In der gestrigen Bürgerschaftsdebatte gab es eine scharfe Kontroverse über das Thema „Mindestlohn“. Der SPD-Abgeordnete und Gewerkschafter Wolfgang Rose forderte angesichts des Ev. Kirchentags am 1. Mai mit der Losung „Soviel Du brauchst“ die CDU zu einer gemeinsamen Initiative für einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn gegenüber der Bundesregierung auf.
Die CDU-Abgeordnete Dr. Friederike Föcking erklärte, die CDU setze sich für faire Löhne und gegen Lohndumping ein und würde mit ihrem Vorschlag einer Lohnuntergrenze und einer „Tarifkommission“ die Tarifautonomie verteidigen. Ihre Fraktionskollegin Karin Prien wies auf die Gefahr der Verlagerung von Arbeit ins Ausland hin.
Wolfgang Rose erwiderte in seinem Redebeitrag, dies sei die typische Argumentation zur Unterstützung von Lohndumping und Niedriglöhnen und gegen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn.
„Wissen Sie eigentlich, welches die am schlechtesten bezahlten Tätigkeiten in unserem Land sind? Ich sehe die dort Beschäftigten schon samt ihrer Betriebe fluchtartig unser Land verlassen und ihre Tätigkeit ins Ausland verlagern: Die Textilreiniger und Büglerinnen, die Gebäude- und Fensterreiniger, die Zimmermädchen in Hotels und die Raumpflegerinnen in Büros, die Wachleute in Gebäuden und Parkhäusern, die Köche und Küchenhilfskräfte im Hotel- und Gaststättengewerbe, die Floristinnen und Arzthelferinnen und auch die Verkäuferinnen u.v.a.m.
Nein, Armutslöhne gibt es in Deutschland fast ausschließlich bei den ortsgebundenen und einfachen Dienstleistungen für Personen, Privathaushalte und Unternehmen, und zwar vorwiegend in Tätigkeitsbereichen, in denen überwiegend Frauen arbeiten.
Und darum sind Armutslöhne keine soziale Maßnahme zur Integration von Arbeitslosen, sondern sie eröffnen eine Lohndumping-Spirale nach unten und sind somit schlicht das Ergebnis einer unsozialen Fehlentwicklung auf dem Arbeitsmarkt, die in einer sozialen Markt-wirtschaft durch einen gesetzliche Mindestlohn korrigiert werden muss.
Der CDU-Vorschlag für eine allgemeine Lohnuntergrenze wird das Problem der deutschen Armutslöhne nicht lösen. Der Vorschlag von Bundesarbeitsministerin von der Leyen ist völlig unzureichend. Die CDU will eine allgemeine Lohnuntergrenze ausschließlich in Bereichen, in denen keine Tarifverträge existieren. Diese Regelung bietet für viele Unternehmen einen Anreiz, sich Pseudo-Gewerkschaften als Partner für Hungerlohn-Tarifverträge zu suchen oder selbst solche zu gründen. Für diese Bereiche gelte dann keine Lohnuntergrenze. Solche Entwicklungen kennen wir aus der Leiharbeit oder bei Briefzustellern. Der CDU-Vorschlag verhindert deshalb nicht, dass weiterhin Millionen von Menschen für Hungerlöhne arbeiten müssen. Ihr Slogan „Sozial ist, was Arbeit schafft“ reicht eben nicht aus, er muss heißen „Sozial ist, was Gute Arbeit schafft“ – zumindest solche Arbeit, von der man leben kann.“
Nachdem die Abgeordnete Dr. Föcking die CDU-Haltung mit ihrem „Christlichen Menschenbild“ begründete, erwiderte der Abgeordnete Rose angesichts des bevorstehenden Ev. Kirchentags mit einigen grundsätzlichen Bemerkungen:
„1938 wurde in den USA erstmalig ein Mindestlohn eingeführt. Von den 185 Mitgliedsländern der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) haben 90 Prozent einen Mindestlohn. 22 Länder in der EU haben einen Mindestlohn. Von den Kirchen über die Wohlfahrtsverbände und die Handwerkskammern wird der gesetzliche Mindestlohn gefordert. Über 200 Manager haben sich gerade für den gesetzlichen Mindestlohn ausgesprochen. Zwei Drittel der CDU/CSU-Anhänger und Drei Viertel der Bundesbürger/-innen sind in den letzten Umfragen für die Ein-führung des gesetzlichen Mindestlohns.
Dass wir hier heute als Landesparlament ein vorläufiges Landesmindestlohngesetz für einen begrenzten Personenkreis beschließen müssen, halte ich für eine Schande. Und es ist eine ungeheure Blamage für unsere Zivilgesellschaft, dass diese Bundesregierung sich bis heute beständig weigert, die soziale Ungerechtigkeit von Armuts- und zum Teil Hungerlöhnen zur Kenntnis zu nehmen und einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen.
Die Einführung des Mindestlohns ist nicht nur eine Frage der sozialen Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der demokratischen Kultur und der öffentlichen und politischen Moral. „Würde hat ihren Wert und Arbeit hat ihren Preis“ – dieses Motto hat der Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (KDA) bereits 2006 für das Thema „Arbeit“ in Gottesdiensten proklamiert.
Angesichts eines Ev. Kirchentags in Hamburg, der am Tag der Arbeit beginnt, und sich die Losung „Soviel Du brauchst“ gegeben hat, wäre es ein Zeichen der zivilgesellschaftlichen Solidarität – gerade auch von der Partei, die ihre Haltung mit dem Christlichen Menschenbild begründet -, wenn von hier aus ein gemeinsamer Appell an die Bundesregierung ausgehen würde, ihre Blockadehaltung endlich zu beenden und den flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen. Nach der Bundestagswahl kommt er sowieso.“
Die LINKE, die erneut ihre Forderung nach 10 Euro Mindestlohn vortrug, forderte Rose auf, ihre parteipolitische Profilierung zurückzustellen und gemeinsam die Gewerkschaftsforderung zu unterstützen. CDU und LINKE enthielten sich bei der Abstimmung. Die GRÜNEN stimmten für den SPD-Antrag und die FDP erwartungsgemäß dagegen.