Die Ablehnung der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke ist bei allen Parteien diesseits der CDU selbstverständlich – aber die spannende Frage bleibt: Lässt die GAL ihren Worten auch Taten folgen, geht Schwarzgrün mit den anderen Parteien nach Karlsruhe? Für die SPD fordert Monika Schaal den CDU-GAL-Senat in der Bürgerschaft auf, sich einer Klage gegen die Aushebelung des Bundesrats anzuschließen, für die LINKE forderte dies Fraktionsvorsitzende Dora Heyenn. Die GAL blieb die Antwort schuldig.
In der Bürgerschaftsdebatte über die Atompolitik der Bundesregierung hat die SPD-Fachsprecherin für Umwelt und Energie, Monika Schaal, den Hamburger Senat zum Widerstand gegen die schwarz-gelbe Atompolitik in Berlin aufgefordert. Der Senat müsse sich einer Klage gegen das Vorgehen der Bundesregierung anschließen, den Bundesrat bei der Verabschiedung des Atomgesetzes zu umgehen, sagte Schaal am Donnerstag. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf entsprechende Ankündigungen der grünen Umweltsenatorin Anja Hajduk (GAL). „Die GAL ist mit uns zur Anti-Atom-Demo nach Berlin gegangen. Wir hoffen, dass sie auch mit uns vor das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe geht“, sagte Schaal.
„In einer ganzen Reihe von juristischen Fachartikeln – etwa vom ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Jürgen Papier – ist dargelegt worden, dass die Bundesländer als aufsichtführende Behörden an der Novellierung des Atomgesetzes beteiligt werden müssen“, unterstrich die SPD-Umweltexpertin. Der Senat müsse sich einer Klage beim Bundesverfassungsgericht anschließen, wenn der Bundesrat am Gesetzgebungsverfahren nicht beteiligt werde, sagte Schaal.
Umweltsenatorin Hajduk habe gemeinsam mit acht anderen Länderkolleginnen und Kollegen bereits erklärt, dass sie das Bundesverfassungsgericht anrufen würde, falls die Laufzeitverlängerung ohne Befassung des Bundesrates verabschiedet werden sollte. „Frau Senatorin, machen Sie ernst: Überzeugen sie den Senat, einer Klage gegen die Aushebelung der Länderkammer beizutreten“, appellierte Schaal an die grüne Senatorin. In der Hamburgischen Bürgerschaft gebe es eine Mehrheit dafür, das Bundesverfassungsgericht anzurufen, sagte die SPD-Abgeordnete.
Sie übte heftige Kritik an den Entscheidungen der Bundesregierung. „Die Bundesregierung hat sich von den Atomkonzernen einkaufen lassen. Die vermeintliche Gewinnabschöpfung in Form einer Brennstäbesteuer ist gedeckelt und kann von den Konzernen als Betriebsausgabe mit anderen Steuern verrechnet werden. Bis 2016 sollen die Unternehmen 300 Millionen Euro pro Jahr an einen Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien einzahlen – eine lächerliche Summe angesichts von 100 Milliarden Euro schweren Zusatzgewinnen aus der Laufzeitverlängerung“, sagte die SPD-Umweltexpertin.
Schaal kritisierte, die Bundesregierung habe Sicherheitsaspekte bei ihren Verhandlungen hinten angestellt: „Kein Atomkraftwerk – schon gar nicht eines der älteren – ist auf dem neuesten Stand der Sicherheitstechnik. Die Sicherheitslücken wiegen umso schwerer, als schon 2002 anstehende Nachrüstungen aufgrund des damals geplanten Ausstiegs aus der Atomenergie unterblieben sind. Um die Nachrüstungskosten niedrig zu halten, wurde jetzt vereinbart, sie auf 500 Millionen Euro pro Meiler zu begrenzen. Jeden Mehraufwand können die Betreiber von ihren Zahlungen in den Ökofonds abziehen“, sagte die Abgeordnete. Der Bundesumweltminister habe im Vorwege ausrechnen lassen, dass bei einer Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren der Sicherheitsaufwand für alle Meiler gut 20 Milliarden Euro ausmacht. „Durch die Kostendeckelung sparen die Konzerne 11,5 Milliarden Euro. Kein Wunder, dass dort die Sektkorken geknallt haben.“
LINKE fordert Klage gegen Missachtung des Bundesrates bei der AKW-Laufzeitverlängerung
Die Bundesregierung hat am 5. September beschlossen, die Laufzeiten für Kernkraftwerke zu verlängern, am 28. September wurde ein sogenanntes Energiekonzept vorgelegt. Die Laufzeitenverlängerung soll ohne Zustimmung des Bundesrats durchgesetzt werden. Weil sich der CDU-GAL-Senat bislang nur mit unverbindlichen Absichtserklärungen um eine klare Position zu Atomkraftwerken gedrückt hat, fordert die Fraktion DIE LINKE den Senat in einem Antrag auf, sich einer Klage der Bundesländer vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die Festlegung von Laufzeitverlängerungen für Atomkraftwerke ohne Beteiligung des Bundesrates anzuschließen (Drs. 7282, „Verfassungsklage gegen Missachtung des Bundesrates bei der AKW-Laufzeitverlängerung“).
Dora Heyenn, Fraktionsvorsitzende und umweltpolitische Sprecherin, übte dabei scharfe Kritik an der Bundesregierung als Interessensvertreterin der Energiekonzerne und an der Umgehung des Bundesrats und verwies darauf, dass Hamburg im Einzugsgebiet der AKW Krümmel und Brunsbüttel von den Sicherheitsmängeln direkt betroffen ist. Sie forderte die GAL auf, endlich auch im Parlament Farbe zu bekennen.
„Der Zugang zu Energie ist eine soziale Frage. Wer AKW-Laufzeiten verlängert und neue Kohlekraftwerke bauen will, sichert die Vormachtstellung des marktbeherrschenden Energieoligopols der vier großen Konzerne auf Kosten von Kommunen, Stadtwerken, der gesamten Branche der Erneuerbaren Energien, der Unternehmen und vor allem der Bürgerinnen und Bürger. Die marktbeherrschende Stellung von vier Konzernen zementiert“, erklärte Heyenn.
Die Bundesregierung habe sich von den vier Energieriesen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall den Text diktieren lassen, sowohl das Verfahren als auch die Inhalte haben sich ausschließlich an den Interessen der Kernkraftwerksbetreiber orientiert. „Das hat einfach gar nichts mit Demokratie zu tun. Das ist den Menschen im Land nicht zu vermitteln, diese Politik ist mit der Verfassung nicht vereinbar, deshalb wehren sich die Bürgerinnen und Bürger auch dagegen. Die Demonstration am 18. September in Berlin war erst der Anfang“, so Heyenn.
Vielen Staatsrechtlern und der Umweltministerkonferenz zufolge ist jede Laufzeitverlängerung ohne vorherige Zustimmung der Länder verfassungswidrig. Man könnte davon ausgehen, dass Hamburg sich einer Normenkontrollklage anderer Landesregierungen vor dem Bundesverfassungsgericht anschließen wird. Am 1. Juni diese Jahres hat die Bürgerschaft auf Antrag von CDU und GAL folgendes beschlossen: Der Senat wird ersucht,
1. sobald ein konkreter Gesetzesentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Atomgesetzes vorliegt, genau zu prüfen, inwieweit der Bundesrat zur Beschlussfassung einzubeziehen ist. Bei positivem Ergebnis ist auf eine Befassung des Bundesrates hinzuwirken.
2. darauf hinzuwirken, dass die Frage der Laufzeitverlängerungen von KKW auf Bundesebene nur gemeinsam mit einer Überprüfung des Energiekonzeptes für die Bundesrepublik Deutschland behandelt wird und die Bundesländer dabei einbezogen werden.
„Auf der Grundlage dieses Beschlusses hätte der Senat als Ganzes längst aktiv werden müssen. Davon ist bis heute nichts bekannt. Das passt ins Bild. Wir haben wiederholt erfahren müssen, dass der Senat Beschlüsse der Bürgerschaft nicht umsetzt. So hätte z.B. heute eine Auswertung der Störfälle der AKW Krümmel vorliegen müssen. Fehlanzeige. Das, was dieser Senat hier betreibt, ist nichts anderes als die konsequente Missachtung des Parlaments und das ist ungeheuerlich. Das kann so nicht akzeptiert werden und deshalb stellen wir heute einen Antrag zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken mit einer einzigen Forderung“, so Heyenn weiter. „Ich habe schon gehört, dass die GAL, die außerhalb des Parlaments gern die Speerspitze in der Anti-Atomkraft-Bewegung spielt, hier heute im Parlament argumentieren wird, dass in ihrem Antrag 6372 keine Rede sei von einem Klageverfahren.“
Die Grünen auf Bundesebene, die Grünen-Landesvorsitzenden aus den fünf norddeutschen Ländern und auch GAL-Fraktionschef Jens Kerstan kritisierten, dass es keinen Ausstieg aus dem Atomausstieg geben darf.
„Herr Kerstan, schimpfen allein reicht nicht – Sie und ihre Fraktion müssen hier im Parlament Farbe bekennen. Sie möchten sich heute vor einer klaren Aussage drücken, indem Sie verhindern möchten, dass es zu einer Abstimmung des Antrages aus der Fraktion DIE LINKE und auch des Antrags aus der SPD-Fraktion kommt. Das ist das Konzept, Vertagen, verschleiern, verhindern und es macht überhaupt keinen Sinn“, sagte Heyenn.
Eine Überweisung des Antrags in den Umweltausschuss würde bedeuten, dass dort darüber diskutiert wird, wenn die Laufzeitverlängerung im Bundestag schon beschlossen wurde (1. Oktober in erster Lesung, zweite Lesung spätestens 17. Dezember) und wäre deshalb nichts anderes als Trickserei. Ein weiteres Glaubwürdigkeitsproblem ist der schwarz-grüne „Abwehrantrag“ (Drs. 7074), der Laufzeitverlängerungen insbesondere für Reaktoren des Typs der älteren Siedewasserreaktoren wie des AKW Krümmel für unverantwortlich erklärt. Auch dazu müsste sich die Koalition verhalten.
„Wir von der LINKEN wollen eine Abstimmung über unseren Antrag hier und heute. Einer Überweisung in den Umweltausschuss werden wir nicht zustimmen.
Wenn eine Zustimmung zu unserem Antrag über das Weiterbestehen der schwarz-grünen Koalition entscheidet, dann sollte diese Chance sehr schnell und beherzt ergriffen werden. In Anlehnung an Moliere möchte ich der GAL sagen: Wir sind nicht nur für das verantwortlich, was wir tun, sondern auch für das, was wir nicht tun“, schließt Heyenn.
Kerstan (GAL): „Da läuft nichts länger!“
Die Bürgerschaft debattiert heute über die Atomgesetznovelle der Bundesregierung und darüber, dass der Bundesrat bei dieser Entscheidung übergangen wird. Auch die GAL-Bürgerschaftsfraktion hält eine Beteiligung der Länder in dieser Frage für notwendig.
Jens Kerstan, der Vorsitzende der GAL-Bürgerschaftsfraktion, sagt dazu: „Ohne jede Scham verteilt die Bundesregierung Milliardengeschenke an ihre Freunde von der Atom-Lobby – und sichert ihre Zusagen auch noch in dubiosen Nebenverträgen rechtlich ab. Ich finde dieses Vorgehen empörend. Rund 100.000 Menschen sind am 18. September in Berlin gegen die unverantwortliche Atompolitik auf die Straße gegangen und haben klar bekundet: ,Da läuft nichts länger!’. Das war ein kraftvoller Beweis dafür, dass eine große Mehrheit längere AKW-Laufzeiten nicht will. Wir Grüne lehnen jede Laufzeitverlängerung ab. Und wir pochen weiter darauf, dass bei dieser Frage der Bundesrat beteiligt wird. Wenn das Thema dort zur Abstimmung kommt, wird Hamburg seine Zustimmung verweigern. Darüber hinaus sind wir uns mit der CDU einig, dass es für Krümmel und Brunsbüttel und zwei baugleiche Reaktoren in Süddeutschland keinerlei Nachschlag geben darf.“
Hintergrund aus Sicht der GAL:
Die schwarz-gelbe Bundesregierung wird morgen eine Atomgesetznovelle dem Bundestag zur ersten Lesung vorlegen. Am 29. Oktober soll sie in zweiter und dritter Lesung von der Koalitionsmehrheit im Bundestag verabschiedet werden. Dem Bundesrat soll das Gesetz am 26. November zur Kenntnis gegeben werden. Eine Zustimmung der Länderkammer will die Regierung umgehen – obwohl die Aufsicht über die Atomanlagen Ländersache ist. Die Opposition hält diesen Weg für verfassungsrechtlich bedenklich. Mehrere Länder haben eine Verfassungsklage angekündigt.
Kern der Gesetzesnovelle ist die Verlängerung von Laufzeiten sämtlicher deutscher Atomkraftwerke. So sollen den ab 1980 gebauten Anlagen (u. a. Krümmel, Brokdorf) zusätzliche Strommengen zugestanden werden, die 14 Jahren Vollauslastung entsprechen. Bei den älteren Anlagen (u. a. Brunsbüttel) sind es analog acht Jahre. Die Laufzeiten wären daher nicht an ein endgültiges Abschalt-Datum gekoppelt, sondern allein von der jeweiligen Stromproduktion in einem AKW abhängig. Wenn ein Meiler wegen Pannen vom Netz geht, wirkt sich dies nicht auf die zugestandene Restlaufzeit aus.
Seit Bekanntwerden des Gesetzesentwurfs ist zwischen der Bundesregierung und einigen Bundesländern ein Streit entbrannt, ob der Bundesrat dem Gesetzesentwurf zustimmen muss oder nicht. Mehrere Länder haben eine Verfassungsklage in Karlsruhe angekündigt, um eine Befassung zu erwirken. Sollte dieser Klage nicht stattgegeben werden, würde das Gesetz planmäßig am 1. Januar 2011 in Kraft treten.
In einem gemeinsamen Beschluss vom 26. August fordern GAL und CDU, dass Hamburg jede Verlängerung für die Atomkraftwerke Brunsbüttel, Krümmel und alle weiteren baugleichen Anlagen ablehnen wird (Drucksache 19/7074). Nach dem unter Rot-Grün mit den Betreiberkonzernen vereinbarten Ausstiegsplan würden die zugesagten Reststrommengen für das AKW Brunsbüttel noch bis 2013 und für das AKW Krümmel bis zum Jahr 2021 reichen, spätestens dann müssten die Anlagen vom Netz gehen.