Der Norden braucht eine Willkommenskultur

Der Norden Deutschlands als Drehscheibe in Europa ist besonders stark auf gute Beziehun- gen, einen starken Welthandel und die Arbeitnehmerfreizügigkeit angewiesen. Dem sich abzeichnenden Mangel an Fachkräften in den norddeutschen Unternehmen muss auch durch die Integration von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem Ausland begegnet werden. Angesichts der wirtschaftlichen Ungleichgewichte in Europa gibt es zudem auch eine Verantwortung aller Mitgliedsstaaten der EU, allen Menschen eine gute Zukunftsperspektive zu eröffnen und den Zusammenhalt in Europa zu festigen. Dazu gehört es auch, aus anderen europäischen Ländern angeworbenen Jugendlichen eine qualifizierte Ausbildung zu ermöglichen und ihnen so berufliche Perspektiven hier und in ihren Heimatländern sichern. Deshalb wenden sich Arbeitgeber und Gewerkschaften gemeinsam gegen Vereinfachungen, Vorurteile und Polemik in der aktuellen Zuwanderungsdiskussion.

Bereits jetzt sind mehr als 120.000 sozialversicherungspflichtige Beschäftigte aus 164 Nationen in den Arbeitsmarkt der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein integriert. Unsere Wirtschaft braucht mehr und nicht weniger Zuwanderung, wenn sie den Wandel erfolgreich gestalten will.

Unsere Gesellschaft steht nämlich vor großen Herausforderungen: Der demografischen Entwicklung folgend sinkt langfristig die Zahl der Arbeitskräfte in Deutschland. Der wirtschaftliche Strukturwandel hin zu wissensintensiven Industrien und Dienstleistungen führt zu steigenden Anforderungen an die Kompetenzen aller Beschäftigten. Gleichzeitig gibt es zu viele Menschen, die ohne Abschluss bleiben und oftmals nur mit geringen Kompetenzen unser Bildungs- wesen verlassen.

Diese Entwicklungen machen es gleichermaßen notwendig, Menschen im Inland besser zu qualifizieren sowie qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland eine Perspektive auf unserem Arbeitsmarkt zu eröffnen.

UVNord und DGB Nord setzen sich gemeinsam dafür ein, Menschen mit geringen Qualifikationen eine nachhaltige Teilhabe auf dem Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Hierin liegt in den kommenden Jahren eine zentrale Herausforderung. Jungen Menschen mit schlechten Startchancen den nahtlosen Übergang von der Schule in die Ausbildung zu ermöglichen und Menschen ohne Berufsabschluss eine zweite Chance zu bieten, muss Schwerpunkt einer zukunftsfähigen gemeinsamen Strategie im Bereich Ausbildung sein.

Zugleich sehen DGB Nord und UVNord in der Förderung einer Willkommenskultur für qualifizierte Fachkräfte aus aller Welt einen entscheidenden Faktor für mehr wirtschaftliche Dynamik und Beschäftigungsmöglichkeiten für alle Menschen in Deutschland. Ein solcher Kulturwandel muss in verbesserten Rahmenbedingungen für die Zuwanderung und die ökonomische und gesellschaftliche Partizipation der Zugewanderten zum Ausdruck kommen. Hier sind Politik, Wirtschaft und Gesellschaft gleichermaßen gefragt. Dazu gehört, jungen Menschen, die in Deutschland arbeiten, studieren oder eine Ausbildung beginnen wollen, gute Ausbildungs- und Studienbedingungen zu bieten, die Anerkennung von Berufsabschlüssen zu vereinfachen und bürokratische Hindernisse für Zuwanderung abzubauen.

UVNord und DGB Nord setzen sich gemeinsam für gleiche Teilhabechancen und für die Gleichbehandlung bei den Arbeits- und Lebensbedingungen unabhängig von der Staatsangehörigkeit ein. Dazu gehört auch der Einsatz gegen den Missbrauch der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit.

Das Recht, sich in einem anderen Land niederzulassen und eine Beschäftigung aufzunehmen, gehört zu den Grundwerten der Europäischen Union. Es leistet einen wichtigen Beitrag zur Fachkräftesicherung, zur Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in Deutschland und Europa und zur kulturellen Vielfalt. In der Charta der Grundrechte und den Europäischen Verträgen ist das Verbot der Diskriminierung von EU-Bürgern verankert.

Wenn es gelingt, Zugewanderte in Bildung und Arbeit zu integrieren, können sie langfristig einen entscheidenden Beitrag für Deutschland leisten. Dafür müssen auch die Rahmenbedingungen stimmen. In der Regel müssen die Einwanderer die deutsche Sprache erlernen, im Alltag begleitet werden und mit ihrer beruflichen Qualifikation versuchen, Beschäftigung und gute Arbeitsbedingungen zu finden. Ihr Zugang zu Arbeitsmarkt und Gesellschaft erfordert, dass ihre Berufsabschlüsse anerkannt werden, sie beim Lernen der deutschen Sprache gefördert werden und sie wenn nötig durch gezielte Aus- und Weiterbildung Teilhabechancen erhalten.

Weil die Zuwanderer insbesondere aus den mittel- und osteuropäischen Ländern sich zunächst in einigen Ballungsräumen und Großstädten niederlassen, werden die Ressourcen dieser Städte und Regionen besonders beansprucht. Viele Kommunen können die notwendigen Integrationsaufgaben nicht allein bewältigen. DGB Nord und UVNord fordern Bund und Länder auf, diese Kommunen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben gezielt und konsequent zu unterstützen.

In Teilen Europas sind antieuropäische, teils nationalistische Kräfte erstarkt. Mit Blick auf die Europawahlen im Mai erfüllt uns diese Tendenz mit großer Sorge. Bei den zurückliegenden Bundestagswahlen haben solche Kräfte und Parolen in Deutschland kaum eine Rolle gespielt. Damit wir ein gutes Vorbild bleiben und die Zuwanderung in Arbeitsmarkt und Gesellschaft gelingt, rufen wir alle diejenigen, die in Gesellschaft und Politik Verantwortung übernehmen, zu einer differenzierten und den Realitäten angemessenen Debatte auf.

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