige Gymnasien sammeln Erfahrungen mit Formen des offenen Unterrichts und im Einsatz von Methoden der individuellen Förderung wie z.B. das Stationenlernen.
Was fehlt
Viele Gymnasien fühlen sich auf dem Weg der Schulentwicklung wenig unterstützt. Aus der Schulbehörde kommen immer neue Veränderungen, Anforderungen und Aufgaben – immer viel zu schnell und ohne ausreichende Begleitung. Es fehlen die Mittel für die notwendige Bildung kleinerer Klassen, die individuelle Förderung in heterogenen Lerngruppen aber auch für die Sprachförderung.
Darüber hinaus mahnen die Gymnasien für mehr eigenen Gestaltungsspielraum die Entwicklung einer Kontigentstundentafel an. Unverständlich sei, dass diese von der Schulbehörde bisher nur für die Hauptschulen erarbeitet wurde – einer Schulform, die es bald nicht mehr geben soll.
Weiterer Punkt der Kritik sind die ständigen Änderungen bei der Planung der Gymnasialen Oberstufe. Mehrere Schulen sagten, sie würden nun gar nichts mehr planen, wenn die Schulbehörde nicht endlich den Rahmen klar abstecken würde. Hinzu kommen Befürchtungen, dass die Kurse noch größer werden. Nicht nur in den Basiskompetenzfächern – die z.T. wieder im Klassenverband unterricht werden, in denen dann 25 und mehr Schülerinnen und Schüler sitzen – sondern auch in den noch bestehenden Kursen fürchtet man, die Zahl von 22 kaum halten zu können.
Zudem wurde deutlich, dass bisher keine echten Profile geplant sind. Beispielhaft für ein sinnvolles Profil wäre die Verbindung von Physik und Philosophie, deren Kombination vertiefendes und fächerübergreifendes Arbeiten geradezu herausfordern würde.
Darüber hinaus sind die organisatorisch-inhaltlichen Probleme der zu kleinen Oberstufen nicht gelöst. Auch in Zukunft müssen die Schülerinnen und Schüler zwischen den Profilen der unterschiedlichen gymnasialen Oberstufen pendeln.
Forderungen:
Gymnasien in die Schulentwicklung einschließen: Die Gymnasien müssen in die zukünftige Schulentwicklung einbezogen werden! Denn wer die Gymnasien bei der Schulentwicklung ausschließt, verkennt, dass sie schon heute eine seht heterogene Schülerschaft haben.
Statt in Zukunft die Schülerinnen und Schüler nach der 6. Klasse erneut zu sortieren und abzuschulen – wie jetzt mit dem Zwei-Säulen-Modell geplant – wäre es sinnvoller, die Gymnasien dabei zu unterstützen, eine neue Pädagogik und Unterrichtsformen zu entwickeln, damit alle individuell gefördert und gefordert werden können (z.B. die Kontingentstundentafel, Binnendifferenzierung u.a.).
Die Gymnasien als fördernde Einrichtungen unterstützen: Gymnasien, die ihre Schülerinnen und Schüler individuell fördern und nicht mehr aussortieren, sollten zukünftig – ebenso wie andere integriert arbeitende Schulen – entsprechende Fördermittel erhalten (z.B. Sozialpädagogen, Sprachförderung u.a.)
Kleinere Klassen: Auch die Gymnasien brauchen mindestens in der Beobachtungsstufe kleinere Klassen. Schulformübergreifend muss für alle Klassen in der Beobachtungsstufe gelten: Runter mit den Frequenzen.
Ausbau der Verwaltungskompetenz: Statt einiger Stunden für die Schulleitung brauchen auch Gymnasien zusätzliche Verwaltungskompetenz und -ressourcen.
Lehrerarbeitszeit-Verordung überarbeiten: Die praktische Umsetzung der Lehrerarbeitszeitverordnung muss endlich bilanziert und kritisch überarbeitet werden.