Der DGB und seine Gewerkschaften machen sich seit Jahrzehnten für die Integration von ausländischen ArbeitnehmerInnen stark. Safter Çinar, Vorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD), blickt zurück auf das gewerkschaftliche Engagement und wünscht sich eine lautere Stimme der Gewerkschaften in der aktuellen Diskussion.
Integration. In vielen Gewerkschaftsgremien, in Betriebsräten oder Vertrauensleutekörpern sind KollegInnen mit Migrationshintergrund gut vertreten. Wesentlich geringer ist ihr Anteil in den Vorständen oder Bezirksleitungen von DGB und Mitgliedsgewerkschaften. Diese geringe Repräsentanz in gewerkschaftlichen Wahlgremien zu überwinden, gehört ganz oben auf die organisationspolitische Agenda der Gewerkschaften. Zudem ist die gewerkschaftliche Position zu migrationspolitischen Fragen in der Öffentlichkeit zurzeit zu wenig wahrnehmbar. Gerade in der aktuellen Debatte über Einwanderung, Integration, Rassismus und Diskriminierung wäre ein stärkeres Engagement der Gewerkschaften dringend notwendig.
In der Vergangenheit war das anders. So waren die Gewerkschaften sehr präsent, als 1956 die ersten ausländischen Arbeitskräfte angeworben wurden. DGB und Gewerkschaften stellten klar, dass für sie natürlich Tarifverträge und deutsches Arbeits- und Sozialrecht gelten müssen. In den 1960er-Jahren stieg die Zahl der so genannten GastarbeiterInnen, gleichzeitig intensivierten die Gewerkschaften deren Betreuung. Sie bauten ihre Kontakte zu den Partnerorganisationen in den Heimatländern aus, erstellten Infomaterial in den jeweiligen Sprachen und sorgten für muttersprachliche Schulungen. 1973 wurde die „Abteilung Ausländische Arbeitnehmer“ beim DGB eingerichtet, viele der zuständigen GewerkschaftssekretärInnen kamen aus den Hauptanwerbeländern. Mit den neuen ausländischen Mitgliedern gewannen die Gewerkschaften auch tatkräftige MitstreiterInnen in den Tarifauseinandersetzungen. Die ausländischen Beschäftigten waren und sind in vorderster Reihe bei Streiks dabei. Zudem haben sie auch ihre Kultur eingebracht: Mit traditioneller Musik und Tänzen an den Streikposten haben sie die Atmosphäre während der Arbeitskämpfe verändert.
„Der DGB und seine
Mitgliedsgewerkschaften haben
viel dazu beigetragen, die
Situation der ausländischen
ArbeitnehmerInnen kontinuierlich
zu verbessern.“
Die migrationspolitischen Aussagen des DGB waren in den ersten Jahrzehnten etwas widersprüchlich. So trugen die Gewerkschaften lange die politische Aussage mit, dass die Bundesrepublik „kein Einwanderungsland“ sei. Andererseits stellte der DGB-Bundesvorstand 1971 aber fest, dass die Beschäftigung von AusländerInnen „keine vorübergehende und zeitweilige Erscheinung“ sei, und erteilte eine „klare Absage an die Ideologie des Provisoriums“. Anders als heute hieß es noch 1983 beim DGB: „Die Bundesrepublik Deutschland ist eines der dicht besiedelsten Länder der Welt, sie ist deshalb kein Einwanderungsland.“
Trotz dieser Widersprüche haben der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften viel dazu beigetragen, die Situation der ausländischen ArbeitnehmerInnen kontinuierlich zu verbessern. Die Gewerkschaften haben klar Stellung bezogen. 1972 wurde dank ihres Einsatzes das aktive und passive Wahlrecht für AusländerInnen im Betriebsverfassungsgesetz verankert. Entsprechend wurden später auch die Personalvertretungsgesetze von Bund und Ländern geändert. Die Gewerkschaften organisierten viele Kampagnen und Aktionen gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsextremismus. Bis heute engagiert sich der Verein „Mach meinen Kumpel nicht an“. 2001 wurde die gewerkschaftliche Forderung, ausländische MitarbeiterInnen in den Betrieben zu integrieren und Rassismus und Fremdenfeindlichkeit zu bekämpfen, als Aufgabe der Betriebsparteien im Betriebsverfassungsgesetz festgeschrieben. Klar Stellung bezogen haben die Gewerkschaften auch immer gegen reaktionär-religiöse und faschistische Migrantenorganisationen. Einige Regierungen der Entsendeländer, etwa die türkische, haben deshalb versucht, Gegenorganisationen zu den deutschen Gewerkschaften aufzubauen – ohne Erfolg.
Mit dem Regierungswechsel zur schwarz-gelben Koalition1982 wurde die Ausländerpolitik verschärft. Der DGB nahm dazu eine klare Gegenposition ein. Auf dem 13. DGB-Bundeskongress 1986 verlangten die Gewerkschaften das kommunale Wahlrecht für AusländerInnen auch aus Nicht-EU-Ländern. Dafür sammelten sie fast eine Million Unterschriften. Drei Bundesländer beschlossen daraufhin die Einführung, wurden aber durch eine Klage der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vor dem Bundesverfassungsgericht daran gehindert, dies umzusetzen. Während der rot-grünen Regierungskoalition von 1998 bis 2005 machten sich die Gewerkschaften massiv für die Reform des Staatsbürgerrechts und für ein Antidiskriminierungsgesetz stark. Sie forderten die Hinnahme der Mehrstaatlichkeit sowie ein zeitgemäßes Zuwanderungsrecht und lehnten die verschärften Regeln beim Familiennachzug ab. In den letzten Jahren hat die Präsenz der Gewerkschaften in migrationspolitischen Fragen nachgelassen. Diskutiert wird aktuell über ein neues Zuwanderungsgesetz, über Integration, Rassismus und Diskriminierung. Ich setze darauf, dass sich die Gewerkschaften wieder stärker in die gesellschaftlichen Debatten einbringen.
Safter Çinar, 68, ist seit Mai 2014 einer von zwei Vorsitzenden der Türkischen Gemeinde in Deutschland (TGD). Von 1991 bis 2006 war er Leiter der Ausländerberatungsstelle des DGB-Bezirks Berlin-Brandenburg. Zuvor war er von 1985 bis 1991 Mitglied im Hauptvorstand der GEW und erster türkischstämmiger Vorsitzender eines gewerkschaftlichen Landesverbandes, der GEW Berlin.
Erschienen in: einblick 5/2015
Online seit: 5. März 2015