Der Einsatz der SAP-Software in den Hamburger Behörden entwickelt sich zu einer Millionenpleite. Auf Nachfrage der stellvertretenden SPD-Fraktionsvorsitzenden Gesine Dräger hat die Finanzbehörde eingeräumt, dass beim Einsatz der SAP-Software in den Hamburger Behörden ein Neuaufsatz des gesamten Systems notwendig ist.
„Die Kosten für diesen Neuaufsatz hat die Finanzbehörde mit 40 Millionen Euro beziffert“, sagte Dräger. Zuvor war bekannt geworden, dass das System bereits jetzt zu einem erhöhten Prüfungsaufwand geführt hat. „Hier bahnt sich ein finanzielles Desaster an. Das zeugt von mangelnden Management-Qualitäten in der Führung der Finanzbehörde.“
Der Neuaufsatz – so die Erläuterungen der Finanzbehörde – sei unter anderem dadurch nötig geworden, dass das System nach zahlreichen Änderungswünschen der Benutzer insgesamt nicht mehr stabil und konsistent laufe.
„Nach den Erläuterungen der Finanzbehörde wurde die Softwareeinführung auf Seiten der Anwender offenbar nicht professionell durchgeführt und begleitet. Das ist ein Desaster für die Finanzbehörde. Skandalös ist es, dass die Bürgerschaft über diesen Vorgang nicht informiert wurde. Mehrkosten von 40 Millionen Euro sind keine Petitesse, die man im Haushaltsdickicht verstecken darf“, so Dräger. „Offenbar hat der Senat gehofft, diese Sache vor der Öffentlichkeit verbergen zu können. Für ein vergleichbares finanzielles Desaster musste FDP-Senator Lange 2003 den Hut nehmen.““
In einer kleinen Anfrage will die SPD jetzt die Hintergründe des Vorgangs ermitteln:
Schriftliche Kleine Anfrage
der Abgeordneten Gesine Dräger (SPD)
40 Millionen Euro mehr für die Einführung von SAP – was verheimlicht der Senat?
Bei den Beratungen des Haushalts 2007/2008 (Einzelplan 9.1) am 29.8.2006 erläuterte den die Finanzbehörde im Haushaltsauschuss auf meine Nachfrage, dass die Kosten für die Einführung und den Einsatz von SAP sich deutlich erhöhen würden. Es sei im Rahmen der Einführung u. a. durch eine hohe Anzahl von Veränderungen am ursprünglichen Konzept zu einer Situation gekommen, in der nur noch ein Neuaufsatz des Gesamtsystems möglich sei. Dieser würde insgesamt zu Mehrkosten von 40 Millionen Euro führen.
Im Haushaltsplan wird dieser Umstand nicht explizit ausgeführt. Es findet sich lediglich der – in seiner Höhe völlig unbestimmte – Hinweis im Haushaltsplan werde ein „steigender Prüfungsaufwand infolge Einführung von SAP […]“ berücksichtigt.
Ich frage den Senat:
1. Wie hoch waren die Einführungskosten (Plan-/Ist-Zahlen für die einzelnen Jahre seit Entscheidung über die Einführung) des SAP-Systems bei den Hamburger Behörden bisher?
2. Wie verteilen sich diese Kosten auf
a. den Erwerb von Lizenzen
b. Beratungs- und Anpassungsleistungen durch SAP oder andere Dienstleister
c. Personalkosten der Hamburger Verwaltung?
3. Welche Kosten sind bisher durch die mangelnde Einsatzfähigkeit des SAP-Systems entstanden durch
a. Personalkosten
b. Beratungs- und Anpassungsleistungen
c. sonstige Kosten?
4. Wie hoch ist der im Einzelplan 9.1 angeführte „steigende Prüfungsaufwand“ durch die Einführung von SAP? Wie hoch waren diese Kosten 2005 bzw. wie hoch werden sie für das laufenden Haushaltsjahr geschätzt?
5. Aus welchen Haushaltstiteln werden diese Kosten gezahlt?
6. Seit wann wusste der Senat, dass das derzeit laufende System nicht den Anforderungen entspricht?
7. Wann wurde entschieden, dass ein Neuaufsatz des Systems notwendig ist?
8. Wer hat diese Entscheidung getroffen?
9. Welche Alternativen zu einem Neuaufsatz wurden geprüft? Welche Kosten wären damit jeweils verbunden gewesen?
10. Wie schlüsseln sich die im Haushaltsausschuss angegebenen 40 Millionen EURO Mehrkosten auf nach
a. den Erwerb von (weiteren) Lizenzen
b. Beratungs- und Anpassungsleistungen durch SAP oder andere Dienstleister
c. Personalkosten der Hamburger Verwaltung?
11. Gab es Verhandlungen mit der Herstellerfirma über Regress- oder Garantieleistungen? Wenn ja: Mit welchem Ergebnis? Wenn nein: Warum nicht?
12. Wer in der Hamburger Verwaltung war für die Erstellung des Fachkonzepts, des Pflichtenhefts und der technischen Spezifikationen in Zusammenarbeit mit der Hersteller- und Dienstleistungsfirma verantwortlich?
13. Wer war für die Abnahme der unter 10. genannten Dokumente verantwortlich? Wann sind sie abgenommen worden?
14. Welche Vereinbarung gab es mit der Hersteller- und Dienstleistungsfirma über das Verfahren zur
a. Definition und
b. Genehmigung von Abweichungen oder Zusatzanforderungen
von den vertraglich vereinbarten Softwareanforderungen?
15. Wer musste solche Abweichungen jeweils genehmigen?
16. Welche Vereinbarungen gab es über die Vergütung der Implementation dieser Abweichungen?
17. Wenn es kein standardisiertes Verfahren dieser Art gab: Wie wurde mit Änderungs- oder Ergänzungswünschen umgegangen? Wer konnte Änderungen und Ergänzungen gegenüber der Hersteller- und Dienstleistungsfirma beauftragen? Wie wurden diese Änderungen und Ergänzungen bezahlt (z. B. pauschal oder nach Aufwand)? Wie wurde sichergestellt, dass durch die Änderungen einzelner Komponenten das Gesamtsystem konsistent und stabil blieb?
18. Wie wurde geprüft, ob die vereinbarten Softwareanforderungen erfüllt worden sind?
19. Wer war auf seiten der Hamburger Verwaltung für den Test der Software verantwortlich? Wie viel Personal wurde insgesamt für die Durchführung eingesetzt? Wie lange hat der Test gedauert? Wurde neben eigenem Personal aus der Hamburger Verwaltung auch Personal Dritter eingesetzt?
20. Welche Mängel sind während des Tests festgestellt worden?
21. Wer hat den Abnahmetest durchgeführt?
22. Wer war für die Abnahme
a. einzelner Komponenten bzw.
b. des Gesamtsystems verantwortlich?
23. Wann sind welche Abnahmen durch wen erfolgt?
24. Warum ist die Bürgerschaft nicht durch den Senat über den Sachverhalt informiert worden, dass ein Neuaufsatz der gesamten Software nötig sein würde? Plant der Senat, die Bürgerschaft durch eine eigene Drucksache zu diesem Thema zu informieren? Wenn ja: Wann? Wenn nein: Warum nicht?