Kommt die paritätische Mitbestimmung unter die Räder der europäischen Justiz? Juristen der Europäischen Union sehen die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Gefahr: Wer von Deutschland ins Ausland wechselt, verliert das aktive und passive Wahlrecht für den Aufsichtsrat. Das könnte der Europäische Gerichtshof als Diskriminierung ansehen.
Derzeit klagt ein Kleinaktionär des Reisekonzerns TUI beim EuGH genau mit dieser Argumentation gegen das deutsche Mitbestimmungsrecht. Juristen der EU-Kommission haben sich der Argumentation des Klägers angeschlossen.
„Wir vermuten stark: Dem Kleinaktionär der TUI AG geht es nicht um die Verbesserung der Mitbestimmungsrechte. Ihm geht es um ihre Abschaffung!“, so der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann.
Geht Mitbestimmung zulasten von Aktionären?
Der Göttinger Arbeitsrechtsprofessor Dr. Rüdiger Krause hält das juristische Argument für konstruiert. Schließlich dürfen die Belegschaften der Auslandsgesellschaften und -filialen schlicht nicht mit abstimmen, weil Deutschland nicht in die Rechte anderer Länder eingreifen und ihnen Regeln zur Aufsichtsratswahl vorschreiben kann.
Ein anderes Argument der Mitbestimmungskritiker wird nicht offen genannt, dürfte aber dahinterstecken: Die konstruktive Zusammenarbeit im Aufsichtsrat sei teuer erkauft und lade zur Kungelei zulasten der Aktionäre ein, die einen möglichst hohen Ertrag ihrer Geldanlagen haben wollen.
Arbeitnehmervertreter raus aus den Gremien?
Und gewinnt der Aktionär, müssten die Arbeitnehmervertreter die Aufsichtsräte verlassen.
„Es kann nicht angehen, dass die europäische Rechtsprechung eine gut funktionierende nationale Mitbestimmungsstruktur in Deutschland unter Druck setzt, während die europäischen Institutionen gleichzeitig keinerlei Ansatz für eine faire, gesetzlich solide abgesicherte Arbeitnehmerbeteiligung auf europäischer Ebene anbieten“, sagt Peter Scherrer, Stellvertretender Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftsbundes EGB.
Die europäischen Gewerkschaften hatten bereits vor zwei Jahren einen Weg dahin aufgezeigt. Ihr Vorschlag: Über eine EU-Richtlinie ließe sich ein Mindeststandard für bindende Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmen europäischer Gesellschaftsform sicherstellen. Weitergehende nationale Regelungen zur Arbeitnehmerbeteiligung blieben hierbei unberührt, es gäbe also eine belastbare Untergrenze ohne die Gefahr eines Verdrängungswettbewerbs.
Gewerkschaften haben eine Lösung aufgezeigt
Der Wind in der EU hat sich vor allem unter Kommissionspräsident José Manuel Barroso gegen die Gewerkschaften gedreht. Hoffmann: „Seitdem wurden immer mehr Arbeitnehmerrechte mit dem Dogma des Bürokratieabbaus blockiert“, sagt DGB-Chef Hoffmann, „so auch die Arbeitszeitrichtlinie.“