Die Baumaßnahmen für die Primarschulreform werden entweder erheblich teurer als von der CDU-GAL-Koalition behauptet, oder die Schulen sollen ohne Zu- und Umbauten jede Menge neuer Schülerinnen und Schüler verkraften. Das geht aus den Antworten des Senats auf Kleine Anfragen der SPD-Bürgerschaftsfraktion hervor. Was die Behörde dazu sagt: Siehe ganz am Ende.
„Der Senat rechnet die Kosten schön“, sagte SPD-Schulexperte Ties Rabe am Donnerstag. So habe die Schulbehörde für Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Schulreform rund 190 Millionen Euro einkalkuliert. Rabe: „Realistisch sind doppelt so hohe Kosten.“ Selbst höhere Summen seien nicht ausgeschlossen: Bei zahlreichen öffentlichen Bauten und diversen Schulrenovierungen seien dem Senat in der jüngsten Vergangenheit die Kosten aus dem Ruder gelaufen.
„Jetzt droht Hamburg eine weitere Kostenexplosion – bei der Umsetzung der Primarschule“, sagte Rabe. Er appellierte an den Senat, vor einer Entscheidung über die Primarschule Klarheit über den Kostenrahmen zu schaffen. „Die Schulbehörde könnte das. Ich glaube aber, sie will die Öffentlichkeit über die zu erwartenden Kosten nicht informieren“, sagte Rabe.
Der SPD-Bildungsexperte verwies darauf, dass künftig über 1100 zusätzliche Schulklassen mit rund 26.000 Schülern der Klassen 5 und 6 in den geplanten Primarschulen untergebracht werden müssen. „Viele Schulgebäude sind dafür zu klein“, sagte Rabe. Vertreter von 76 Primarschulen hätten deshalb in den Regionalen Schulentwicklungskonferenzen (RSK) dringenden Baubedarf angemeldet.
Den Angaben des Senats zufolge sollen an den Primar- und Stadtteilschulen sowie an den Gymnasien zusätzliche Räume im Umfang von 51.030 Quadratmetern für 190 Millionen Euro entstehen. Der größte Anteil entfällt auf die Primarschulen, wo für 134 Millionen Euro rund 290 Unterrichtsräume und 100 Fachräume gebaut werden sollen.
Rabe hat die Planung der Behörde mit den Empfehlungen der RSK verglichen und kommt zu dem Ergebnis: „Die Behörde kalkuliert für die Primarschulreform deutlich weniger zusätzliche Räume, als die Fachleute vor Ort.“ So weisen beispielsweise die Teilnehmer von sechs RSK (RSK 17-22) ein Raumdefizit von 164 bis 196 Unterrichtsräumen an ihren Primarschulen nach. Die Behörde kalkuliert dort aber nur 111 neue Unterrichtsräume. „Der Raumbedarf liegt hier zwischen 50 und 75 Prozent über der Behördenschätzung.
Tatsächlich sei der Raumbedarf in vielen Fällen aber noch höher. Denn durch die beabsichtigte Verkleinerung der Klassen erhöhe sich die Anzahl der Schulklassen. „Die RSK haben diesen Effekt nicht immer berücksichtigt. Weitgehend unberücksichtigt blieb auch der beabsichtigte Umbau zahlreicher Schulen zu offenen oder gebundenen Ganztagsschulen. Hier konnten die RSK noch keine Überlegungen anstellen, weil die Standorte für die Ganztagsschulen noch nicht feststehen“, sagte Rabe.
In ihrer gesamten Kalkulation habe die Schulbehörde zudem sämtliche Kosten für Bau, Umbau und Vergrößerung von Turnhallen, Kantinen, Sanitärräumen, Verwaltungsräumen, Lehrerzimmern sowie Aula und Pausenhallen ausgeklammert. Da die Primarschulen 50 Prozent mehr Schüler und Lehrer unterbringen sollen, sei hier mit erheblichen weiteren Baukosten zu rechnen.“
Darüber hinaus habe die Schulbehörde lediglich die Kosten für den Bau neuer Räume geschätzt, nicht aber die Kosten für den Umbau bestehender Räume. Die RSK sehen hier aber einen erheblichen zusätzlichen Bedarf. Beispielsweise müssen Schulen oder Klassen in andere Gebäude umziehen. Daraus ergebe sich Anpassungsbedarf. Zudem müssten Unterrichtsräume renoviert oder Klassenräume zu Fachräumen umgebaut werden.
Unklar bleibt nach wie vor, wie die geplante Nachmittagsbetreuung an den Primarschulen untergebracht wird. Für die von der Schulbehörde angekündigten zusätzlichen 10.000 Hort- und Ganztagsschulplätze sind im Rahmen der Kalkulation der Schulbehörde pauschal 35 Millionen Euro Baukosten geplant. Es bleibt offen, wo was mit diesem Geld gebaut werden soll. Für die zusätzlichen Hortplätze müssen wenigstens 400 Räume geschaffen werden. 35 Millionen Euro reichten aber nur für rund 130 neue Räume.
Rabe: „Die Kalkulation der Schulbehörde ist bereits vom Ansatz her ungenau und fehlerhaft. Die Behörde hat die konkreten Bauvorschläge der Schulvertreter nämlich weder geprüft noch den Baubedarf an den einzelnen Schulen ermittelt. Stattdessen wurde vom grünen Tisch aus der Gesamt-Raumbedarf pro Schulregion geschätzt und mit den ungenauen behördlichen Raumstatistiken abgeglichen. Es wird ein böses Erwachen geben, wenn die Besonderheiten der einzelnen Schulen vor Ort die Schätzungen durchkreuzen. Das ist Mathematik im Wolkenkuckucksheim, aber keine solide Bauplanung.“
Rabe weist auf eine ganze Reihe von Problemen dieser Berechnungsmethode hin. Beispielsweise berücksichtigt die Schulbehörde offensichtlich nicht, dass zahlreiche Unterrichtsräume an den Schulen durch andere Nutzungen blockiert sind. Zu den Nutzern zählen beispielsweise Kindertagesstätten, pädagogische Mittagstische und Horte für Schulkinder. Einige Schulen nutzen Unterrichtsräume in Ermangelung anderer Räume sogar als Hausmeisterwohnung, Aula, Lehrerzimmer oder Bewegungs- und Turnräume. Rabe: „An den Schulen stehen deutlich weniger Räume zur Verfügung, als die Behörde kalkuliert. Entsprechend höher ist der Bedarf an neuen Räumen.“
Auch die baulichen Probleme vieler Schulen würden die geplanten Maßnahmen verteuern. Rabe: „157 von 400 Hamburger Schulgebäuden stehen unter Denkmalschutz, weitere 48 sind ihnen als denkmalschutzwürdig faktisch gleichgestellt. Bei anderen Schulen wiederum erschweren bauliche Mängel oder Platzprobleme den Anbau. Was in der Theorie so einfach aussieht, wird in der Wirklichkeit plötzlich viel teuer.“
Rabe machte deutlich, dass schon in der jüngsten Vergangenheit die Kosten für Schulbauten und Schulsanierungen weit oberhalb der einkalkulierten Summen gelegen hätten. Rabe: „Bei der Sanierung der Schule am Falkenberg stiegen die Kosten um über 500 Prozent von 2,4 auf über 15 Millionen Euro. Abriss und Neubau der Grundschule Barlsheide kosten nicht die geplanten 6,6 Millionen Euro sondern fast 18 Millionen Euro – eine Kostensteigerung von etwa 170 Prozent. Und der Um- und Neubau der staatlichen Gewerbeschule G 6 kostet 7,8 statt der geplanten 1,9 Millionen Euro (siehe Große Anfrage Drucksache 19/3574).
Rabe verwies abschließend darauf, dass die Baukosten über neue Schulden bezahlt werden sollen und angesichts der enormen Kosten auch eine Privatisierung von Schulgebäuden nicht ausgeschlossen sei. „Das im Haushalt vorhandene Geld für den Schulbau reicht noch nicht einmal aus, um die Reparaturen zu bezahlen. Um die erheblichen Kosten für die Primarschulen zu bezahlen, sollen sämtliche Schulen in einen Schattenhaushalt ausgegliedert werden. Diese Stelle soll den paradoxen Namen „Sondervermögen“ tragen, obwohl dort kein Geld, sondern ein paar hundert Millionen Euro Schulden angehäuft werden sollen. Von dort aus sollen Schulen auch an private Unternehmen verpachtet werden.“
Das Fazit des SPD-Bildungsexperten:“Die Kalkulationen sind ungenau, sie enthalten viele Fehler, und sie gehen von einem zu geringen Raumbedarf aus. Die Baukosten sind zu niedrig angesetzt. Vor diesem Hintergrund ist eine Verdoppelung der Kosten zu befürchten. Diese Mehrbelastungen für den Haushalt sollen durch neue Schulden, Schattenhaushalte und Privatisierungen von Schulgebäuden bezahlt werden.“ Rabe betonte, die Schulbehörde habe ein Jahr lang Zeit gehabt, eine belastbare und plausible Kostenberechnung vorzunehmen. „Ich frage mich, warum die Behörde das nicht getan hat. Seriös ist das nicht. Offensichtlich fürchtet die Behörde genaue Zahlen und belässt es mit Absicht lieber bei fehlerhaften Schön-Schätzungen.“
Die Stellungnahme der Behörde:
Klarstellung zur Kostenkalkulation für die Einführung der Primarschule
Zu den Kosten für die Baumaßnahmen im Zusammenhang mit der Einführung der Primarschule stellt die Behörde für Schule und Berufsbildung folgendes klar:
1. Für den Zubau der damit notwendigen Fach- und Unterrichtsräume geht die Behörde für Schule und Berufsbildung von Kosten in Höhe von 190 Millionen Euro aus.
2. Dabei ist die geplante erhebliche Verkleinerung der Klassen eingerechnet.
3. Der genannte Zubaubedarf beruht auf einer genauen Prüfung und Abstimmung des Raumbestandes mit der jeweiligen Schule.
4. Differenzen zwischen dem gewünschten Bedarf der Schulen, wie er in den RSKEmpfehlungen zu erkennen ist, und dem tatsächlichen Raumbedarf auf Basis des Musterraumprogramms sind die Regel.
5. Die Fremdnutzung von Räumen ist im Planungsprozess berücksichtigt worden. Vermietete Räume wurden nicht in die Bestandberechnung einbezogen.
6. Die Investitionen für die zusätzlichen Ganztagsschulen sind an anderer Stelle eingeplant. Dies gilt ebenso für die Kosten von Sanierung und Reparatur.
7. Die Vermischung dieser Kostenkalkulation mit weiteren ohnehin existierenden Kosten (Sanierungsbedarf an Schulen), Kosten, die an anderer Stelle eingeplant sind (Ganztagsschuleprogramm) oder mit möglichen Kosten von Projekten in der ersten Planungsphase (Kinderbetreuung an Primarschulen) ist irreführend.