Die SPD-Bürgerschaftsfraktion hat eine 10-Punkte-Initiative für die Weiterentwicklung des Senatskonzeptes gegen Jugendgewalt vorgelegt. Die SPD-Vorschläge sollen in Bürgerschaft und Innenausschuss beraten und beschlossen werden.
„Wenn 70 Prozent der jungen Menschen die Sicherheit an Hamburgs Jugendgewalt-Brennpunkt Nummer 1 für unzureichend halten, zeigt das den Handlungsbedarf. Niemand darf sich beim Kampf gegen Jugendgewalt zurücklehnen“, sagte SPD-Innenexperte Andreas Dressel. „Wir brauchen insbesondere eine bessere Zusammenarbeit der staatlichen Stellen, mehr Tempo bei Jugendgerichtsverfahren und mehr Einsatz im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch. Denn der spielt bei Gewalttaten eine immer größere Rolle.“ Die Initiative ist Ergebnis einer Zusammenarbeit der SPD-Fachleute in Innen-, Jugend-, Rechts- und Schulpolitik.
SPD-Jugendexpertin Carola Veit sprach sich für eine verstärkte Gewaltprävention schon bei Kindern aus. „Die vorsorgende Arbeit muss verbindlicher werden, und sie muss wesentlich mehr Kitas umfassen als bisher“, sagte sie. Insbesondere in den so genannten Problemvierteln könne die Gewaltprävention nur gelingen, wenn die Gruppen klein genug sind. „Gewaltprävention ist in erheblichem Maße individuelle Arbeit. Die kostet Geld. Wer hier aber spart, spart am falschen Ende“, sagte Veit. Altersgerechte Präventionsangebote müssten sich „wie ein roter Faden durch die Schullaufbahn ziehen“.
Als Eckpunkte der Sozialdemokraten nannten Dressel und Veit:
1. Gewaltpräventionsarbeit beginnend schon in der Kita stärken – insbesondere durch kleinere Kita-Gruppen in Problemgebieten.
2. Verbindliche Anti-Gewalt-Trainings auch bei Gewaltersttätern – nicht erst im Intensivtäterbereich
3. Fallkonferenzen verbindlich – nicht nur bei Intensivtätern, sondern auch bei so genannten Schwellentätern, die in eine kriminelle Karriere abzurutschen drohen
4. Verbindliche Sicherheitskonzepte zur Gewaltvermeidung bei gefährdeten Szene-Locations im Rahmen der Gewerbe- und Gaststättenaufsicht einfordern – z. B. mit einheitlicher Hausverbotsregelung („Fliegst Du in einer Location raus, kommst Du nirgends mehr rein“)
5. Entwaffnungsstrategie für Hamburg – mit zusätzlichen Waffenverbotszonen und begleitender Öffentlichkeitskampagne
6. Den Grundsatz „Strafe muss der Tat auf dem Fuße folgen“ endlich überall in die Tat umzusetzen: Durch verbindliche Verfahrensleitlinien muss sichergestellt werden, dass das vereinfachte Jugendverfahren nach §§ 76 ff. JGG bzw. das beschleunigte Verfahren nach §§ 417 ff. StPO wesentlich intensiver angewandt wird. Die Erwartung für sämtliche Verfahrensarten ist, dass ermittelte Tatverdächtige in aller Regel binnen einen Monats angeklagt und gegebenenfalls verurteilt werden. Die Sanktionsform der gemeinnützigen Arbeit muss gestärkt werden – und auch schnell vollstreckbar sein.
7. Pilotversuch für ein „Haus des Jugendrechts“ mit allen Institutionen unter einem Dach starten. Besonders geeignet ist hier der Bezirk Bergedorf.
8. Glasflaschenverbot für den Kiez reicht nicht – auch der Flascheninhalt ist ein Problem: Deshalb klare Grenzen gegenüber exzessivem Alkoholkonsum, der die Gewaltspirale beschleunigt – neben mehr Prävention und Öffentlichkeitsarbeit, einer stärkeren Durchsetzung des Jugendschutzes auch Prüfung weiterer gesetzlicher Möglichkeiten. Es ist zu prüfen, ob die Bezirke nach dem Wegerecht die Möglichkeit erhalten sollten, an Alkohol- und Gewaltbrennpunkte zeitlich und räumlich eng begrenzte und verbindlich mit Streetworkern zu flankierende Alkoholverbote auszusprechen. Auch die aktuellen Erfahrungen aus Baden-Württemberg sind auszuwerten – dort wird es in Kürze ein nächtliches Alkoholverkaufsverbot im Einzelhandel geben.
9. Nach dem Vorbild der Berliner „Landeskommission gegen Gewalt“ sollte eine Hamburger Landeskommission gegen Gewalt ins Leben gerufen werden. Diese soll alle Aktivitäten in der Stadt bündeln und koordinieren. Auch soll sie die Akteure aus den staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen miteinander ins Gespräch bringen und vernetzen.
10. Fünf Jahre Sonderauswertung der Kriminalstatistik im Bereich Jugendgewalt – mit zusätzlicher Erhebung von Sozial- und Herkunftsdaten (Bildungsstand, Familiensituation usw.) sowie dem Migrationshintergrund. Hieraus können verbindliche weitere Präventionsstrategien entwickelt werden.
Jugendgewalt in Hamburg : Zahlen zu ….
* Taten und Tätern: Zwar hat die Zahl der unter 21-jährigen Täter von Rohheitsdelikten im Jahr 2008 gegenüber den Vorjahren leicht abgenommen und liegt nun wieder auf dem Niveau von 2006. Schaut man sich die einzelnen Zahlen an, ergibt sich ein differenziertes Bild: Die Zahl der im Rahmen von Rohheitsdelikten tatverdächtigen Kinder (unter 14 Jahren) ist im Jahr 2008 um 7,4 % angestiegen (auf 1002 Tatverdächtige). Die Zahl der im Rahmen von Rohheitsdelikten tatverdächtigen Heranwachsenden (18 bis 21 Jahre) ist 2008 mit 2259 Tatverdächtigen nahezu konstant geblieben. Betracht man – noch konkreter – die Zahlen zur schweren Straßengewalt (gefährliche und schwere Körperverletzung auf Straßen, Wegen oder Plätzen), die für das Sicherheitsempfinden besonders relevant ist, ergeben sich bei Kindern und Heranwachsenden auch in 2008 Steigerungen gegenüber dem Vorjahr, lediglich bei den 14- bis 17jährigen, ergibt sich ein Rückgang. Das alles zeigt: Eine generelle Trendwende bei der Jugendgewalt ist trotz aller Bemühungen nicht erkennbar.
* zum Eskalationsfaktor Alkohol: Der Konsum von Alkohol spielt bei der Begehung von Gewaltdelikten – insbesondere durch junge Menschen – eine immer größere Rolle. Während in den Jahren 2002 und 2003 hamburgweit knapp 25 Prozent aller Gewaltdelikte unter Alkoholeinfluss verübt wurden, ist es mittlerweile jedes dritte Gewaltdelikt. Bei den Delikten der Straßengewalt sind es sogar 40 Prozent und damit fast die Hälfte. Im von der Polizei selbst so genannten „Gefahrengebiet St. Pauli“ gibt es noch häufiger Anhaltspunkte, dass Tatverdächtige von Körperverletzungs- und Gewaltdelikten alkoholisiert waren – hier liegt der Anteil bei 42,1 %. Insgesamt hat sich die Zahl der alkoholisierten Tatverdächtigen bei Körperverletzungsdelikten von 2002 bis 2008 fast verdoppelt – von 3082 auf 6039!
* zu Sanktionen, die auf sich warten lassen: Die Möglichkeiten, Jugendstrafverfahren zu beschleunigen, werden immer noch nicht hinreichend genutzt – nicht zuletzt das schleppende Anlaufen des neuen Justizbehörden-Projekts PriJus untermauert das: So werden die beschleunigten und vereinfachten Jugendverfahren nach dem Jugendgerichtsgesetz immer weniger genutzt. Der Anteil der beschleunigten Jugendverfahren ging von 17% (2007) auf 11,5% (2008) zurück. Der Anteil der vereinfachten Jugendverfahren, die ebenfalls einen beschleunigenden Effekt haben, sank im gleichen Zeitraum von 12,3 % auf 8%. Einziger Lichtblick: Während die Dauer der Verfahren bei den Jugendgerichten in etwa konstant blieb, arbeitet die Staatsanwaltschaft schneller. Sie braucht nur noch rund 28 Tage bis zur Erledigung der Sache – danach kommt allerdings noch das Gerichtsverfahren.
Hintergrund:
Anfang 2008 ist das Senatskonzept gegen Jugendgewalt von der Bürgerschaft (gegen die Stimmen der GAL-Fraktion) beschlossen worden (Drs. 18/7296, 18/7692). Schon vorher hatte die SPD-Bürgerschaftsfraktion ein Maßnahmenbündel zur Bekämpfung der Jugendgewaltkriminalität vorgelegt (Drs. 18/5906, 18/7800). Im schwarz-grünen Koalitionsvertrag taucht das Stichwort „Jugendgewalt“ nicht auf – obwohl der Handlungsdruck keineswegs abgenommen hat. Die Bilanz des Senatskonzeptes ist durchwachsen. Vieles geht zwar in die richtige Richtung; wesentliche Fortschritte im Kampf gegen die Jugendgewalt hat das Konzept aber bisher nicht erreicht. Gerade die GAL-geführten Ressorts der Schul- und Justizbehörde haben bisher kaum Akzente gesetzt. Mit dem SPD-Antrag sollen Akzente für die Weiterentwicklung gesetzt werden.